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„Ich wurde Opfer einer kalkulierten Falle!“

Das Montafon, im Hintergrund zu sehen, war für Siegi Stemer während seiner politischen Karriere ein starker Rückhalt und ist es auch heute noch.
Das Montafon, im Hintergrund zu sehen, war für Siegi Stemer während seiner politischen Karriere ein starker Rückhalt und ist es auch heute noch. ©MiK
Schwarzach - Der ehemalige Sport- und Bildungslandesrat Siegi Stemer im Sonntags-Talk mit W&W.

WANN & WO: Wie geht es Ihnen, rund drei Jahre nach dem Rückzug aus der Politik?

Siegi Stemer: Einfach gut. Ich habe Abstand gewonnen, den Lebensabschnitt abgehakt, mein neuer heißt „Unruhestand“.

WANN & WO: Wie blickt man auf die lange politische Karriere zurück?

Siegi Stemer: Es war eine erfüllte und dynamische Zeit, die mit dem Bürgermeisteramt in St. Anton im Montafon, meiner kleinen Heimatgemeinde, angefangen hat. Nach vier Jahren im Amt haben mir alle Montafoner Bürgermeisterkollegen den Vertrauensvorschuss als Standespräsident gegeben. 1989 wurde ich in den Landtag gewählt und ein halbes Jahr später folgte der Ruf, ich solle Klubobmann werden. Das bin ich sieben Jahre lang geblieben. Beim LH-Wechsel von Purtscher auf Sausgruber wurde ich in die Regierung berufen. Daraus wurden 15 Jahre in der Landesregierung.

WANN & WO: Kann man so eine Karriere komplett hinter sich lassen?

Siegi Stemer: Natürlich nicht. Rechnerisch ist sie bei mir ja so ziemlich das halbe Leben. Jeder Abschnitt war ein Lernbereich, eine Erweiterung von Erfahrung und Wissen. Diese Weiterentwicklung war sehr wichtig. Ich konnte immer von den gemachten Erfahrungen profitieren.

WANN & WO: Sie haben zuerst als Lehrer gearbeitet. Macht man als Politiker Erwachsenenbildung?

Siegi Stemer: (lacht) Gute Frage, aber bei mir war es anders. Es war eine Fügung, dass mein Onkel Ignaz Battlogg viele Jahrzehnte in der Politik tätig war und mich in jungen Jahren schon mitgenommen und informiert hat. Als er dann leider allzu früh verstorben ist – ich war gerade drei Jahre Lehrer an der HAK/HAS Bludenz – hieß es: „Der Siegi kann das machen.“

WANN & WO: Wie war der Wechsel in die Landespolitik? Hat das der eingefleischte Montafoner in Ihnen so einfach zugelassen?

Siegi Stemer: Ja, denn es war ja der klare Auftrag der Montafoner Bevölkerung. „Drunten in Bregenz“, wünschte man sich eine entsprechende Vertretung. 1989 war das Wahlergebnis sehr gut und ich bin dann vier oder fünf Mal wiedergewählt worden. Wenn man die Talschaft Montafon hinter sich weiß, kann man auch entsprechend auftreten und etwas bewegen.

WANN & WO: Gibt es etwas, das sie heute anders machen würden?

Siegi Stemer: Da gibt es vieles. Drei Jahre nach dieser langen Zeit in politischen Funktionen kann ich die Dinge unbefangen aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Mit mehr Lebenserfahrung und Abstand zur politischen Tätigkeit sehe ich vieles entkrampfter, unbefangener und auch anders. Wem geht es nicht so? Ich habe heute auch den nötigen Abstand, um sagen zu können: Setzt mal den Hausverstand ein. Sauber analysieren, was ist wirklich wichtig? Wo müssen wir ansetzen? Es muss nicht alles auf einmal passieren. Diesen Ansatz würde ich mir in erster Linie bei der Bildungsbundespolitik wünschen.

WANN & WO: Der Rücktritt kam ja sehr plötzlich. Wären Sie gerne noch einmal zur Wahl angetreten?

