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"Geben den Menschen Hoffnung"

Gröfler im Interview mit Wann & Wo.
Gröfler im Interview mit Wann & Wo. ©Sams
Sepp Gröfler leitet die Vorarlberger Telefonseelsorge 142. Im Talk mit W&W spricht er über persönliche Schicksalsschläge in einem ohnehin schwierigen Jahr, Humor als Anker und Wege aus der Einsamkeit an Weihnachten.  

Von Harald Küng/Wann & Wo

WANN & WO: Herr Gröfler, das Jahr 2020 stellte die Gesellschaft vor ganz neue Herausforderungen. Wie haben Sie das vergangene Jahr persönlich erlebt?

Sepp Gröfler: 2020 war auch für mich ein sehr hartes Jahr: Wir hatten Todesfälle in der Familie zu betrauern, mussten uns von meinem Vater und der Schwester meiner Frau verabschieden. Dazu kam ein Wohnungsverlust, finanzielle Probleme. Es war wirklich ein sehr schwieriges Jahr. Theater- und Kabarettauftritte – in denen neben meiner Arbeit als Leiter der Telefonseelsorge mein ganzes Herzblut steckt – wurden aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt. Normalerweise begleiten mich diese Dinge das ganze Jahr – heuer fehlt mir das schon sehr. Ich habe aber im ersten Lockdown ein Buch (Titel: „... überwiegend heiter bis wolkig“, veröffentlicht im Selbstverlag) geschrieben, in dem ich auf humorvolle Art persönliche Geschichten erzähle. Das war dann wieder die schöne Seite. Geschrieben habe ich heuer auch viel.

WANN & WO: Humor war also ihr Rettungsanker in dieser schwierigen Zeit?

Sepp Gröfler: Ich muss gestehen: Die letzten Monate war mein Humor doch spärlicher gesät. Schlussendlich ist es aber doch immer wieder der Humor, der mich aus dem Ganzen hochzieht und mich wieder erdet – auch wenn persönliche Betroffenheit, Todesfälle und Trauer es nicht immer einfach machen. Aktuell bin ich auch viel mit meinem zweijährigen Enkel unterwegs – da ist die Wertigkeit eine ganz andere. Wenn man die Welt aus Sicht eines Kindes sieht, dann merkt man plötzlich, was wirklich wichtig ist. Und da kann man finanzielle oder wirtschaftliche Verluste gut wegstecken.

WANN & WO: Spielt Humor auch eine Rolle in Ihrer Arbeit bei der Telefonseelsorge?

Sepp Gröfler: Ja, auf jeden Fall. Das gehört bei unserer Arbeit unbedingt dazu. Es werden sehr viele schwere Themen an uns herangetragen – davon dürfen wir uns aber selbst nicht runterziehen lassen. Es sollte einem nach dem Gespräch ja auch besser gehen, als davor. Und da hilft eine Prise Humor immer – sowohl im direkten Gespräch, als auch bei uns im Team. Wir dürfen nicht aufhören, der Leichtigkeit im Leben nachzuspüren. Humor ist so ein Leichtigkeitsbringer, darum lachen wir viel und erzählen uns viele Geschichten. Das hält stabil.

WANN & WO: Täglich mit den Sorgen der Menschen konfrontiert zu werden, ist aber dennoch keine leichte Aufgabe. Was tun Sie, wenn Humor alleine doch nicht hilft, ein belastendes Gespräch aus dem Kopf zu bekommen?

Sepp Gröfler: Einerseits braucht es eine gesunde Distanz, andererseits greifen wir auch auf professionelle Hilfe zurück: Wir haben aktuell 84 ehrenamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die einmal monatlich verpflichtend in Supervision müssen. Da werden die Belastungen aufgearbeitet. Natürlich unterstützen wir uns auch gegenseitig im Team, damit ich nach dem Dienst wieder möglichst befreit nach Hause gehen können. Denn so, wie ich die Sorgen von draußen nicht mit hierher nehmen sollte, sollte ich sie umgekehrt auch nicht mit nach Hause nehmen. Ich bin da auch wirklich sehr stolz auf mein Team, dass sie das mittragen – ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle. Auch an alle Unterstützer und Sponsoren, die unsere Arbeit überhaupt erst ermöglichen.

WANN & WO: Die Hilfe der Telefonseelsorge wird auch in „normalen“ Jahren stark genutzt. Das Coronajahr 2020 muss aber noch einmal eine ganz andere Herausforderung gewesen sein?

Sepp Gröfler: Wir werden heuer die höchsten Anruferzahlen in der Geschichte der Vorarlberger Telefonseelsorge haben. Bis zu diesem Interview verzeichneten wir bereits rund 16.000 Gespräche – in der Vergangenheit waren es zwischen 12.000 und 14.000 im Jahr. Das hat schon sehr zugenommen. Aber wir haben ein hochmotiviertes Team, zahlreiche Mitarbeiter, die zusätzliche Dienste geschoben haben in diesen schwierigen Zeiten. Es ist wirklich lässig, so ein tolles Team leiten zu dürfen.

WANN & WO: Wie haben Sie das Jahr aus beruflicher Sicht wahrgenommen?

