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Im reichsten Land der Welt regiert der Rotstift

Wenn sich die Finanzminister in Wien und Paris gegenseitig ihr Leid über die leeren Kassen klagen, können sie etwas Trost bei einem Blick über den Atlantik finden.

Auch im reichsten Land der Welt geht es den Regionen keineswegs besser. In den USA stecken die 50 Bundesstaaten ebenfalls in dramatischer Finanznot. Und auch die dortige Bundesregierung, von einem wachsenden Defizit geplagt, zeigt sich wenig bereit, den gebeutelten Regionalverwaltungen unter die Arme zu greifen. Präsident George W. Bush hat den Gouverneuren der Bundesstaaten klipp und klar beschieden, dass sie ihre Finanzprobleme selber meistern müssten.

Von der „schlimmsten Haushaltskrise unter den Bundesstaaten seit dem Zweiten Weltkrieg“ spricht der Gouverneur von Idaho, Dirk Kempthorne. Quer durch die Regionen der USA regiert deshalb der Rotstift. Tausende von Öffentlich Bediensteten wurden von den Regierungen der Bundesstaaten entlassen, die Zuschüsse für Schulen und Universitäten gekürzt, die Leistungen der staatlichen Krankenversicherung beschnitten. Allein in Kalifornien, wo die Misere das schlimmste Ausmaß erreicht hat, sollen nach den Plänen von Gouverneur Gray Davis 200.000 Menschen von Medicaid, der Krankenversicherung für Arme, ausgeschlossen werden.

In sechs Bundesstaaten sahen sich Schulen bereits gezwungen, die Vier-Tage-Woche einzuführen. In Kentucky wurden als Sparmaßnahme 567 Häftlinge vorzeitig aus den Gefängnissen entlassen. Auch Steuererhöhungen, in den USA noch verpönter als in Deutschland, sind längst nicht mehr tabu. Einige Staaten erhöhten bereits die Umsatzsteuer, andere die Tabaksteuer.

Insgesamt beläuft sich das Defizit der US-Bundesstaaten im laufenden Haushaltsjahr auf 21,5 Milliarden Dollar (18,3 Mrd. Euro). Die Tendenz ist steigend – und zwar dramatisch. Im Haushaltsjahr 2004, das im Sommer beginnt, könnte das Defizit auf bis zu 100 Milliarden Dollar wachsen. Der Kongress beschloss zwar kürzlich eine Finanzspritze von 20 Milliarden Dollar an die Bundesstaaten. Doch auf weitere kräftige Zuschüsse aus Washington können die Gouverneure nicht zählen. Schon die jetzige Sonderhilfe stand nicht im ursprünglichen Haushaltsplan des Weißen Hauses und kam erst auf Initiative einiger Senatoren zustande.

Dabei trägt Bush an der Finanzmisere der Staaten durchaus eine Mitschuld, weil er ihnen immer neue Aufgaben aufbürdete. So verlangt die wiederholte Heraufsetzung der nationalen Terror-Alarmstufe den Bundesstaaten verschärfte Sicherheitsmaßnahmen ab, die hohe Summen verschlingen. Auch die zwei Jahre alte Bildungsreform des Präsidenten, die die Überprüfung des Leistungsstands von Schülern an den staatlichen Schulen verlangt, kommt die Staaten teuer zu stehen. Nach Angaben von Kritikern kostet das Programm die Staaten 35 Milliarden Dollar mehr, als vom Kongress bereit gestellt wurden.

Ebenso trägt die anhaltende wirtschaftliche Flaute dazu bei, die Kassen der Bundesstaaten zu leeren. Während des Booms der 90er Jahre hatten die Regionalregierungen das Geld noch mit vollen Händen ausgegeben und die Steuern gesenkt. Versäumt wurde dabei eine Neustrukturierung des Steuersystems. Die Bundesstaaten hängen von den Einnahmen aus der Umsatzsteuer ab, die aber in den USA – im Gegensatz zu Deutschland – nur auf Waren und nicht auch auf Dienstleistungen erhoben wird. Der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft wurde also im Steuersystem nicht nachvollzogen – eine wesentliche strukturelle Ursache für die derzeitige Finanzkrise.

Sonderhilfen des Bundes an die Bundesstaaten sind in Washington heftig umstritten: Kritiker sehen darin eine Belohnung von Misswirtschaft. Gouverneur Kempthorne aus Idaho, wie Bush ein Republikaner, sieht in den gerade vom Kongress genehmigten 20 Milliarden Dollar jedoch eine wertvolle Hilfe, damit die Bundesstaaten ihre Bürger „weiterhin mit wesentlichen und entscheidenden Dienstleistungen versorgen“ könnten.

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