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„Große Politik ist heute unberechenbar geworden“

Hans Jörg Schelling ist zu Gast im Sonntags-Talk.
Hans Jörg Schelling ist zu Gast im Sonntags-Talk. ©W&W
Der gebürtige Hohenemser Dr. Hans Jörg Schelling ist ein politisches und ökonomisches Schwergewicht. Der ­ehemalige ­Finanzminister über die grüne Regierungsbeteiligung, „neue Denkwelten“, Steueroasen und das Gesundheitssystem.

von Harald Küng/Wann & Wo

WANN & WO: Sie waren bis Ende 2017 Finanzminister der Republik, heute sind Sie noch als Unternehmensberater tätig und beschäftigen sich als Präsident des Vereins „Praevenire“ mit Gesundheitsthemen. Geht Ihnen die Politik ab?

Hans Jörg Schelling: Nein, die Politik geht mir nicht ab – auch wenn ich die Zeit nicht missen möchte. Auch jetzt, in meiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Präsident des Vereins „Praevenire – Gesellschaft zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung“ möchte ich etwas bewegen. Wir wissen, dass im System Änderungen vorgenommen werden müssen, damit wir auch in Zukunft ein leistungsfähiges Gesundheitssystem mit der besten medizinischen Versorgung für die österreichische Bevölkerung gewährleisten können.

WANN & WO: Wie nehmen Sie den Sprung Ihrer Partei von einer Regierung mit der FPÖ zu den Grünen wahr? Auf Landesebene – nicht zuletzt im Ländle – ist dieses Modell schon lange erfolgreich. Was kann der Bund sich bei den Ländern abschauen?

Hans Jörg Schelling: Man kann Land und Bund aufgrund der unterschiedlichen Aufgaben nicht wirklich vergleichen. Viele Dinge lassen sich auf Landesebene pragmatischer lösen. Die Grünen beweisen jedenfalls in den Ländern, dass sie regierungsfähig sind und gelernt haben, Kompromisse einzugehen. Ich schätze die Grünen – mit Herrn Kogler hatte ich in meiner Zeit als Finanzminister viel zu tun. Aber viele Themen, wie die Steuerreform, sind erst in der Diskussionsphase, daher heißt es abwarten und dann die Ergebnisse bewerten. Die Mühen der Ebene kommen jetzt.

WANN & WO: Werfen wir einen Blick auf das Weltgeschehen: Sie sprechen sich dafür aus, „in eine neue Denkwelt“ einzutreten. Was meinen Sie damit und wie könnte diese aussehen?

Hans Jörg Schelling: Wir erleben eine Zeit, in der die große Politik unberechenbarer geworden ist, in der Nationalismus und Protektionismus im Vormarsch sind und Außenpolitik zum Zwecke des innenpolitischen Erfolgs gemacht wird. Das ist gefährlich, auch weil die handelnden Personen zum Teil über keine politische Erfahrung verfügen. Österreich mit seinem hohen Exportanteil ist durch politische Entscheidungen wie aus den USA – etwa Strafzölle – mehr gefährdet, als durch wirtschaftliches Handeln. Wir brauchen ein anderes, stärkeres Europa, das klare Positionen bezieht und sich nicht von anderen vorführen lässt. Denn kein europäisches Land, auch nicht Deutschland, spielt ohne Europa in der Welt eine bedeutende Rolle. Europa muss lernen, sich zu wehren, sonst wird die Welt nur noch von Russland, China und den USA diktiert.

WANN & WO: Apropos Russland: Sie hatten einen Strategieberatungsvertrag für das Pipelineprojekt Nord Stream 2, an dessen Finanzierung die OMV beteiligt ist. Sind Sie hier noch beratend tätig?

Hans Jörg Schelling: Nein. Mein Vertrag mit der Nord Stream 2 ist seit Jahresende 2019 beendet. Mit der Gazprom hatte ich nie einen Vertrag.