Sepp Gröfler: Gerade im vergangenen zweiten Lockdown hatte ich  das Gefühl, dass das Ego der Menschen wieder mehr in den Vordergrund getreten ist. Die Leute sind sehr viel mit sich selbst beschäftigt, vergessen leicht, dass es noch viel Verbindendes gibt. Es hat mich deshalb auch nicht überrascht, dass sich nur 30 Prozent bei den Gratistests testen ließen. Im ersten Lockdown gab es noch ein Gefühl des Aufbruchs – das habe ich zuletzt aber nicht mehr so gespürt. Es herrscht eher Müdigkeit, die Leute sind mürbe, mögen nicht mehr. Ihre Geduld ist allmählich am Ende. Im ersten Lockdown mussten wir die Menschen noch beruhigen, im zweiten Lockdown ging es nun mehr darum, ihnen wieder Hoffnung zu geben.

WANN & WO: Weihnachten steht unmittelbar bevor, Einsamkeit ist gerade in dieser Jahreszeit immer ein großes Thema. In der aktuellen Situation wahrscheinlich noch ein größeres als zuvor?

Sepp Gröfler: Das Thema Einsamkeit hat 2020 durch Corona stark zugenommen. Jene, die ohnehin schon einsam waren, hatten in diesem Jahr noch weniger Möglichkeiten, sich mit anderen zu verbinden. Heuer habe ich zudem bislang das Gefühl, dass Weihnachten von vielen anderen Themen überzeichnet wird: Wirtschaftliche Schwierigkeiten, Beziehungsprobleme, etc. – und natürlich die zunehmende Einsamkeit. Mir scheint, als wäre die Weihnachtszeit bisher noch gar nicht so richtig auf dem Schirm der Menschen – das kommt aber vielleicht nächste Woche noch. Man merkt aber schon, dass diese geballte Ladung an Problem- und Fragestellungen das Thema Weihnachten auch ein bisschen zurückdrängt. Ansonsten ist Weihnachten immer das Fest der großen Erwartungen – und gleichzeitig aber auch das Fest der großen Enttäuschungen. Manche Familienkonflikte werden das ganze Jahr vor sich hergeschoben und dann will man sie ausgerechnet an Weihnachten lösen. Und das geht in der Regel schief. Denn man hatte grundsätzlich ein ganzes Jahr lang Zeit, die Dinge zu erledigen und zu bereinigen, hat es aber nicht geschafft. Deshalb bin ich gespannt, was heuer noch so  kommt.

WANN & WO: Abschließend: Welchen Tipp haben Sie für Menschen, die das Weihnachtsfest wirklich ganz alleine verbringen müssen?

Sepp Gröfler: Hier möchte ich betonen: Wir sind nicht die, die es besser wissen. Deshalb sind wir mit Ratschlägen auch immer sehr vorsichtig. Aber was aus meiner Sicht vor allem heuer ganz wichtig ist, ist, sich Auszeiten zu schaffen. Aufzuhören, Nachrichten zu konsumieren und sich mit einem guten Film, einem spannenden Buch oder guter Musik abzulenken. Und dass man die persönlichen Kontakte möglichst aktiviert – am Telefon, via  Skype, etc. Vielleicht schreibt man auch einfach einmal wieder einen Brief schreiben an eine geliebte Person. Und ansonsten gilt: durchtauchen. Das ist in diesem Jahr natürlich noch schwieriger als sonst, weil die Möglichkeiten sehr beschränkt sind. Und wenn einem wirklich die Decke auf den Kopf fällt und überhaupt nichts zu helfen scheint, das Telefon in die Hand nehmen und 142 anrufen. Ein persönliches Gespräch hilft meistens schon sehr viel.

Kurz gefragt...

Sind Sie ein Optimist? Ja, ganz eindeutig.

Wie verbringen Sie heuer ­Weihnachten? Wir haben da immer das gleiche Rituale: Als erstes gehen wir nach Bildstein, genießen dort als Familie die Ruhe und im Anschluss geht es nach Hause zum Raclette-essen.

Ergänzen Sie bitte folgenden Satz: 2020 war ... ... ein Jahr, an dessen Herausforder­ungen wir hoffentlich wachsen können.

Für das neue Jahr erhoffe ich mir: Eine Zunahme der Solidarität und dass ­niemand vergessen wird. 

Zur Person: Sepp Gröfler

  • Alter, Wohnort, Familienstand: 59, geboren im Salzburger Pinzgau, wohnhaft in Dornbirn, verheiratet, drei erwachsene Kinder
  • Beruf/Funktion: Kabarettist, Humorist, Autor, Ausbildung in ­Sexualpädagogik, Sozialmanagement und Humorberatung, Leiter der Telefonseelsorge 142 
  • Hobbys: Theater, schreiben

Telefonseelsorge 142: "Wir sind für alle Sorgen da"

Die Vorarlberger Telefonseelsorge 142 bietet ein offenes Ohr für alle Menschen, die sich in Krisensituationen befinden, oder einfach jemanden brauchen, mit dem sie über ihre Sorgen und Probleme sprechen können – rund um die Uhr, kostenlos und natürlich streng vertraulich. „Sorgen kann man teilen“, sagt Sepp Gröfler, Leiter der Telefonseelsorge Vorarlberg und fügt hinzu: „Die Dinge auszusprechen, hilft oftmals schon sehr. Wir sind eine niederschwellige Einrichtung, bei uns ist wirklich jeder willkommen und man kann sich jederzeit bei uns melden!“

Hier die ganze Online-Ausgabe der Wann & Wo lesen

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