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Inzest-Fall in Vorarlberg: Jugendwohlfahrt nahm Verdacht nicht ernst

Bregenz - Der entsetzliche Fall jenes heute 64-Jährigen, der am Donnerstag wegen mehrfacher brutaler Vergewaltigung zweier Töchter zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde, wirft Schatten auf die Jugendwohlfahrt vor 25 Jahren.
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15 Jahre Haft für Inzest
Erste Hinweise schon 1986

Damals zeugte der Vater mit einer Tochter zwei Kinder, von denen eines schwerbehindert überlebte. Obwohl die Bregenzer Jugendwohlfahrt von 1986 bis 1990 mehr als einmal von Ärzten auf Verdachtsmomente hingewiesen wurde, fand sie keinen ausreichenden Grund für eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft.
“Aus heutiger Sicht unverständlich”, sagt der Leiter der Sozialabteilung des Landes, Dr. Werner Grabher. FPÖ, SPÖ und Grüne verlangen völlige Aufklärung. LR Greti Schmid will das Thema in den Kon­trollausschuss bringen.

“Heute würde man anzeigen”

Der Leiter der Sozialabteilung des Landes, Werner Grabher, hat Unglaubliches zutage gefördert: Der Akt der Jugendwohlfahrt der Bezirkshauptmannschaft Bregenz zeigt deutlich, dass das Martyrium jener beiden Mädchen, die von ihrem Vater in Bregenz jahrelang geschlagen und missbraucht wurden, durchaus hätte verhindert werden können. Der heute 64-Jährige ist am Donnerstag am Landesgericht zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Er hat mit einem seiner Opfer zwei Kinder gezeugt. Das eine starb 1985 drei Monate nach der Geburt. Das andere kam 1986 schwerstbehindert zur Welt.

Schon früh Kontakt

Laut Grabher hatte die Jugendwohlfahrt bereits in den 1970er Jahren Kontakt mit der Familie. Damals gab der Vater eines seiner späteren Opfer als Kleinkind zwei Jahre lang in eine Pflegefamilie. „Die Jugendwohlfahrt hat das Pflegeverhältnis in dieser Zeit beaufsichtigt.“ Dann hörte man den Akten zufolge jahrelang nichts. 1985 brachte die vom Vater wieder und wieder vergewaltigte Tochter ihr erstes Kind zur Welt. Das wurde der Jugendwohlfahrt angezeigt. Die Behörde schöpfte keinen Verdacht. 1986 gebar die Tochter ihr zweites Kind. „Unmittelbar nach der Geburt hat der behandelnde Arzt des Krankenhauses die Jugendwohlfahrt informiert, ihm sei gerüchteweise zu Ohren gekommen, dass hier ein Inzest vorliegt“, so Grabher. Mehr noch: Der fachlichen Ansicht des Arztes zufolge war die Behinderung des Kindes derart ungewöhnlich und bei einem Neugeborenen äußerst selten, dass sie auf Inzest hinweise.
„Daraufhin hat die Jugendwohlfahrt innerhalb von sechs Wochen mit vier Personen fünf Gespräche geführt.“ Alle Personen wurden dazu auf die Bezirkshauptmannschaft eingeladen. Niemals ging ein Mitarbeiter der Jugendwohlfahrt vor Ort. Dass bei diesen Gesprächen u. a. auch die Pflegemutter des behinderten Babys einen Verdacht auf Inzest äußerte, reichte nicht. Die Mitarbeiter der Jugendwohlfahrt kamen zu dem Schluss, dass sich der Hinweis auf Inzest nicht hinreichend bestätigt hatte. Sie erstatteten deshalb auch keine Anzeige. Auch die Vaterschaft des Kindes wurde nicht überprüft, obwohl die Jugendwohlfahrt zwölf Tage lang bis zur Volljährigkeit der Mutter mit der gesetzlichen Vertretung des behinderten Babys betraut war.

Wieder Verdachtsmomente

Im Juni 1988 und im September 1990, während der Vater seine beiden Töchter unentwegt weiter missbrauchte und misshandelte, haben noch einmal zwei Gespräche stattgefunden, um die Vaterschaft des behinderten Kindes zu klären. Wieder kamen Ärzte zu Wort, die von der Behinderung als möglicher erblicher Erkrankung sprachen. Wieder wurde keine Anzeige erstattet. So war es möglich, dass der Vater jahrelang weiter wüten konnte, ehe er sich 1997 ins Ausland absetzte, wo ihn die Polizei erst im Oktober 2009 festgenommen hat.
„Nach heutigen Standards“, sagt Werner Grabher, „ist es völlig klar, dass bei einem derartigen Fall eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft ginge“, auch wäre „die Art der Überprüfung anders“. Eine der Mitarbeiterinnen von damals arbeitet heute noch in der Jugendwohlfahrt. Sie wurde gestern befragt und gab an, dass sie sich im vorliegenden Fall nur um die Pflegschaft des behinderten Kindes gekümmert habe. (VN)

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