WANN & WO: Im Mai vergangenen Jahres wurde bekannt, dass Sie nicht in den Aufsichtsrat der OMV einziehen werden. Ist das Thema für Sie somit vom Tisch?

Hans Jörg Schelling: Aufgrund des Unvereinbarkeitsgesetzes gilt für Minister eine zweijährige cooling off Periode. Diese Zeit ist nun hinter mir, daher wäre eine Nominierung jetzt möglich. Aber das hat die ÖBAG (Österreichische Beteiligungs AG) mit der neuen Regierung zu entscheiden.

WANN & WO: Sie standen wegen eines Steuersparmodells von XXXLutz, dessen Geschäftsführer Sie zwischen 1992 und 2005 sowie Aufsichtsratsmitglied von 2005 bis 2011 waren, aufgrund einer Firmenkonstruktion mit einer Tochterfirma in Malta wegen des entstandenen Steuerentfalls für Österreich in der Kritik. Wie stehen Sie heute strengeren Richtlinien in Österreich für Steueroasen gegenüber?

Hans Jörg Schelling: Ich habe mich als Finanzminister immer – auch vor allem auf europäischer Ebene – dafür eingesetzt, Steueroasen zu schließen, denn interessanterweise passieren diese Dinge mitten in Europa und nicht, wie immer behauptet wird, auf irgendwelchen fernen Inseln. Dort passiert das auch, nur: Solange es sich um legale Konstruktionen handelt, ist der Gesetzgeber gefordert, allenfalls die Gesetze zu ändern. Ich habe das übrigens auch im Falle Malta gemacht, erst viel später sind andere europäische Länder unserem Beispiel gefolgt. Allerdings ist Steuerrecht eine Einstimmigkeitsmaterie und daher ist es sehr schwierig, mit Ländern wie Niederlande, Irland, Zypern, Malta oder auch in den Abkommen mit Liechtenstein und der Schweiz, Lösungen zu erreichen. Europa ist aber auf einem guten Weg, viele Maßnahmen – auch in Bezug auf Meldepflichten – sind realisiert. Steuerparadiese wie die USA, die mit dem Finger auf Europa zeigen sind jetzt endlich auf der Liste der Steueroasen angekommen und sogar vor der Schweiz gereiht. Das zeigt den Erfolg der Bemühungen.

WANN & WO: Wie sehen Sie das Gesundheitssystem in Österreich ganz allgemein aufgestellt?

Hans Jörg Schelling: Wir haben eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, allerdings mit über elf Prozent vom BIP auch eines der teuersten. Die großen Kostentreiber in der Zukunft sind der medizinische Fortschritt und die älter werdende Bevölkerung. Hinzu kommt, dass das System intransparent und von der Finanzierung her „zerklüftet“ ist. Es wird zwar seit Jahrzehnten über eine Finanzierung aus einem Topf, besseres Schnittstellenmanagement zwischen dem niedergelassenen und dem stationären Bereich, mehr Eigenverantwortung und Prävention diskutiert, aber es werden nur kleinste Fortschritte erzielt. Um das System finanzierbar zu halten, bedarf es daher einer großen Reform, bei der der Patient bzw. die Patientin sowie die Versorgung im Mittelpunkt stehen.

WANN & WO: „Praevenire“ hat im vergangenen November einen Zwischenbericht zum Weißbuch „Zukunft der Gesundheitsversorgung“ vorgestellt. Im kommenden Mai soll dieses an Bundes- und Landesregierungen übergeben werden. Welche Ergebnisse erwarten Sie sich?

