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Irak: Sunniten suchen Verbündete

Die Sunniten im Irak wollen sich in ihrem Widerstand gegen die schiitisch-kurdische Verfassung mit Gleichgesinnten anderer Volksgruppen verbünden: "Wir wollen alle vereinen, die gegen den Föderalismus sind".

Dies sagte Chefunterhändler Saleh al-Mutlak am Dienstag in Bagdad. Dies sei nicht mehr nur eine Angelegenheit der Sunniten. „Das ist eine Angelegenheit aller, die nicht wollen, dass der Irak zerfällt, auch der Schiiten.“ Deshalb wollten die Sunniten schon bald mit dem radikalen Schiiten-Prediger Muktada al-Sadr verhandeln. Ein Vertreter Sadrs in Bagdad teilte mit, seine Bewegung habe noch keine endgültige Position zur Verfassung.

Die Sunniten sperren sich vor allem gegen eine Föderalisierung zu Gunsten von Schiiten und Kurden, weil sie fürchten, dann restlos von den Ölvorkommen des Landes abgeschnitten zu sein. Der Verfassungstext soll am 15. Oktober der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt werden.

Pressestimmen zu irakischem Verfassungsentwurf

Mit dem ohne Mitwirkung der Sunniten zu Stande gekommenen unvollständigen irakischen Verfassungsentwurf befassen sich am Dienstag weitere Pressekommentare:

„The Guardian“ (London):
„Zweifellos muss jeder, der sich ein Happy End für die irakische Tragödie wünscht, auf ein Dokument hoffen, das die breitest mögliche Unterstützung bekommen kann. Aber es ist nicht zynisch – eher eine Anerkennung der blutigen Realität – die Rhetorik aus Washington abzulehnen, die Verfassung sei ein ’Leuchtfeuer der Freiheit und Demokratie’. (…) Es ist offensichtlich, dass die Verfassung von denen geschrieben worden ist, die am meisten von Saddam Husseins Sturz profitiert haben, und nicht notwendigerweise mit einem Blick darauf, eine harmonische Zukunft zu gestalten. Der Druck aus den USA war nicht stark genug, mehr Konzessionen zu Gunsten der sunnitischen Minderheit sicherzustellen. Der nächste große Akt in diesem Drama wird die Volksabstimmung im Oktober sein. Die größte Gefahr ist, dass die Spaltung des Landes noch tiefer werden und vielleicht sogar in einen totalen Bürgerkrieg münden wird.“

„Stuttgarter Zeitung“:
„Bis zuletzt hatte die US-Regierung darauf gesetzt, dass die Vertreter der Sunniten im letzten Augenblick doch noch zur Zustimmung zu bewegen seien. Die Demokratie, so hoffte vor allem Washington, könnte damit in dem von Diktatur, Krieg und Terror geschundenen Zweistromland vorangebracht und die hauptsächlich von Sunniten ausgehende Gewalt eingedämmt werden. Vergeblich: zwar liegt nun ein Verfassungsentwurf vor. Doch die Sunniten verweigerten sich bis zum Schluss. Um das Scheitern zu übertünchen, wurde am Ende auf eine Abstimmung im Parlament ganz verzichtet. (…) Das ganze verfassunggebende Verfahren wurde geschaffen, um einen Keil zwischen die Masse der Sunniten und den Aufständischen zu treiben. Doch so, wie die Dinge nun stehen, wird dieses Ziel mit einer derartigen Verfassung verfehlt.“

„Frankfurter Rundschau“:
„Ziel der Verfassung sei es, den Irak entlang konfessioneller und ethnischer Grenzen zu teilen, kritisieren die Sunniten. Bei der für den 15. Oktober geplanten Volksabstimmung haben sie de facto ein Vetorecht: Wird das Papier von zwei Dritteln der Bevölkerung in drei Provinzen abgelehnt, kann es nicht in Kraft treten. Die Sunniten sind in mindestens vier Provinzen in der Mehrheit.“

„De Volkskrant“ (Amsterdam):
„Der Verfassungsentwurf, über den die Iraker Mitte Oktober entscheiden müssen, ist sicher nicht fehlerfrei. Vor allem der Verweis auf den Islam als Quelle von Normen und Werten und auf die besondere Rolle der Geistlichkeit auf diesem Gebiet könnten ein Vorwand dafür werden, die unabhängige Justiz und die Bürgerrechte auszuhöhlen. Es bleibt natürlich möglich, dass dieses oder ein noch verändertes Grundgesetz das Rennen macht. Aber inzwischen hat das gegenseitige Misstrauen weiter zugenommen und es entwickelt sich ein Element der Unsicherheit, dass nur den Jihadisten nutzt.“

„De Gelderlander“ (Den Haag):
„Am 15. Oktober kann die Bevölkerung über das neue Grundgesetz urteilen. Die Begeisterung unter den Sunniten ist verständlicherweise nicht groß. Wenn sie nicht noch nachträglich Garantien dafür erhalten, dass ihre Interessen berücksichtigt werden, wird sich die Verfassung nicht als das so erhoffte Fundament eines neuen Staates herausstellen. Dann könnte am vergangenen Sonntag der Startschuss für einen blutigen Bürgerkrieg gegeben worden sein.“

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