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Intensive Verhandlungen zwischen Freihandel, Umwelt- und Tierschutz

Bei den Landwirten fürchtet man durch Mercosur eine Konkurrenz, die europäische Standards untergräbt.

Seit zwei Jahrzehnten laufen die Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Handelsbündnis Mercosur über ein Freihandelsabkommen. Ein Nein des EU-Parlaments machten Nachverhandlungen notwendig, die seit 2020 andauern. Ein Knackpunkt: Der Schutz der Natur, der Tiere und der Landwirtschaft. Mehr als nur kritisch stehen daher die heimischen Landwirte dem Handelspakt gegenüber. „Der wirtschaftliche Druck nimmt seit dem EU-Beitritt massiv zu, während die Produktpreise, die der Landwirt ausbezahlt bekommt, sich seitwärts entwickeln“, erinnert der Vorarlberger Landwirtschafskammerdirektor Stefan ­Simma. „Gleichzeitig pilgern höchste Politiker, die in Europa den Green Deal predigen, nach Südamerika und verhandeln dort im Austausch von Industrieinteressen gegen Fleischimporte ein Handelsabkommen, das unsere Landwirtschaft ­weiter an die Wand drückt.“

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In Österreich setzt die Landwirtschaft stark auf Bioprodukte, auf klein strukturierte Betriebe und eine extensive Grünland- und Alpwirtschaft für die Milch- und Fleischwirtschaft. Die vielgelobte kleinstrukturierte Wirtschaft bringt aber wirtschaftliche Nachteile mit sich. Während in Vorarlberg laut Landwirtschaftskammer durchschnittlich 18 Rinder in einem Stall stehen, sind es in Deutschland 75, in Dänemark 170. Durch Mercosur fürchten Simma und die Bauernschaft noch mehr Konkurrenz, die auf abgeholzten Regenwaldflächen ihre Tiere industriell hochmästen. „Das ist das wahre Problem für die heimische grünlandbasierte, tierhaltende Landwirtschaft“, warnt Simma.

Freihandel vs. Protektionismus

Starken Rückhalt genießt die Kammer in dieser Frage in der Vorarlberger und österreichischen Politik. Ein aufrechter Nationalratsbeschluss und das Regierungsprogramm lehnen das Handelsabkommen in seiner jetzigen Form ab. Und auch Landeshauptmann Markus Wallner ist weiterhin kritisch. „Wesentliche Fragen“ wie Importkontrollen, lückenlose Herkunftsbezeichnung und das Vorsorgeprinzip (legislative Schutzbestimmungen in Risikobereichen statt Reaktionen auf Missstände im Nachhinein) seien „nach wie vor nicht zufriedenstellend beantwortet“. Auf der anderen Seite beklagen etwa die Indu­striel­len­­ver­einigung oder die Neos die resolute Haltung in Österreich gegen das Abkommen. Ihr ­Argument ist, dass eben gerade über solche Abkommen die gewünschten Klima- und ­Tierschutzregeln nach Süd­amerika getragen werden könnten. „Die Panikmache der ÖVP bringt uns beim Umweltschutz keinen Millimeter weiter“, warnt etwa die Vorarlberger Neos-Vorsitzende und EU-Parlamentarierin Claudia Gamon. Das Umweltkapitel müsse fraglos verschärft ­werden, aber ohne Südamerika in die Arme von China und den USA zu treiben, die weit niedrigere Standards verlangen.  Und erst Mitte April startete die Industriellenvereinigung eine Werbekampagne für das Handelsabkommen, ebenfalls in der Hoffnung, dass sich Freihandel und Umweltschutz verbinden ließen.

Österreich sei eine Export­nation und solle sich an­gesichts der neuen geo­politischen Verschiebungen nicht vor neuen Partnern verschließen.

„Durch die Hintertür durchpeitschen“

Die größten Kritikpunkte am umstrittenen Freihandels­abkommen Mercosur im Überblick. Seit 1999 wird über die potenziell größte Freihandelszone der Welt verhandelt: Den Mercosur-Wirtschaftsraum, der Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay umfasst. Nun scheint ein Durchbruch nahe, 2023 könnte zum Schlüsseljahr werden. Das habe laut zahlreichen Experten zwei Gründe: geopolitische Überlegungen der Europäischen Union und der Amtsantritt des neuen brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva.

Abholzung des Amazonas

Bereits 2019 hatte es einen Abkommenstext gegeben. Dieser wurde jedoch aus Umwelt- und Menschenrechtsgründen auf Eis gelegt. Grund war die massiv fortschreitende Zerstörung des Regenwaldes, insbesondere des Amazonas, unter dem damaligen rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Österreichs Position scheint jedoch unverändert. „Mercosur ist ein Abkommen alter Schule, ohne ein umfassendes Nachhaltigkeitskapitel“, sagte etwa Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) der „Tiroler Tageszeitung“. Bereits 2019 hat der Nationalrat einen bindenden Beschluss zur Ablehnung des EU-Mercosur-Abkommens durch Österreich gefasst. Auf Basis dessen wird das Abkommen auch im türkis-grünen Regierungs­übereinkommen abgelehnt.  Lula vertritt bezüglich der Abholzung des Amazonas und der Rechte der indigenen Bevölkerung nun tatsächlich einen anderen Standpunkt als sein Vorgänger. Die EU-Kommission wirbt momentan für ein Addendum, das unter anderem den Schutz des Amazonas sowie die Rechte der Indigenen festlegt, sagt der grüne EU-Abgeordnete und Ko-Vorsitz der Europäischen Grünen Partei Thomas Waitz. Nach ers­ten Informationen seien diese aber nicht rechtlich bindend. „Das von der EU-Kommission angekündigte Addendum muss rechtlich bindend in das Abkommen integriert werden, ansonsten werden die europäischen Bürgerinnen und Bürger hinters Licht geführt“, sagt Waitz.

Billigfleisch

Österreichische Bauern befürchten zudem, dass der EU-Markt mit Billigfleisch geflutet wird. Die EU hat jedoch die jährliche Rindfleischeinfuhr bereits mit einem verminderten Zollsatz von 7,5 Prozent auf 99.000 Tonnen beschränkt. Das ist in etwa ein Prozent der gesamten EU-Rindfleischproduktion. Kritisch äußerte sich der Minister auch zu den Bestrebungen der EU, das Abkommen in ein politisches und ein wirtschaftliches Kapitel zu gliedern, womit Teile des Abkommens ohne die Zustimmung Österreichs in Kraft treten könnten: „Die EU-Kommission versucht nun, das Abkommen durch die Hintertür durchzupeitschen – mit Hilfe juristischer Spitzfindigkeiten.“

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