Siegi Stemer: Er kam nur zwei Jahre früher, als ich geplant hatte. 2014, mit 64 Jahren, hätte ich nicht mehr kandidiert. Der Rücktritt mit all den Begleiterscheinungen ist abgehakt. Die Dinge sind mittlerweile von verschiedenen Seiten dargestellt worden, wie sie wirklich waren. Wie es gelaufen ist und was anfangs alles aufgebauscht oder nicht erwähnt wurde, wissen viele Leute.

WANN & WO: Sie sind also nicht nachtragend?

Siegi Stemer: Nein, das hat keinen Sinn. Nach einer so hochintensiven und dynamischen Phase, in der viel bewegt werden konnte, etwas nachzutragen, schadet nur dem eigenen Gemüt und das habe ich nicht vor.

WANN & WO: Wie geht es einem, wenn man – wie Sie in der Schwarzgeld-Affäre – so an den Pranger gestellt wird?

Siegi Stemer: Es geht einem nicht gut. Es war auch eine besondere Situation, weil am Höhepunkt dieser Geschichte mein Vater gestorben ist. Genau zu dieser Zeit wurde diese Geschichte von bestimmten Medien stark forciert. Viele sagen: „Was hat das für eine Rolle gespielt, ob der Stemer einen Tag früher oder später von der Handkassa wusste?“ Dass sie existiert, habe ich erst erfahren, als der Geschäftsführer sie im Landhaus abgegeben hat. Selbst er hat einen Tag vorher mir gegenüber nur angedeutet, er glaube, es gebe eine Handkassa. Was rundherum konstruiert wurde, wissen viele Leute. Es ist unglücklich gelaufen, ich habe vielleicht auch Kommunikationsfehler begangen.

WANN & WO: Ist der Landesrat für jeden Euro verantwortlich?

Siegi Stemer: Es wurde nicht korrekt abgewickelt, daran besteht kein Zweifel. Aber es hätte nichts geändert, wenn ich einen Tag früher davon erfahren hätte. Wir haben sehr viel für den Sport bewegt, aber manche formalen Dinge nicht exakt genug eingehalten. Vielleicht hätte ich manches straffer führen sollen, das kann man mir vorwerfen. Wenn Personen und Umstände es so zuspitzen, wird rasch nach einem sogenannten Opfer gesucht. Vielleicht hat ein Landesrat einige Sekunden nicht rasch genug reagiert und dann packt man ihm am Schlafittchen. Das war aber nicht der Grund für meinen Rücktritt. Ich habe durch diese Aufbauschung gespürt, dass ich das nicht mehr mitmachen möchte.

WANN & WO: Hatten Sie das Gefühl, dass gewisse Personen Ihr Vertrauen missbraucht haben?

Siegi Stemer: Wenn ein Geschäftsführer, der mir gegenüber verantwortlich ist, vorgaukelt, er vermute, es gebe eine Handkassa, und diese am nächsten Tag im Landhaus abgibt, ohne mich zu informieren, fühle ich mich missbraucht. Er hat sie direkt nach unserem Gespräch gesucht – was heißt „gesucht“? Er wusste, wo sie ist.

WANN & WO: War das kalkuliert?

Siegi Stemer: Das war seine Flucht nach vorne, bei dieser Kalkulation waren auch andere Personen beteiligt. Ich weiß, wie es war, aber näher möchte ich nicht darauf eingehen.WANN & WO: Sie haben das ja einigermaßen ruhig über sich ergehen lassen. Gab es die Überlegung, selbst in die Offensive zu gehen?

Siegi Stemer: Nach außen war ich ruhig, aber in mir brodelte ein Vulkan. Da sind mir verschiedenste Gedanken gekommen. Auch, ob ich nach so langer Zeit verdient habe, dass man so mit mir umspringt. Ich hatte nichts angestellt, sondern bin Opfer einer kalkulierten Falle geworden – andere haben mir gesagt, dies sei ihr Empfinden. Ich habe überlegt, was ich tun könnte, aber es bestand zu dieser Zeit keine Chance. Man wollte die wirklichen Hintergründe nicht wissen. Im Nachhinein ist man draufgekommen, dass das mit der Handkassa nicht korrekt war, aber hätte damals der Geschäftsführer eine sofortige Dokumentation verlangt, wäre nichts gewesen.

