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Köpfe-Rollen wurde vertagt

Der Vorarlberger SP-Abgeordnete Herbert Bösch zählt zu den führenden Aufdeckern in der Eurostat-Affäre und ist Vizechef im Haushaltskontrollausschuss.

Das EU-Parlament hält sich in der Eurostat-Affäre alle Optionen offen. Prodi weist die Forderung nach Rücktritten von sich: “Ich baue meine Karriere nicht auf den Leichen anderer.”

Zweieinhalb Stunden musste Kommissionschef Romano Prodi am Donnerstag Nachmittag hinter verschlossenen Türen dem EU-Parlament in der Eurostat-Affäre Rede und Antwort stehen. Eines zeichnete sich schon bald nach Beginn der Aussprache ab: Prodi und seine Kommissare sind noch lange nicht aus dem Schneider. Kaum jemand im EU-Parlament ist bereit, jetzt wieder zur Tagesordnung überzugehen. Prodi und seinem Team könnte noch ein heißer Herbst ins Haus stehen, die Affäre um Unregelmäßigkeiten in den Finanzen des EUAmtes für Statistik (Eurostat) wird zumindest noch einige Monate weiterköcheln.

Prodi wies, wie erwartet, in der Sitzung jede politische Verantwortung für die dubiosen Praktiken in der Eurostat von sich. „Ich sehe keinen Grund, einen der Kommissare zum Rücktritt zu bewegen.“ Seine Hauptverteidigungslinie: Die Skandale fielen in die neunziger Jahre, also vor Amtsantritt seiner Kommission. Außerdem verfolge er, wie 2000 schon angekündigt, eine Politik der „Null-Toleranz“ gegenüber Skandalen und Korruptionsaffären.

Eng könnte es vor allem für Kommissar Pedro Solbes werden, der für Eurostat zuständig ist und seit Wochen im Kreuzfeuer steht. Dem Spanier wird vorgeworfen, bei der Aufklärung der Affäre die Hände in den Schoß gelegt zu haben. Prodi stellte sich vor Solbes. „Er hat sich nichts zuschulden kommen lassen.“ In der anschließenden Pressekonferenz platzte Prodi dann der Kragen: „Wenn ich heute einen Kommissar entlasse, dann bin ich morgen ein Held. Wenn ich drei entlasse, bin ich ein großer Held. Aber ich habe meine politische Karriere noch nie auf den Leichen anderer aufgebaut.“

Im Schussfeld stehen außerdem Beamtenkommissar Neil Kinnock sowie Budgetkommissarin Michaela Schreyer.

Das „letzte Mittel“

Im EU-Parlament sind jene, die schon heute nach Rücktritten rufen, noch in der Minderheit. Gleichzeitig ist bei den Abgeordneten die Verärgerung über die langatmige Aufklärung der Affäre äußerst groß. Die überwiegende Mehrheit will aber, dass zunächst einmal alle Fakten auf den Tisch gelangen. Für Ursula Stenzel (ÖVP) sind Rücktritte das „allerletzte Mittel“. Grünen-Chef Daniel Cohn-Bendit: „Es wäre unseriös, jetzt schon Köpfe zu fordern.“ Auch die Chefin der EU-Freiheitlichen, Daniela Raschhofer, will sich nicht festlegen. Bisher wurde der Ruf nach einem Köpfe-Rollen bei den Ex-Kommunisten, den Liberalen und einigen Euro-Skeptikern laut.

Andererseits spielt auch die Parteipolitik in die Affäre hinein. Die Sozialdemokraten agieren schaumgebremst, da mit Solbes und Kinnock zwei Parteifreunde im Schussfeld stehen. Ähnliches gilt für die Grünen wegen der Verwicklung ihrer deutschen Parteifreundin Schreyer. Umgekehrt wollen CDU und CSU am liebsten gleich auch Schreyer in den Abgrund mitziehen. Für die Euroskeptiker wiederum ist die Affäre neun Monaten vor den EU-Wahlen ein gefundenes Fressen.

Der Vorarlberger SP-Abgeordnete Herbert Bösch zählt zu den führenden Aufdeckern im EU-Parlament und ist Vizechef im Haushaltskontrollausschuss.

Müssen jetzt Köpfe rollen?
HERBERT BÖSCH: Ja.

Wer?
BÖSCH: Zumindest die obersten Beamten müssen für die Fehler geradestehen.

Kein Politiker?
BÖSCH: Damit hätte ich kein Problem, aber ein einzelner Kommissar,
etwa Solbes, wäre zu kurz gegriffen. Prodi wusste von den Praktiken schon seit Juli 2002, hat aber nichts getan. Es geht um die Beseitigung eines ganzen Systems.

Ist Eurostat ein Einzelfall?
BÖSCH: Mit dieser Behauptung wäre ich vorsichtig. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass in den neunziger Jahren in der Kommission eine Unkultur mit U-Booten und geheimen Kassen Fuß gefasst hat, um den Dienstweg abzukürzen.

Also Tricksereien aus hehren Motiven?
BÖSCH: Wir sind erst am Anfang der Untersuchungen. Bedenklich ist, dass die Eurostat-Leute kein Unrechtsbewusstsein besitzen. Da fehlt nicht viel bis zu dem Schritt, sich auch persönlich zu bereichern.

  • Wie geht es jetzt weiter? Bekommt die Affäre nicht eine politische Eigendynamik?
    BÖSCH: Die Gefahr ist groß, dass nun Parteipolitik das Geschehen diktiert. Unser Problem ist, dass es uns an einer europäischen Öffentlichkeit fehlt. Jeder will nun jenen Politiker vor den Lauf bekommen, der ihm innenpolitisch am meisten nützt. Sind wir froh, dass der Fischler nicht dabei ist. Ich fürchte nur, dass es dann wieder zu keinen internen EU-Reformen kommt.
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