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Ja zum "Green Pass", wenn Impfung für die ganze Bevölkerung zugänglich wird

Zankapfel "Impfpass" und Vorteile für Geimpfte: Prof. Hertnagel im VOL.AT-Interview.
Zankapfel "Impfpass" und Vorteile für Geimpfte: Prof. Hertnagel im VOL.AT-Interview. ©handout/Hertnagel
Passive Impfpflicht durch den "Impfpass" nach israelischem Vorbild? Zumindest laut Bundeskanzler Kurz. VOL.AT sprach mit Prof. Hertnagel (PH Vorarlberg) über ethische und moralische Bedenken, Impfung als Qualifikation, z.B. für gewisse Berufe und die viel zitierte "Zwei-Klassen-Gesellschaft".
LR Rüscher: Geimpfte werden Vorteile haben
Impfpass für Vorarlberg nach israelischem Vorbild?

VOL.AT: Kanzler Kurz spricht sich für eine europaweite Einführung eines „Green Pass“ nach israelischem Vorbild ein. Wie stehen Sie zu diesem Vorstoß?

Prof. Mag. Dr. Johannes Hertnagel:Grundsätzlich ist positiv zu bewerten, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Diskussion zur Green-Pass-Thematik öffentlich stattfindet und die Bevölkerung daran aktiv partizipiert. In weiterer Folge stellt sich allerdings die Frage, ob die Menschen in eine aktive Teilnahme an der Entscheidung zu einer Einführung des Green-Pass mitwirken können. Solche für die Menschen in Österreich wesentliche und sensible Agenden müssen möglichst früh auf breiter Ebene besprochen werden. Eine Einführung des Green Pass zum jetzigen Zeitpunkt hielte ich persönlich für verfrüht.

VOL.AT: Indirekt würde damit eine passive Impfplicht und eine Art „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ eingeführt. Wie ist so ein Modell aus moralischer Sicht zu bewerten?

Prof. Mag. Dr. Johannes Hertnagel: Der Begriff der „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ wird gerne bemüht, tatsächlich leben wir jedoch in einer polygen strukturierten Gesellschaft, in welcher sich kontinuierlich Disparitäten zwischen einzelnen Gruppen bilden. Wie werden in der öffentlichen Wahrnehmung etwa Boni-Zahlungen von Unternehmen an einzelne Mitarbeiter*innen, abweichende Normen von der Straßenverkehrsordnung für E-Fahrzeug-Besitzer*innen, die ungleiche Verteilung von Besitz etc. wahrgenommen und diskutiert? Im Kontext der Diskussion zum Green Pass muss jedoch deutlich herausgestrichen werden, dass die Einführung eines solchen dann aus ethischen Gesichtspunkten vertretbar ist, wenn Vakzine für alle Bevölkerungsschichten frei zugänglich zu erhalten sind. Bevor dies nicht gesichert der Fall ist, würde ich vor der Einführung des Green Pass abraten.

VOL:AT: Gerade jetzt ist die Impfung ein noch sehr privilegierter Status. Inwiefern wäre eine Bevorteilung von Geimpften oder natürlich Immunen dann nicht als unfair zu bewerten?

Prof. Mag. Dr. Johannes Hertnagel: Wie bereits erwähnt, muss der freie Zugang zu den Vakzinen gegen das Corona-Virus für alle Bevölkerungsschichten gewährleistet sein, bevor ein Green Pass unumschränkte Zugangsberechtigungen einzelnen Menschen gewährleistet. Eine solche Situation wäre dann vergleichbar mit einem Raumschiff, welches für privilegierte Menschen einer Gesellschaft bereitsteht, um diese vor dem Untergang der Erde in eine sichere Welt zu transportieren. Auch beschränkte Zugangsvorzüge würden aus meiner Sicht gegenwärtig sicher eine breite Diskussion auslösen und müssten insbesondere durch politisch Verantwortliche sehr gut begründet und argumentiert werden. Schwieriger ist die Frage betreffend Immunen zu beantworten; über Sonderregelungen für diese Menschengruppe müsste diesbezüglich sicher nachgedacht werden. Unter Berücksichtigung der Vakzine-Verfügbarkeit müsste diesbezüglich zwischen Geimpften/Ungeimpften und Immunen/Nichtimmunen unterschieden werden.

VOL.AT: Andererseits, inwiefern lassen sich Covid-Verordnungen gegenüber Geimpften oder natürlich Immunen legitimieren?

Prof. Mag. Dr. Johannes Hertnagel: Einen Weg zu finden, dass geimpfte oder immune Menschen mit besonderen Privilegien ausgestattet werden, wird, vor allem vor dem Hintergrund der politischen Verantwortung für solche Maßnahmen, sehr schwierig umzusetzen sein. Gleichzeitig stellt sich berechtigt die Frage, warum sich nachweislich gegen das Virus geimpfte oder immune Menschen den Covid-Restriktionen weiterhin unterordnen sollen? In diesem Bezug muss aller Wahrscheinlichkeit nach besonders viel Aufklärungsarbeit im Vorfeld der Einführung von konkreten Maßnahmen geleistet werden. Vorausgesetzt, genügend Vakzine stehen zur Verfügung, wäre eine möglichst rasche Durchimpfung der Bevölkerung wohl die sozial verträglichste Antwort.

