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Friedliches Nebeneinander

In Vorarlberg leben derzeit rund 28.000 Türken und türkischstämmige Bewohner. Große Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen gibt es dennoch praktisch keine - aber auch kein Miteinander.

„In Vorarlberg herrscht ein friedliches Nebeneinander“, beschreibt Attila Dincer, Geschäftsführer des Instituts für Interkulturelle Angelegenheiten (Inka), die Situation in Vorarlberg.

Erste Migranten aus der Türkei kamen vor genau 40 Jahren nach Vorarlberg. 1968 folgte ein erster größerer Schub, in den 1970-er Jahren, zu Zeiten der Hochkonjunktur, kamen die Arbeitskräfte aus dem Land am Bosporus zu Tausenden. Bereits 1978 lebten 10.000 Türken im Ländle. Bis 1989 stieg die Zahl der türkischen Gastarbeiter in Vorarlberg auf rund 31.000 an, seitdem ist sie rückläufig. Laut Statistik Austria lebten Ende 2003 16.601 Personen mit türkischem Pass in Vorarlberg, bei 358.016 Bewohnern entsprach dies einem Bevölkerungs-Anteil von 4,64 Prozent – dem höchsten aller österreichischen Bundesländer. Vor allem die stark anwachsende Zahl an Einbürgerungen ließ die Türken offiziell weniger werden. In den vergangenen beiden Jahren erhielten in Vorarlberg pro Jahr rund 2.000 Türken die österreichische Staatsbürgerschaft.

Attila Dincer war 1991 einer von 24 Türken in Vorarlberg, der den österreichischen Pass überreicht bekam. „Damals hat man mich als Verräter beschimpft“, erinnert er sich. Dass nun viele seiner ehemaligen Landsleute den rot-weiß-roten Pass anstreben, begründet Dincer mit den damit verbundenen Rechten. Als Österreicher werde es plötzlich möglich, ein Grundstück oder ein Haus zu kaufen.

Die Frau ohne lange Wartezeit aus der Türkei nach Vorarlberg zu holen, habe ab 1995 ebenfalls für viele den Anstoß gegeben, auf dem Papier Österreicher zu werden. Auch das schwere Erdbeben von 1999 im Nordwesten der Türkei und die politische Entwicklung in Österreich hätten eine Rolle gespielt. So mancher habe als Türke Nachteile befürchtet, wenn die FPÖ an die Macht komme. Doch sehe sich der Großteil der Eingebürgerten weiterhin als Türke.

Mittlerweile gebe es in Vorarlberg eine eigene türkische Infrastruktur, angefangen vom Bäcker bis hin zum Mechaniker. Satelliten-Schüsseln brächten türkisches Fernsehen ins Haus, und in Kürze werde eine Disco nur für Türken eröffnet. „Weil man türkische Jugendliche in eine normale Disco ja nicht hineinlässt“, sagt Dincer. Etwa 200 Geschäfte, 36 Gebetshäuser und 67 Vereine, in denen die Hälfte der 28.000 Türken organisiert ist, runden das Bild des von Dincer skizzierten „friedlichen Nebeneinander“ ab. Im Vergleich etwa mit Deutschland sei Vorarlberg in der Integration weit hinten, „auch weil es hier nie Krisen wie in einer Großstadt gegeben hat. Integration hat noch nicht statt gefunden, weil alles harmonisch ist“. Strukturelle Integration werde in Vorarlberg erst seit fünf Jahren betrieben. Bis die Integrations-Projekte greifen werden, dauere es noch einmal fünf Jahre, glaubt Dincer. Die meisten seiner (ehemaligen) Landsleute wollten in Vorarlberg bleiben. „Die Rückwanderung ist Geschichte“, sagt Dincer.

Dies führt auch zu Forderungen der türkischstämmigen Bevölkerung, etwa nach einem islamischen Friedhof. Verstorbene werden derzeit zum Großteil in die Türkei überführt, um sie dort zu begraben. „Es ist klar, dass ein islamischer Friedhof kommen muss“, sagt Dincer, der diesbezüglich seit Jahren Gespräche führt. Der ursprüngliche Plan nach einem einzigen zentral gelegenen islamischen Friedhof in Vorarlberg wurde inzwischen aufgegeben, weil dafür 10.000 Quadratmeter Grund notwendig gewesen wären, zu viel für die Gemeinden. In Lustenau, wo es drei Moscheen gibt und der Anteil an Türken laut Dincer der höchste in Vorarlberg ist, ist bei der Gemeindewahl 2000 eine Liste mit ausschließlich türkischstämmigen Kandidaten angetreten. Den Einzug ins Rathaus hat sie nicht geschafft, die „Neue Bewegung für die Zukunft“ denjenigen in die Arbeiterkammer (AK) hingegen schon. Die 1998 als Partei der Türken in der AK gegründete NBZ ist seit 1999 in der AK-Vollversammlung vertreten und überlegt sich für 2009 eine Kandidatur für den Landtag.

Kulturenfest

Elke Klien, Leiterin des Wohnungs- und Sozialamts in der 3.000 Einwohner-Gemeinde Mäder, bestätigt aus ihrer Erfahrung als Mitglied des Mäderer Sozialprofil-Projektteams den Eindruck Dincers des „friedlichen Nebeneinander“. Die Gemeinde Mäder hat sich in den vergangenen Jahren sehr um die Integration der ausländischstämmigen Mitbürger bemüht. Am Anfang stand ein Sozialkonzept, aus dem heraus Leitsätze beschlossen wurden. Anschließend nahm ein „Kulturen-Team“ die Schaffung eines Begegnung-Milieus in Angriff.

„Wir haben die Mäderer Bürger in die Organisation eines Kulturenfests eingebunden“, erzählt Klien, die die Leitung der Arbeitsgruppe „Miteinander“ inne hat. Bei der Erstauflage des Kulturenfests im Jahr 2002 gehörten dem Organisationsteam 20 Personen an, zehn davon ausländischstämmig. „Es muss wahnsinnig viel Einsatz dahinter sein“, beschreibt Klien die Bemühungen um eine verbesserte Integration. Ihre Erfahrungen mit dem Kulturenfest beschreibt sie aber „sehr positiv“. Die Organisation des Kulturenfests wurde zu einem großen Erfolg, auch die Neuauflagen in den vergangenen beiden Jahren. Jeweils rund 250 bis 300 Personen kamen zum Festabend.

Wichtig ist laut Klien, „dass auf beiden Seiten eine Integrationsfigur vorhanden ist“. Zudem dürfe bei einem solchen Projekt die Politik keine Rolle spielen. „Es muss eine Aktion aus der Bevölkerung für die Bevölkerung sein“, so Klien. Ihr ist außerdem aufgefallen, dass Ausländer im passenden Rahmen große Freude hätten, ihre Kultur vorzustellen. Auch ein nächstes Projekt steht in Mäder bereits auf dem Programm: Als nächstes soll die Gruß- und Begegnungskultur verbessert werden, kündigte Klien an.

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