Die Expertin zeigte sich im Gespräch mit der APA durchaus überrascht, dass es ihrem Entführer während der achtjährigen Gefangenschaft offenbar nicht gelungen ist, Natascha Kampusch vollständig zu brechen. Sonst hätte die junge Frau sich letztlich nicht doch zur Flucht entschlossen, gab Rossmanith zu bedenken.
Der Theorie nach müsste sie komplex traumatisiert sein. Wie man das verarbeitet, ist aber individuell verschieden, so die Psychiaterin. Sie hält es für wahrscheinlich, dass bei der Entführten das so genannte Stockholm-Syndrom aufgetreten ist: Um zu überleben, nimmt man die Ideale und Vorstellungen des anderen an und begibt sich freiwillig unter dessen Herrschaft. Man identifiziert sich mit dem Aggressor.
Wolfgang Priklopil habe im Alles oder Nichts gelebt, vermutete die Psychiaterin. Aus einem Hinterhalt heraus habe er sich blitzartig des Mädchens bemächtigt und sie wahrscheinlich mit Schmerzen und Gewalt gefügig gemacht. Das sei Ausdruck sadistischer Allmachtsphantasien, der Mann habe wahrscheinlich ein göttliches Gefühl der Allmacht erlebt. Und zugleich wohl auch hämische Freude darüber, dass das außer ihm keiner weiß, sagte die Fachärztin.
Für sie steht fest, dass Priklopil grundlegend gestört war und einen Hass gegen das Menschliche gehabt haben muss, den er mit seiner Tat zu kanalisieren trachtete. Er habe sich offensichtlich eine Sklavin halten wollen, um Macht, Kontrolle auszuüben.
Dass er ausgerechnet ein kleines Mädchen kidnappte, hält Rossmanith für keinen Zufall. Eine Angst vor Weiblichkeit komme dabei zum Ausdruck, auch Pygmalion-Phantasien: Man möchte einen Menschen ganz für sich allein haben, ihn formen, und mit Haut und Haaren besitzen, erläuterte Rossmanith.
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