WANN & WO: Wie hat das persönliche Umfeld in dieser Zeit reagiert?

Siegi Stemer: Aus meiner subjektiven Wahrnehmung stand das ganze Montafon auf meiner Seite. Viele haben gesagt, ich müsse wegen so einer Kleinigkeit nicht zurücktreten. Ich habe im April eine von allen Montafoner Bürgermeistern unterzeichnete Ehren-Urkunde für mein langjähriges Engagement erhalten. Das hat mir große Freude bereitet.

WANN & WO: Ihr politisches Vermächtnis hat also nicht gelitten?

Siegi Stemer: Ich glaube nicht. Aber wenn man meinen Namen googelt steht halt überall „Trat wegen einer Schwarzkassa zurück.“ Wenn ein Politiker zurücktritt, hat er Dreck am Stecken. Das ist die erste Reaktion, damit werde ich leben müssen.

WANN & WO: Ihr Sohn ist heute zehn Jahre alt. Wie ist für Sie der Rollenwechsel vom Schullandesrat zum Vater eines Schülers?

Siegi Stemer: Dieser Übergang ist gewöhnungsbedürftig und geht nicht von heute auf morgen. Kritikpunkte von Eltern werden aber verständlicher. Mein Sohn geht in die VMS Schruns Grüt. Er hat diese Entscheidung selbst getroffen. Vor einiger Zeit hat es auch geheißen: „Man wird sehen, wo der Sohn des Herrn Landesrat dann nach der Volksschule ins Gymnasium gehen wird.“ Ich kann sagen, er geht mit viel Freude in die Mittelschule. Für mich eine späte Genugtuung, weil ich überzeugt bin, dass in den VMS hervorragend gearbeitet wird. Er ist ein guter, fleißiger Schüler, aber er muss sich schon anstrengen.

WANN & WO: Ist Ihre Handschrift im Bildungssystem zu erkennen?

Siegi Stemer: Ich bemerke, dass unser Einsatz in Sachen Frühpädagogik, für den Übergang von Kindergarten in die Volksschule und danach, noch fortgesetzt wird. Diese Basisbildung stellt die Weichen für jede weitere Bildungslaufbahn.

WANN & WO: Wie ist Ihre Familiensituation allgemein?

Siegi Stemer: Ich bin seit 17 Jahren mit meiner Partnerin glücklich. Wir haben in Vandans ein Eigenheim gebaut und es ist wunderbar. Mein erster Sohn ist 2007 leider mit 23 Jahren an einer verschleppten Angina verstorben. Es war ihm schon im Oktober wieder gut gegangen und er hatte die Antibiotika nicht fertig genommen. Kurz vor Weihnachten bekam er eine Herzmuskelentzündung, ist in der Nacht eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht.

WANN & WO: Wie verkraftet man so einen Schicksalsschlag?

Siegi Stemer: Das war eine schlimme Geschichte. Meine damalige Frau – wir waren schon geschieden – muss ich heute noch bewundern. Sie war alleine in unserem ehemals gemeinsamen Haus. Unvorstellbar, als Mutter den einzigen Sohn zu verlieren. Das kann ich weder beschreiben noch nachvollziehen. Ich habe mich in die Arbeit gestürzt. Als Schullandesrat, Vorsitzender der Pädagogischen Hochschule und Sportlandesrat war ich massiv gefordert. Ich hatte eine 90-Stunden-Woche und habe in dieser Zeit über 3000 Sportveranstaltungen besucht. Ohne Zwang, denn ich habe für den Sport gelebt. Was einem Freude macht, das macht man auch gut. Schule und Sport waren mein Ding!

Zur Person Siegi Stemer

Alter: 64 Wohnort: Vandans Laufbahn: Bürgermeister St. Anton im Montafon (1981 – 1997), Standesrepräsentant Montafon (1985 – 1996), Abgeordneter, Klubobmann ÖVP (1989 – 1997, Landesrat für Sport und Bildung (1997 – 2012), Landesschulratspräsident (2000 – 2012).

(WANN & WO)

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