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Italien: Minister will Strände verkaufen

Silvio Berlusconi war noch mit der Regierungskrise beschäftigt, da kam neuer Ärger. Sein frisch ernannter Stellvertreter Giulio Tremonti hatte die "revolutionäre Idee“, die Strände zu privatisieren.

Damit sollte der Tourismus in Italiens Süden angekurbelt werden. Mit dem Geld könne man im wirtschaftlich maroden Mezzogiorno Großprojekte durchziehen („Zum Beispiel Flughäfen mit vier Landepisten“), um sich so für den neuen Massentourismus zu wappnen – etwa „aus Indien und China“. Selten hat sich ein italienischer Politiker derart zur Lachnummer gemacht – nur Berlusconi ist „not amused“. Doch Interesse an Privatstränden ist durchaus vorhanden.

„Wie ist Dir denn das in den Sinn gekommen?“, soll sich Berlusconi laut Medienberichten beim Ideengeber beschwert haben. Meint Tremonti: „Es war ja nur eine Idee, um den Mezzogiorno anzukurbeln, nach dem jahrelang nur geredet und nicht gehandelt wurde.“ Die kecke Antwort wird Berlusconi auch nicht sonderlich gefreut haben. Gianfranco Micciche, Minister für den Süden, reagierte nur mit beißendem Spott: „Wenn Norditalien den Lago Maggiore verkauft, dann könnten wir auch mit unseren Stränden an den Markt gehen.“

Strand als Sehnsuchtsort

Von den Kollegen in den eigenen Riegen nicht ernst genommen zu werden – das ist das Schlimmste, was einem Kabinettsmitglied passieren kann. Der Strand, „la spiaggia“ – allein das Wort ist Musik für Italiener. Ein Sehnsuchtsort. „Andare alla spiaggia“, An-den-Strand-Gehen, das ist für Millionen Italiener nicht bloß Freizeitvergnügen – das ist für sie wie ein Seelenbad. Eine der populärsten Schlager seit Jahrzehnten beschreibt den Sommertraum all’italiana: Jedes Jahr an den selben Strand, die Liege steht am selben Platz, und links und rechts liegen dieselben Freunde.

Seit Jahren wird über steigende Preise für Liegen und Sonnenschirme geschimpft – doch neben den kommerziellen Strandbädern gibt es stets auch freie Strände. Soll es damit jetzt vorbei sein? Rund 3.500 Kilometer Strand gibt es rund um den italienischen Stiefel, nur 900 Kilometer sind bisher durch so genannte Stabilimenti (Strandbäder) belegt. Noch ist also genug Platz fürs Gratisvergnügen. Und das soll so bleiben: Laut Umfragen lehnen 70 Prozent der Italiener eine Privatisierung ab. La Spiaggia ist ein solches nationales Heiligtum, dass selbst die Vatikanzeitung „L’Osservatore Romano“ die Ablehnung der römischen Kurie deutlich machte. Nach Schätzungen von Experten liegt der ökonomische Wert der Strände bei etwa 13 Milliarden Euro, ein Prozent des jährlichen Sozialprodukts, wie die Zeitung „La Repubblica“ vermerkt.

Ernste und spöttische Reaktionen

Nach dem Vorschlag Tremontis sollten Lizenzen bis zu 100 Jahre vergeben werden. Ein Oppositionspolitiker spottet: „Ich muss Tremonti unbedingt anrufen, ich will die Alpen verkaufen.“ Nur der Verband der Strandbadbetreiber nimmt die Idee ernst: „Wir sollten uns zusammensetzen und beraten.“ Verständlich, bei den Preisen: In den besonders schicken Stabilimenti auf Ischia und in der Toskana müssen Badende für zwei Liegen und einen Sonnenschirm pro Tag 40 bis 55 Euro hinblättern. Zum Vergleich: An der deutschen Nord- und Ostsee kostete ein Strandkorb im vergangenen Jahr höchstens 8 Euro am Tag.
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