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„Ich habe keine Angst mehr“

©W&W/Sams
Vergangenes Wochenende demonstrierten in Bregenz hunderte Menschen gegen Rassismus. WANN & WO sprach mit Organisatorin Noreen Mughal (18) über die Demo, Alltagsrassismus im Ländle und ihren Wunsch nach mehr Offenheit und Akzeptanz.

von Harald Küng/Wann & Wo

WANN & WO: Was war für dich und deine Mitstreiterinnen der ausschlaggebende Grund, aktiv zu werden und eine Demonstration gegen Rassismus zu organisieren?

Noreen Mughal: Dafür gibt es eigentlich unzählige Gründe. Aber ich denke, der ausschlaggebende Punkt war definitiv, dass sonst niemand in Vorarlberg eine Kundgebung oder derartiges zum Thema Anti-Rassismus und #blacklivesmatter veranstaltet hat. Demnach haben wir das dann einfach selbst in die Hände genommen. Initiatorin war Johanna Mathis, die Organisation habe größtenteils ich übernommen. Trishia Javier und Marina Müller haben uns tatkräftig bei unserem Social Media-Auftritt und auch bei der generellen Abhaltung der Kundgebung geholfen.

WANN & WO: Wie hast du die Stimmung vor Ort wahrgenommen?

Noreen Mughal: Es war einfach nur überwältigend. Gerade weil ich selbst eine PoC (Anm. d. Red.:„Person of Colour“) bin und viel Rassismus in meinem Alltag erlebe, war es ein unbeschreibliches Gefühl, auf dem Podium zu stehen und die versammelten Menschen zu sehen, die alle ein gemeinsames Ziel haben: gegen Rassismus zu kämpfen. So komisch es auch klingen mag, es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich in meinem eigenen Kampf gegen Diskriminierung bestärkt und unterstützt gefühlt habe. Es lag das Gefühl der Solidarität in der Luft.

WANN & WO: Du hast eben erwähnt, dass du selbst immer wieder mit Rassismus konfrontiert wirst. Welche Erfahrungen hast du bereits gemacht? Und wie geht es dir dabei, wenn du selbst rassistische Erfahrungen machen musst?

Noreen Mughal: In Vorarlberg ist Rassismus weniger offen sichtbar. Natürlich gibt es auch offenen Rassismus, das N-Wort, Hetze gegen Ausländer. Im Ländle läuft Rassismus aber meist versteckter ab, verinnerlicht und passiv-aggressiv. Die Leute sprechen mit mir gebrochenes Deutsch, in Geschäften wird mir speziell auf die Finger geschaut, dass ich ja nichts mitgehen lasse. Im Zug setzt man sich absichtlich drei Sitze weiter weg von mir  oder ich werde angeschaut, als würde ich vom Mars stammen. Das sind alles Dinge, die für viele im ersten Moment gar nicht rassistisch erscheinen – dennoch sind sie es. Diese Relativierung von Rassismus ist es auch, in der ich die Gefahr sehe – das Aberkennen der Gefühle von BPoC (Anm. d. Red.: „Black People And People of Colour“). Ich lebe schon mein ganzes Leben im Ländle, werde aber bis heute als nicht zugehörig wahrgenommen. Es tut schlicht weg weh, im eigenen Land als Fremde angesehen zu werden. Mittlerweile wehre ich mich dagegen, da ich keine Angst mehr habe, meine Stimme auch zu verwenden. Viele jedoch können das nicht und trauen sich erst gar nicht, sich gegen den Rassismus zu wehren, weil man ja nie weiß, was dann mit einem passieren könnte.

WANN & WO: Du hast indisch-pakistanische Wurzeln. Wann kam deine Familie nach Vorarlberg und wie wurde sie einst aufgenommen?

