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Gift gefunden: Supermarkt-Erpresser vom Bodensee ist "psychisch auffällig"

Der im Fall der vergifteten Babynahrung am Bodensee festgenommene mutmaßliche Erpresser ist den Ermittlern zufolge ein Mann mit psychischen Auffälligkeiten.

Es handle sich um einen 53-Jährigen mit Brüchen in der Biografie, sagte Polizeivizepräsident Uwe Stürmer am Samstag in Konstanz. Der Mann aus Ofterdingen bei Tübingen sei ein exzentrischer Einzelgänger und nach Hinweisen aus der Bevölkerung am Freitagnachmittag festgenommen worden. Weitere Angaben wollte Stürmer nicht machen mit Blick auf das Persönlichkeitsrecht des Verdächtigen. Die Ermittler gehen davon aus, dass es keinen weiteren Tatverdächtigen gibt.

Mutmaßlicher Täter schweigt

Weil der Mann bisher nicht ausgesagt habe, gebe es keine Erkenntnisse zum möglichen Motiv. Er hatte einen Millionenbetrag gefordert und damit gedroht, weitere vergiftete Lebensmittel in Märkten auszulegen.

Täter bereits amtsbekannt?

Der Leitende Oberstaatsanwalt Alexander Boger sagte, dass der Mann nach ersten Erkenntnissen eine strafrechtliche Vorbelastung habe. Details nannte er nicht, weil ihm die Akte noch nicht vorliege.

Räuberische Erpressung: Bis zu 15 Jahre Haft drohen

Im Amtsgericht Ravensburg wurde der Mann Samstagnachmittag von einem Haftrichter verhört. Der Vorwurf lautet auf versuchte räuberische Erpressung. Laut Boger drohen ihm fünf bis 15 Jahre Haft im Fall einer Verurteilung. Boger schloss eine mögliche Beschuldigung auch wegen versuchter Tötung nicht aus. In dem Fall könnte er bei einem Schuldspruch auch zu lebenslanger Haft verurteilt werden.

Hoher Fahndungsdruck

Nach Ansicht des Kriminologen und Psychologen Martin Rettenberger hat der hohe Fahndungsdruck zur Festnahme im Fall des Supermarkt-Erpressers vom Bodensee geführt. Der Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden gibt im Interview der Deutschen Presse-Agentur auch Einschätzungen zu möglichen Motiven des Erpressers und zu Erfolgsaussichten für Täter und Ermittler.

dpa-Interview mit Martin Rettenberger

Der mutmaßliche Täter ist recht schnell nach Bekanntwerden des Falls gefasst worden. Wie erklärt sich dieser zügige Erfolg?

Antwort: Es gab gutes Material von Überwachungskameras, auf dem der mutmaßliche Täter sehr gut zu erkennen war. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Mann identifiziert wird, war relativ hoch. So kamen Hinweise aus der Bevölkerung, die die Ermittler wohl auf seine Spur geführt haben.

Wie waren überhaupt die Chancen, mit der Erpressung in Millionenhöhe durchzukommen?

Die sind üblicherweise äußerst gering. Die Taten und Täter wirken im ersten Moment sehr geplant und strukturiert, vielleicht auch überdurchschnittlich oder zumindest durchschnittlich intelligent. Aber bei genauerem Hinsehen ist das eben auch nur Fassade. Wirklich gut geplant kann solch ein Delikt nicht sein, weil die Erfolgschancen eher gering sind, dass es tatsächlich zu einer erfolgreichen Geldübergabe kommt und er damit auf Dauer davonkommt.

Wie sind die Aufklärungsquoten in Fällen solcher Erpresser?

Antwort: Üblicherweise sind die Aufklärungsquoten bei solchen aufsehenerregenden Erpressungsfällen relativ hoch, weil hoher Fahndungsdruck besteht, viel Öffentlichkeit mobilisiert wird. Es sind viele Hinweise eingegangen. Vieles von dem – das weiß man – ist kaum verwertbar. Aber der Ermittlungsdruck wird langandauernd hoch gehalten, bis der Täter gefasst ist. Das hat auch diesmal wohl zum Erfolg geführt.

Wie oft kommen solche Fälle mit Lebensmittel-Erpressern vor?

Antwort: Genaue Zahlen liegen darüber nicht vor. Aber wenn es solche spektakulären Ausmaße annimmt, ist das äußerst selten. Da haben wir in einem Zehn-Jahres-Zeitraum sicher nur sehr wenige Fälle.

Was könnte den Täter angetrieben haben?

Antwort: Im ersten Moment erscheint natürlich die Motivation, innerhalb kurzer Zeit an möglichst viel Geld zu kommen, vorrangig. Ich glaube allerdings, dass es darüber hinaus auch ein Motiv gibt, mit einer Straftat möglichst schnell in die Öffentlichkeit zu kommen. Womöglich steht da ein ausgeprägtes Geltungsbedürfnis im Hintergrund – unabhängig vom finanziellen Mehrwert. Man würde, wenn es nur ums Geld geht, wahrscheinlich andere Wege finden.

Was motiviert einen Täter, in die Öffentlichkeit kommen zu wollen? Geht es ihm auch um Ruhm?

Antwort: Ich glaube, dass es auch das Motiv gibt, öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen, von der man glaubt, sie verdient zu haben. Es kann sein, dass jemand denkt, er hätte schon viel früher, vielleicht auch mit legalen Dingen, Aufmerksamkeit bekommen sollen. Das wurde ihm verwehrt. Jetzt versucht er es auf diesem Weg. Da kann eine lange Kränkungsgeschichte, biografischer Art, im Hintergrund stehen.

Sie ordnen diesen Fall als sehr ungewöhnlich ein?

Antwort: Das ist auf jeden Fall eine ungewöhnliche Konstellation – und die Gott sei Dank nicht oft vorkommt. In der deutschen Kriminalgeschichte gibt es ein paar Fälle, die in diese Richtung gehen, aber die sind sehr selten. Eine Gemeinsamkeit dieser Fälle ist, dass man innerhalb kurzer Zeit bundesweit, zum Teil darüber hinaus, einen maximalen Aufmerksamkeitsfokus erhält.

Ihre Beschreibungen sprechen für eine große Selbstverliebtheit des Täters. Wie ernst muss man diesen Täter nehmen?

Antwort: Der ist auf jeden Fall ernst zu nehmen, weil Selbstverliebtheit leider keinen Schluss darauf zulässt, ob es harmlos ist oder nicht. Je nachdem, welche Biografie im Hintergrund steht, und wie viel kriminelle Energie vorhanden ist, kann das durchaus sehr gefährlich sein. Wenn jemand so weit geht, diese negative Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, dann muss man davon ausgehen, dass der Schaden für andere Menschen in Kauf genommen wird. So jemand ist auch bereit, das Feindbild der Nation zu werden.

ZUR PERSON: Martin Rettenberger arbeitet seit 2015 als Direktor der Kriminologischen Zentralstelle (Krimz) in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden. Der 36-Jährige ist habilitierter Psychologe, Kriminologe und Fachmann für Rechtspsychologie. Vor seiner Tätigkeit beim Krimz war Rettenberger als Junior-Professor für Forensische Psychologie an der Universität in Mainz tätig.

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