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Gerhart Holzinger im "VN"-Interview

Schwarzach - Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs sprach mit den "Vorarlberger Nachrichten" u.a. über eine Wahlrechtsreform und die Sinnhaftigkeit von EU-Volksabstimmungen.

VN: Herr Präsident, muss man sich Sorgen um die Justiz machen? Eine Anzeige gegen einen Minister (Strasser) wurde liegen gelassen, ein Verfahren gegen einen Landeshauptmann (Dörfler) sollte mit der Begründung eingestellt werden, dass er die Rechtsfolgen seines Handelns nicht einschätzen könne, …

Holzinger: Die Einzelfälle, die Sie ansprechen, werfen ein schiefes Licht auf diese Institution. Man muss ihnen daher nachgehen, vor allem, weil es auch darum geht, dem Eindruck entgegenzuwirken, dass nicht alle gleich behandelt werden. Aber insgesamt muss ich schon betonen, dass die Justiz am Allgemeinen gute Arbeit leistet.

VN: „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“, lernt jedes Kind. Aber bei LH Dörfler macht die Staatsanwaltschaft eine Ausnahme.

Das wäre problematisch und das würde ich so wie viele andere nicht verstehen. Aber meinen Informationen zufolge ist diese Begründung nicht maßgeblich gewesen und außerdem ist das ja noch ein offenes Verfahren.

VN: Bei Dörfler geht es um die Ortstafeln, wo ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht umgesetzt wird, ja das Höchstgericht verhöhnt wird.

Wir haben das tun, wozu uns die Verfassung ermächtigt. Das heißt, wann immer wir eine Verordnung zu den Ortstafeln zu prüfen haben und erkennen, dass sie verfassungswidrig ist, dann heben wir sie auf. Eine neue Verordnung zu erlassen, ist nicht unsere Aufgabe, sondern die Aufgabe von politischen Organen und Verwaltungsorganen. Das dem nicht Genüge getan wird, ist im höchsten Maß bedauerlich.

VN: Aber das Zuwiderhandeln kann doch nicht ohne Konsequenzen bleiben?

Schauen Sie, der Verfassungsgerichtshof hat Verordnungen, die er für gesetzwidrig erkennt, aufzuheben. Und wenn er das getan hat, dann hat er seine Aufgabe erfüllt. Abgesehen davon funktioniert das rechtsstaatliche System in Österreich in allen übrigen Fällen. Warum das hier nicht der Fall ist, das brauche ich Ihnen nicht zu sagen, das wissen Sie selber.

VN: Ist die Bundesregierung in Verzug?

Das ist diffiziler Soweit der Verfassungsgerichtshof solche Verordnungen aufgehoben hat, ist im Grund genommen die jeweilige Bezirkshauptmannschaft aufgefordert, eine neue Verordnung zu erlassen.

VN: Die Bundesregierung hat zu einem neuen Anlauf für eine Verwaltungsreform gerufen. Welche Wünsche haben Sie?

Wir haben uns im „Österreich-Konvent“ (2003 bis 2005) sehr eingehend mit einer Verfassungsreform beschäftigt. Allerdings trifft auf dieses Unternehmen zu, dass Berge gekreist haben und ein Mäuslein geboren worden ist. Viel ist nicht realisiert worden. Aus meiner Sicht wäre vor allem das seit einem Vierteljahrhundert verfolgte Projekt einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit (bzw. die Schaffung von Landes-Verwaltungsgerichten) wichtig; damit würde auch eine Vielzahl von Verwaltungssonderbehörden überflüssig werden.

VN: Größere Reformen sind nicht möglich?

Was größere Reformen wie eine Kompetenzbereinigung zwischen Bund und Ländern anlangt, bin ich nach vielen euphorischen Anläufen, die ich mitgemacht habe, zu einem großen Skeptiker geworden. Letztlich ist es immer zu einer Pattsituation gekommen.

VN: Das klingt sehr ernüchternd. Lassen sich die gegensätzlichen Vorstellungen von Bund und Ländern nicht zusammenführen?

