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Großes Drama: Goethes "Stella" im Salzburger Landestheater

Salzburg - Ab welchem Grad der Hingabe wird die Liebe zur Selbstverachtung, wo ist die Grenze zwischen Liebe und hysterischem Fanatismus? Und wie viel Großzügigkeit kann man ertragen? Das sind Fragen, die in der Gesellschaft des Jahres 1775 wohl anders beantwortet wurden als heute. Bilder 

Dennoch ist Goethes Drama “Stella” ein gültiger Text, weil die damals unteilbare Liebe auch heute noch unteilbar ist. Das Salzburger Landestheater hat das Fünf-Personen-Stück gestern, Donnerstag, in den Kammerspielen herausgebracht.

Fernando verlässt seine Frau Cäcilie und seine Tochter. Er nimmt sich eine junge Geliebte und verlässt diese ebenfalls. In der ersten Version aus dem Jahr 1775 lassen sich dieser Mann und die beiden Verlassenen auf die Liebe zu dritt ein, ob und wie lange das gut geht, lässt Goethe offen. 30 Jahre später allerdings schreibt Goethe einen anderen Schluss: Fernando und die junge Geliebte töten sich aus Verzweiflung und Zerrissenheit. Cäcilie bleibt hohl und gefühllos im Leben übrig. Regisseurin Barbara Neureiter hat sich für Goethes zweiten, späten Schluss entschieden.

Das Landestheater hat die Kammerspiele auf den Kopf gestellt und Bühne und Zuschauerraum vertauscht. So ist ein neuer, guter Raum entstanden, in dem das Publikum auf die Bühne hinunter statt auf die Bühne hinauf schaut. Dort hat Korbinian Schmidt eine schnieke, gutbürgerliche Luxuswohnung eingerichtet, in der sich Stella in ihrer Liebe verzehrt. Neureiter hat die Stella mit der 45-jährigen Britta Bayer als “junge Geliebte” besetzt. Vielleicht, weil Britta Bayer diese Rolle zu füllen imstande ist.

Wild, verzweifelt, hysterisch und fanatisch gibt Bayer die liebeskranke Stella. Sie zertrümmert die Requisiten bürgerlicher Wohnlichkeit, und sie zerstört sich dabei selbst. Nicht jeder Satz greift als direkter Link in den seelischen Abgrund, aber das Spiel am Rand des Wahnsinns, der Tanz am Vulkan des großen Dramas, das ist Bayers Talent. Und das wiegt mehr als Jungsein – eine richtige Besetzung, eine vielfach beeindruckende Leistung.

“Fernando” Gerhard Peilstein scheitert als Schauspieler an den Texten der amourösen Feurigkeit und gleitet fallweise ab in den Schwulst. Aber er ist Mann. Und als solcher spielt er gut, wo es um die Feigheit geht. Er drückt sich gekonnt und windet sich von einer Ambivalenz in die andere. Hier scheint Peilstein auch zu spüren, was er sagt.

Claudia Dölker als Cäcilie hat zwei großartige Momente. Im ersten erkennt sie, dass es ihr eigenen Mann ist, den Freundin Stella abgöttisch liebt. Der zweite ist die Darstellung des emotionalen Sterbens, des hohlen Nichts-mehr-Fühlens nach dem Scheitern ihrer selbstverleugnenden, unwahren Großzügigkeit. Elisabeth Nelhiebel gibt die kleine Rolle der Tochter Lucie ohne recht einzugreifen ins Drama. Am Schluss aber, als die Liebe ins Zerstören kippt, da schreit sie den stummen Schrei der Kinder, die selbst zu zerbrechen drohen an der elterlichen Selbstzerfleischung. Regisseurin Neureiter hat diese wortlose Szene geschaffen und damit einen kraftvollen Schluss-Akzent gesetzt in einer insgesamt guten, kompakten Theater-Tragödie.

Bis zum 14. April stehen 12 weitere Vorstellungen auf dem Programm. Kartenreservierung unter 0662 / 87 15 12-0 oder http://www.salzburger-landestheater.at

Christoph Lindenbauer/APA

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