Hans Jörg Schelling: Ich habe das Weißbuch vor rund einem Jahr initiiert. Seit dem Kick-off im Mai 2019 wirken nun bereits  über 300 ExpertInnen aus dem Gesundheitsbereich an der Erstellung eines ganzheitlichen Konzepts mit. Ganz nach dem Leitsatz „Struktur folgt Strategie“ werden derzeit in 30 Arbeitsgruppen die Inhalte und Vorschläge der ExpertInnen diskutiert und in weiterer Folge als Konsens- und Dissenspositionen formuliert. Wir entwickeln die Empfehlungen auf einer politisch neutralen Ebene und wollen für die Politik ein Wegweiser mit konkreten Handlungsempfehlungen zur Sicherung und Weiterentwicklung des österreichischen Gesundheitssystems sein. Die „Praevenire Initiative“ will eine patientenorientierte, wohnortnahe Versorgung sicherstellen und ist mittlerweile der größte Thinktank für das österreichische Gesundheitssystem. Die Regierung ist gut beraten, diese Reformvorschläge positiv anzunehmen, denn um die richtigen Entscheidungen zu treffen, braucht die Politik wissenschaftliche Grundlagen.

WANN & WO: Wie sehen Sie die ­aktuelle Situation der Krankenkassen?

Hans Jörg Schelling: Die vorgelegten Zahlen sollte man nicht überdramatisieren. Auch zu meiner Zeit als Präsident des Hauptverbandes gab es manchmal zu Jahresbeginn negative Prognosen, es ist aber immer gelungen, das Jahr positiv abzuschließen. Mir wäre aber lieber gewesen, wenn man nach dem Grundsatz gehandelt hätte, dass die Struktur der Strategie folgt und klare Fusionsziele definiert worden wären.

Zur Person

Alter, Wohnort, gebürtig aus: 66, St. Pölten, geboren in Hohenems

(Wichtigste) Karrierestationen: Matura am BG Feldkirch, BWL-Studium an der Johannes Kepler Uni Linz, GF Leiner/Kika Gruppe, Unternehmensberater, GF und Aufsichtsrat XXXLutz GmbH Wels, Aufsichtsratsvors. Volksbank und Pensionskassen AG der SV, Vizepräs. WKO, Finanzminister, Präsident „Praevenire“

Kurz gefragt

Wann waren Sie zuletzt im Ländle? Und wie bzw. wo verbringen Sie Ihre Zeit am liebsten, wenn Sie auf ­„Heimaturlaub“ sind?

Das letzte Mal war ich im Herbst im Ländle. Wenn ich dort bin, besuche ich meinen Neffen in Altenstadt. Heuer werde ich die Bregenzer Festspiele besuchen und dann einige Tage im ­Bregenzerwald verbringen.

Sie heißen eigentlich Johann Georg Schelling, bekannt sind Sie allerdings als Hans Jörg. Wie kam es dazu?

Das weiß ich leider auch nicht. Meine Mutter hat das so eingeführt und ich wusste selbst lange nicht, dass ich Johann Georg getauft wurde.

Vervollständigen Sie folgenden Satz: Geld ist für mich…

… angenehm zu haben, um sparsam und verantwortungsvoll damit ­umzugehen.

Sie betreiben seit zehn Jahren ein eigenes Weingut. Wann haben Sie die Liebe zu edlen Tropfen entdeckt? Und welcher Wein ist Ihr persönlicher Favorit?

In meiner Zeit im Möbelhandel war ich oft in Friaul, wo viele Möbelproduzenten auch kleinere bis mittlere Weingüter haben. Diese Kombination hat mich fasziniert und so entstand die Idee, einmal ein kleines Weingut zu betreiben, das dann ein großes wurde. Meine persönlichen Favoriten sind im Frühling und Sommer Gelber Muskateller und Rosé, das ganze Jahr über ein pfeffriger Grüner Veltliner wie mein GV Pfarrweingarten.

Wie verbringen Sie am liebsten Ihre Freizeit – sofern Sie überhaupt Zeit finden, bei Ihren zahlreichen ­Engagements?

Dafür bleibt durchaus noch Zeit. Ich gehe Skifahren, Segeln und ein bisschen Golfen. Mein liebstes Hobby aber ist das Kochen.

Haben Sie als ehemaliger ­Finanzminister einen Spartipp für unsere Leser?

Bei der aktuellen und noch länger anhaltenden Zinspolitik muss ich diese Frage leider mit „Nein“ beantworten.

Die gesamte Ausgabe der Wann & Wo lesen Sie hier.

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