Wir haben im „Österreich-Konvent“ nahezu alles, was es an Reformmöglichkeiten gibt, durchdacht und auch Vorschläge dazu gemacht. Also an Ideen mangelt es nicht. Wenn die Politik will, dann kann sie das umsetzen. Aber ob ihre Kraft dazu reicht, darüber will ich nicht spekulieren.

VN: Würde ein Mehrheitswahlrecht mehr Schwung in die Bundespolitik bringen?

Ich glaube noch immer an das Verhältniswahlrecht, das ist gerechter.

VN: Aber wenn man sich die Krise der Parteien vor Augen führt, sollte man doch zumindest das Persönlichkeitswahlrecht stärken?

Die Stärkung des Persönlichkeitswahlrechts hielte ich für einen guten Weg. Auch da gibt es seit vielen Jahren gute Vorschläge und fromme Wünsche. Scheitern tut es daran, dass die Parteien das letztlich nicht wollen.

VN: Dennoch: Was würde die Stärkung bringen?

Die Stärkung würde bedeuten, dass die starre Bindung an die von den Parteien festgelegten Listen aufgegeben wird. Dazu gibt es verschiedene Methoden. An Vorschlägen fehlt es wie gesagt nicht. Auch das Instrument der Vorzugsstimmen wäre dazu geeignet, aber das wird ja nicht einmal ernst genommen.

VN: Sie haben zuletzt auf dem Verfassungstag mit dem Vorstoß überrascht, auf nationaler Ebene eine Volksabstimmung über weitere EU-Reformverträge durchzuführen.

Mir ist es darum gegangen, eine Lanze für den Europäischen Gerichtshof zu brechen und die großartigen Erfolge der europäischen Integration aufzuzeigen. Ungeachtet dessen kann ich aber nicht ausblenden, dass viele Menschen das anders sehen und der Meinung sind, die Europäische Union habe für sie überhaupt nichts an Vorteilen gebracht, sondern eher dazu beigetragen, dass ihr Leben schwieriger geworden ist. Um diese Menschen muss man sich bemühen. Und daher glaube ich, dass künftig wichtige Integrationsschritte nur noch auf einer ganz breiten demokratischen Legitimation denkbar sind.

VN: Das Problem ist nur, dass durch nationale Volksabstimmungen ganz Europa eingebremst werden kann, wie man am Beispiel Irland sieht. Daher sagen viele, wenn schon eine Volksabstimmung, dann eine europaweite.

Wenn das im Gemeinschaftsrecht geregelt wird, dann muss man sich über eines im Klaren sein: Wenn das eine für den einzelnen Mitgliedsstaat verbindliche Volksabstimmung ist, dann ist das bisherige Prinzip aufgehoben, dass jeder einzelne Mitgliedsstaat für sich einer Vertragsänderung zustimmen muss.

VN: Dann wäre man bei den „Vereinigten Staaten von Europa“ angelangt?

Das wäre ein Schritt in diese Richtung.

VN: Vor einer verbindlichen europaweiten Volksabstimmung müsste man also jedenfalls eine nationale durchführen, weil es sich um eine Gesamtänderung der österreichischen Verfassung handelt?

Ich finde, diese Frage stellt sich dann.

VN: Sie werden nächste Woche nach Vorarlberg reisen. Die Landesregierung hat die jüngste Kassensanierung angefochten. Können Sie uns schon etwas über das Verfahren sagen?

Zum Inhaltlich natürlich nichts, aber zum Ablauf: Wir haben zwei Anfechtungen, eine von Oberösterreich, eine von Vorarlberg, und eine Behandlung wird sich wahrscheinlich erst in der Frühjahrssession ab Ende Februar ausgehen. Ob es dann schon zu einer Entscheidung kommt oder ob weitere Beratungen notwendig sein werden, das kann ich natürlich nicht sagen.

VN: Sehen Sie eine Parallele zur Kassensanierung 2002? Sie wurde von der Landesregierung mit Erfolg angefochten?

Auf dem Tisch liegt die Frage, ob die Auflösung des so genannten Katastrophenfonds zur Finanzierung von quasi selbst verschuldeten Defiziten dient (wie im Fall der Wiener GKK; Anm.) oder als Ausgleich von Strukturnachteilen erfolgt. Aber wenn ich die Antwort schon wüsste, dann wäre die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes ja schon gefallen.

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