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"Habe weder vor zu sterben noch auszuwandern"

Nach fast sieben Jahren an der Spitze der NEOS kündigte Gründer Matthias Strolz vor rund zwei Wochen seinen Rücktritt an.
Nach fast sieben Jahren an der Spitze der NEOS kündigte Gründer Matthias Strolz vor rund zwei Wochen seinen Rücktritt an. ©APA
Schwarzach - NEOS-Gründer Matthias Strolz im Sonntags-Talk über seine Zeit in der Politik und seine Pläne für die Zukunft.

Von: Martin Begle/WANN & WO

WANN & WO: Schön, dass das mit unserem Interview geklappt hat.

Matthias Strolz: Ich freue mich! WANN & WO – die Heldenzeitung meiner Jugend! Ich habe unserer Pressesprecherin erklärt, dass es damals ein Adelsschlag war, wenn man in der W&W war. Spät aber doch, habe ich es geschafft. (lacht)

WANN & WO: Ist Ihnen mit dem Rückzug aus der Politik eine Last von den Schultern gefallen?

Matthias Strolz: (lacht) Es war schon ein schwerer Gang. Ich habe mich über Monate auf diesen Schritt vorbereitet, damit er auch gut und geordnet vonstatten geht. Es ist schon eine gewisse Erleichterung da. Entscheiden muss man so etwas alleine, aber natürlich habe ich viele Gespräche geführt. Mit meiner Frau, Freunden, Kolleginnen und Kollegen. Ich glaube, es ist für den nächsten Wachstumsschritt wichtig, dass ich als Gründer Platz mache. Mit 2019 aufwärts wären wir in eine Gründerfalle gewachsen. Wie bei einem Senior-Chef, der seinen Betrieb nicht übergibt und seinen Nachfolgern immer in die Suppe spuckt.

WANN & WO: Was wäre die Gefahr dabei?

Matthias Strolz: Wenn man sich für unersetzbar hält und deswegen nicht mehr auf das große Ganze achtet, wird es problematisch. Ich habe fast sieben Jahre an einer Organisation gebaut, die ich nie von einer einzelnen Person abhängig machen wollte. Es heißt ja auch NEOS und nicht Liste Strolz. Jetzt ist es Zeit für eine frische neue Führung.

WANN & WO: Sie waren Journalist, Moderator, Trainer, Politiker, Unternehmer, Berater, Autor… welcher Job macht Ihnen am meisten Spaß?

Matthias Strolz: Die machen mir alle Spaß, das ist ja ein Stück weit mein persönliches Problem (lacht). All diese Stationen haben mir Freude bereitet, waren aber auch anstrengend. Hart zu arbeiten hat mir immer Freude gemacht. Ich begreife das alles auch als zutiefst artverwandt. Ich bin ein Gärtner des Lebens: Ich kultiviere soziale Felder. Ob ich das als Vater, Buchautor, Politiker, Unternehmer mache – mir geht es immer um die Frage, wie ich Lebendigkeit fördern kann. Das ist in der Erziehung so, wie bei Texten, die ich schreibe, bei Führungsaufgaben in der Partei oder in der parlamentarischen Arbeit.

WANN & WO: Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die vergangenen Jahre in der Politik zurück?

Matthias Strolz: Ich liebe Politik, das ist ungebrochen. Natürlich blicke ich mit großer Dankbarkeit zurück, weil uns viel gelungen ist, aber es schmerzt auch. Das ist wie dem der Jugend entwachsenen Kind zu sagen: „Jetzt geh hinaus in die Welt!“ Da wird der Papa nicht nur hell auflachen. Ich blicke mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück.

WANN & WO: Hat sich die politische Kultur in dieser Zeit stark verändert?

Matthias Strolz: Die Sozialen Medien haben alles massiv beschleunigt. Die Reizüberflutung ist stärker geworden. Das politische Klima hat sich auch ein Stück weit polarisiert – nicht zuletzt durch die Flüchtlingsfrage. Es gibt oft nur Schwarz und Weiß. Wir sind auch Freunde der Zuspitzung, aber grundsätzlich eine moderate Kraft der Mitte, der Vernunft. Es fällt nicht immer leicht, sich Gehör zu verschaffen, wenn man der Sachlichkeit verpflichtet ist. Da tun sich andere leichter. Außerdem habe ich mir zum Beispiel Lügen verboten, das ist ein klarer Wettbewerbsnachteil. Auch Dirty-Campaigning, der oft versteckte Schmutzkübel, kommt für mich nicht in Frage. Wir haben auf vieles verzichtet, das zwar grundsätzlich funktioniert, wir in einer Demokratie aber für falsch halten.

WANN & WO: Was sagen Sie zur Rede von Michael Köhlmeier?

Matthias Strolz: Ich finde, er hat da schon einen wichtigen Punkt angesprochen, dass man diese Regierung in die Pflicht nehmen muss, insbesondere auch die FPÖ. Ich kann HC Strache zugestehen, dass er persönlich Umkehr und Besserung verspricht. Strukturell gibt es in der Partei aber so viele braune Nester, dass es elend ist für unser Land.

WANN & WO: Was sind denn in Österreich die größten Baustellen?