Noreen Mughal: Meine Eltern kamen damals zum Arbeiten ins Ländle – das ist über 20 Jahre her. Meine Mutter ist Diplomierte Krankenpflegerin, hat das auch in Indien studiert. Mein Vater wurde sehr früh selbstständig und besitzt mittlerweile ein mehrfach ausgezeichnetes Restaurant in Feldkirch. Doch der Start war für beide sehr schwierig. Beide kamen in einer Zeit nach Vorarlberg, in der hierzulande so gut wie keine Dunkelhäutigen zu sehen waren. Sie leisteten beide somit Pionierarbeit bei der Schaffung von Akzeptanz. Sie mussten sich ihren Weg hart erarbeiten und hatten zudem die unfreiwillige Pflicht, den Menschen hier zu beweisen, dass AusländerInnen nicht nur hier sind, um zu schmarotzen oder den Vorarlbergern die Arbeit zu stehlen. Ich kann meine Dankbarkeit für all das, was sie geschafft haben, gar nicht in Worte fassen. Ohne ihre Vorarbeit gegen Rassismus und für Offenheit, die sie vor über zwei Jahrzehnten leisteten, hätten es meine Schwester und ich – aber auch viele andere Menschen hier im Montafon – heute um einiges schwieriger.

WANN & WO: Du lebst in Schruns, eine kleine Gemeinde im Ländle. Wie nimmst du den Alltag in der Gemeinde wahr?

Noreen Mughal: Rassismus ist immer noch da, die Menschen „meinen es halt nicht so“. Das ist natürlich keine Ausrede. Für viele Menschen stehen Arbeit und Geld an erster, die eigene Bildung erst an zweiter Stelle. Das bemerke ich auch gerade bei Menschen in meinem Alter. Sätze wie „Hock ganz hintere im Bus“ sind auch schon oft genug in meine Richtung gefallen. Grundsätzlich ändert sich das rassistische Gedankengut aber  hier. Ich traue mich zu behaupten, dass diese Veränderungen auch von  meiner Familie und mir vorangetrieben worden sind.

WANN & WO: Wie erklärst du dir, dass Menschen alleine aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe diskriminiert und angegriffen werden?

Noreen Mughal: Es geht vor allem um Angst vor dem Fremden und Neuen und einen niedrigen Bildungsgrad. Denn Bildung schafft Offenheit und erweitert den Horizont. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen – nicht jeder, der gebildet ist, ist auch offen und nicht rassistisch. Aber diese Korrelation von Rassismus und niedrigem Bildungsgrad ist für mich sehr stark spürbar. Auch das Alter der Menschen ist ein Faktor. Viele ältere Menschen sind eher noch rassistisch „weil es bei ihnen ja noch so war“. Sie kennen nichts anderes. Wie auch? Ihre Zeit war weniger bunt und offen wie sie jetzt ist. Aber natürlich gibt es auch unzählige junge Leute in meinem Alter, die rassistisches Gedankengut hegen.

WANN & WO:  Bleiben wir beim Thema Bildung: Wie wird ­Rassismus bei euch im Unterricht behandelt?

Noreen Mughal: Kaum bis gar nicht. Meist werde ich zu Aussagen gegen Rassismus aufgefordert, da ich fast immer die einzige nicht-weiße Person in meiner Schullaufbahn bin und war. Wir haben in Österreich eine Schulpflicht – eigentlich eine tolle Ausgangslage. Sensibilisierung und das Schaffen von Bewusstsein für die Thematik sollte schon frühestmöglich beginnen. Kinder sollten schon früh über Rassismus und Diskriminierung nicht-weißer Menschen informiert werden und früh lernen, was es bedeutet, weiß zu sein und welche Privilegien ihre Hautfarbe mit sich bringt. Und vor allem sollten sie lernen, wie sie ihr Wissen richtig einsetzen und gemeinsam Hand in Hand gegen Rassismus antreten können.

WANN & WO: Durch den gewaltsamen Tod George Floyds in den USA durch einen Polizisten flammte das Thema weltweit auf. Wie siehst du die Situation in den Staaten? Denkst du, die aktuellen Vorgänge bringen eine nachhaltige ­Veränderung?