VOL.AT: Stichwort Qualifikation: Eine Impfung könnte zu einer Schlüsselqualifikation für verschiedene Berufsgruppen werden. Ist ein derartiger Eingriff in den persönlichen Körper überhaupt moralisch und im Sinne einer Gleichbehandlung tragbar?

Prof. Mag. Dr. Johannes Hertnagel: Sich an gewisse Regeln zu halten ist eine grundlegende Voraussetzung, dass Menschen in geordneten Verhältnissen miteinander leben können, ansonsten würden jedes Recht und jede Pflicht ad absurdum geführt. Eine auf breiter Basis mit allen relevanten gesellschaftlich-sozial verantwortlichen Partnern geführte Diskussion im Sinne von zu beschließenden Maßnahmen, welche den Zugang zum Arbeitsmarkt für bestimmte Berufsgruppen eventuell neu aufgestellt regeln, ist unumgänglich. Ebenso unumgänglich ist in gleichem Maße jedoch auch die besondere Berücksichtigung der Rechte der Arbeitnehmer*innen. Somit bleibt für diese bei entsprechendem Nichteinverständnis zu einer Impfung zumindest die optionale Wahl, sich an einer alternativen Berufsausübung zu orientieren. Hier wäre der in vielen Belangen funktionierende österreichische Weg der Sozialpartnerschaft im Besonderen gefordert.

VOL.AT: Wie stehen Sie persönlich zur Impfung? Ist sie in diesem Sinne nicht auch fast eine moralische Verpflichtung im Dienste der Allgemeinheit, im Sinne eines Solidaritätsgedankens?

Prof. Mag. Dr. Johannes Hertnagel: Ich persönlich stehe der Impfung unverkrampft gegenüber; nach einem relativ langen Leben sieht man gewisse Dinge oft aus erfahrungsgestützten Perspektiven. Meine persönlichen Erfahrungen mit der Medizin und somit den Wissenschaften, auf welchen diese beruht, sind von positiven Prägungen begleitet. Aus diesem Grund habe ich auch Vertrauen in die aktuellen Vakzine. Wäre ich nicht diesen positiven Erfahrungen begegnet bzw. wäre ich ein junger Mensch, wären meine Gedanken diesbezüglich möglicherweise andere. Die Sache mit dem Solidaritätsgedanken ist wiederum eine andere Geschichte. So erkennen wir etwa an jüngst weltweit stattgefundenen Ereignissen, dass Fundamente, an welchen sich demokratische Grundstrukturen seit der Antike aufbauten und bis heute orientieren, erschreckend schnell ins Wanken geraten können. Politisch Verantwortliche sehen sich zunehmendem Widerstand gegenüber, wenn sie etwa an den Solidaritätsgedanken innerhalb der Bevölkerungen, in welchem Kontext auch immer, appellieren. Die Menschen in Österreich stehen, historisch gesehen, in jüngster Zeit deutlich kritischer und sensibler gesellschaftsrelevanten Phänomenen und Fragen gegenüber, als dies in den letzten Jahren zu verzeichnen war, von gravierenden Einzelereignissen abgesehen.

VOL.AT: Inwiefern hat die Pandemie ihren Alltag und ihren Lehrstuhl verändert? Wie wirkt sich Corona auf den Lehrplan oder die wissenschaftliche Forschung in ihren Themengebieten aus?

Prof. Mag. Dr. Johannes Hertnagel: Für einen Lehrenden ist der Präsenzunterricht bzw. die Präsenzlehre die Luft zum Atmen, der Stoff zum Leben. Mit einem Schlag veränderte sich diesbezüglich eine gewohnte Welt sehr unvermittelt und radikal. Seit 2020 führe ich nunmehr meine Lehre an der PH Vorarlberg sowie an der Universität Innsbruck, so wie viele andere Kolleginnen und Kollegen auch, im Fernlehremodus durch. Im Wesentlichen funktioniert Lehre auf der tertiären Stufe so auch, allerdings fehlen all jene Aspekte, welche die Präsenzlehre im Besonderen auszeichnen. In der Planung der Lehre bis hin zur Konzeption von Curricula ergeben sich im Wesentlichen in der konkreten Realisierung der Lehre sowie in der Verfügbarkeit technischer Mittel und Programme besondere Herausforderungen. Forschungsrelevanter Austausch sowie insbesondere die Recherchearbeiten sind auch trotz Covid-Maßnahmen realisierbar, was fehlt sind allerdings auch hier die persönlichen Begegnungen und somit der zwischenmenschliche Austausch über das Faktische hinaus.

VOL.AT: Werden Sie sich impfen lassen?

Prof. Mag. Dr. Johannes Hertnagel: Ja.

Weitere Infos zur Pandemie im VOL.AT-Corona-Special.

(VOL.AT)

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