Matthias Strolz: Es gibt großen Reformbedarf. Weg vom Parteienstaat hin zu einer Republik der Bürgerinnen und Bürger. Dieser Weg wurde von Kurz zwar ein Stück weit angedeutet, aber ich sehe nicht, dass das irgendwo eingehalten wird. Er macht halt Dinge, die viel Applaus bringen, aber Reformen werden kaum angegangen: Dass man das Kammerwesen reformiert. Dass man die Parteienförderung und den Einfluss der Parteien zurückdrängt. Es muss die strukturelle Korruption eingedämmt werden. Wir brauchen eine Pensionsreform, damit das System auch für unsere Kinder hält. Das sind halt Weichenstellungen, die erst mittel- oder langfristig zum Tragen kommen. Hier darf sich die Politik aber nicht wegducken.

WANN & WO: Sind diese Themen zu unpopulär?

Matthias Strolz: Schon, aber dafür ist doch die Politik da. Wenn man eine gewisse innere Freiheit hat, kann man solche Dinge auch machen. Aber wenn du an der Macht und an deinem Amt hängst, dann bist du unfrei. Da wird viel versprochen und zu wenig gehalten.

WANN & WO: Ist das Verantwortung, die man nicht übernehmen will?

Matthias Strolz: Absolut. Es geht aber auch darum, dass sich Abgeordnete willfährig ergeben, damit sie ihr Mandat behalten. Hier gehen wir mit offenen Vorwahlen andere Wege.

WANN & WO: Wem würden sie gerne einmal die Flügel stutzen?

Matthias Strolz: Am Mittwoch hätte ich gerne dem Sebastian Kurz die Flügel gestutzt. Ich finde es ungehörig, dass er zum vierten Mal in Folge nicht im Parlament erscheint. Angela Merkel war beim selben Treffen wie er und hat die Zeit gefunden, am Mittwoch im Bundestag zu sein. Wir sind die gewählten Volksvertreter und im Vorfeld eines österreichischen EU-Ratsvorsitzes wollen wir mit ihm auch in die Diskussion gehen. Sich da wegzuducken, finde ich ungehörig und feige. Er muss sich auch den Realitäten im Land stellen, statt nur seine Marketingmasche abzuziehen.

WANN & WO: Was hat Ihre Familie zum Rückzug aus der Politik gesagt?

Matthias Strolz: Mit meiner Frau hatte ich viele Diskussionen. Einerseits freut sie sich für die Familie, dass wir jetzt mehr Zeit miteinander haben werden. Andererseits hat sie etwas Bammel, was als Nächstes kommt, weil ich halt ein Gschaftlhuber bin. So von wegen: „Was fällt ihm denn als Nächstes wieder ein?“ (lacht). Die älteste Tochter war sehr traurig. Sie hat gesagt, ich müsse noch vier Jahre bleiben, weil sie mich ein Mal wählen können möchte. Die Jüngste hat jetzt Angst, dass wir aus der Wohnung ausziehen müssen, weil der Papa keinen Job mehr hat. Das spielt sich also in einer großen Bandbreite ab (lacht).

WANN & WO: Kehren Sie mit der Familien nach Vorarlberg zurück?

Matthias Strolz: Das ist nicht geplant, aber wir alle lieben Vorarlberg! Ich bin bis zum Lebensende ein Vorarlberger, aber auch ein Wiener. Für mich geht sich das beides aus. Wir hatten unseren Familiensitz von Beginn an in Wien und daran wird sich auch nichts ändern. Wir freuen uns auf Besuche bei der Mama oder bei Tanten. Für Juli ist eine Urlaubswoche im Ländle geplant.

WANN & WO: Gibt es Dinge, die sie bereuen oder anders machen würden?

Matthias Strolz: Das sind oft Kleinigkeiten, wobei ich sagen muss, dass ich zu jenem Zeitpunkt auch nicht wusste, dass es anders besser wäre. Mit dem Wissen von heute würde ich schon manches anders machen.

WANN & WO: Werden wir ab Herbst von Matthias Strolz auf politischer Ebene nichts mehr hören?

Matthias Strolz: Ich habe mir vorgenommen, dass ich nicht am Balkon sitze und á la Muppetshow alles kommentiere. Wenn meine Nachfolge mich ruft, bin ich da, um intern zu helfen. Ich werde einfaches Mitglied sein, mit einer besonderen Geschichte. Ich werde nicht völlig aus der Öffentlichkeit verschwinden, denn ich habe weder vor zu sterben noch auszuwandern.

WANN & WO: Haben Sie sich trotz alledem Ihren Optimismus bewahrt?

Matthias Strolz: Absolut, ich bin ein Kind der Zuversicht. Das werde ich immer sein. Was aber nicht heißt, dass ich nicht auch mal einen Abend habe, an dem ich frustriert auf der Couch liege, sinnlos herumzappe und mich frage, was ist denn das für ein Scheißplanet? Aber am nächsten Morgen bin ich wieder auf dem Posten, mit neuem Mut und neuer Entschlossenheit. Kurz schütteln und weiter geht’s.

WORDRAP

Politik: Der Ort, wo wir uns ausmachen, wie wir miteinander leben.

Österreich: Meine Heimat.

EU: Meine größere Heimat.

Vorarlberg: Meine erste Heimat.

Chancen: Flügel heben.

Achtsamkeit: Ganz wichtig.

Familie: Das Größte.

Weggefährten: Ich liebe sie!

Vergangenheit: Meine Wurzeln.

Zukunft: Ein Raum, den wir gemeinsam erschaffen.

Zur Person

Name: Matthias Strolz Geboren: 10. Juli 1973 Beruf: Politiker, Unternehmer, Autor, Berater, Moderator Herkunft/Wohnort: Dalaas (Wald am Arlberg)/Wien Familie: Frau Irene, drei Töchter

(WANN & WO)

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