Noreen Mughal: Ich bin eine große Befürworterin, dass das Volk seine Stimme gegen Ungerechtigkeit erhebt. Und wie man sieht, zeigen sich auch schon erste Auswirkungen durch die Proteste. Beispielsweise wird die Polizei der Stadt Minneapolis, jener Stadt, in der George Floyd ermordet wurde, nun komplett neu aufgestellt. Man sollte nie vergessen, dass die Politik für das Volk arbeitet und nicht andersrum. Ohne das Volk, ohne die BürgerInnen eines Staates, hat die Politik niemanden, für den sie arbeiten kann. Und gerade deshalb finde ich, dass die derzeitige Bewegung auch unter der Trump-Regierung vieles ausrichten kann – auf gesellschaftlicher Ebene sowie auf politischer.

WANN & WO:  Die Proteste in den USA schwappten schnell nach Europa. Kannst du nachvollziehen, dass sich das Thema wie ein Lauffeuer ausbreitete – auch in Österreich?

Noreen Mughal: Ja, durchaus. Denn auch in Österreich gibt es – wie bereits eingangs erwähnt – genügend Rassismus und Diskriminierung von nicht-weißen Menschen. Es handelt sich nicht nur um ein „amerikanisches Problem“. Deshalb bitte ich alle weißen Menschen: Arbeitet aktiv im Kampf gegen Rassismus mit uns mit. Denn ihr könnt in dieser Debatte um Welten mehr erreichen, als wir. Weiße Menschen drücken die Hand von oben auf die nicht-weiße Bevölkerung. Wir können aber dagegen drücken, soviel wir wollen – wenn die Hand nicht von selbst gehoben wird. Eine bunte Gesellschaft und ein Leben in Frieden sind schöne Dinge. Solange es jedoch keine Gerechtigkeit gibt, wird auch der Frieden ausbleiben.

WANN & WO: Welche Message möchtest du unseren Lesern ab­­schließend noch mitgeben?

Noreen Mughal: Offenheit und Akzeptanz sind der Schlüssel zum Erfolg. Wir müssen als Gesellschaft  offener werden, Neues akzeptieren und vor allem zelebrieren. Gerade die weiße Bevölkerung sollte sich endlich bewusst werden, dass Rassismus nicht von den BPoC ausgeht, sondern von ihnen selbst. „White Supremacy“ ist kein Problem der Nicht-Weißen, sondern der weißen Bevölkerung. Weiße Menschen müssen sich ihren Privilegien bewusst werden und diese auch richtig im Kampf gegen Rassismus einsetzen. Einfach nur nicht rassistisch zu sein, reicht nicht aus. Man muss anti-rassistisch sein, um etwas zu verändern.

Kurz gefragt

Vervollständige folgenden Satz: ­Rassismus ist für mich … ... unverständlich und sehr schmerzhaft.

Blickst du optimistisch in die Zukunft? Ja, denn die nicht-weiße Bevölkerung hat endlich die eigene Stimme gefunden und benutzt diese nun auch.

Was hast du nach der Matura vor? Viel Reisen und neue Menschen kennenlernen, um meinen eigenen Horizont weiter zu vergrößern. Und für Gerechtigkeit, Gleichbehandlung und Frieden unermüdlich weiterzukämpfen.

Warst du schon immer ein politischer Mensch? Ja – als nicht-weiße Person bleibt dir in Österreich auch nichts anderes übrig.

Wie würde für dich die perfekte Gesellschaft aussehen? Meine Wunschvorstellung zeigt mir eine offene, akzeptierende Gesellschaft.

Welche Person (historisch oder ­aktuell) würdest du gerne einmal treffen, und warum? Natürlich Menschen wie Dr. Martin Luther King, Nelson Mandela, Mahatma Gandhi, Rosa Parks etc., um sie zu fragen, wie sie diesen unermüdlichen Kampf gegen Rassismus geschafft haben und nie aufgehört haben, diesen auch weiterzuführen.

Zur Person: Noreen Mughal

Wohnort: Schruns
Alter: 18 Jahre
Ausbildung/Funktion: VS und HS Schruns, nun HLW Rankweil (Matura 2021)
Hobbys: Politisches Engagement, lesen, kochen, reisen, Zeit mit FreundInnen verbringen

Die gesamte Ausgabe der Wann & Wo lesen Sie hier.

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