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Frankreich: Mammutprozess um Industriekatastrophe begonnen

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Die schwerste französische Industriekatastrophe der Nachkriegszeit wird seit Montag in Toulouse vor Gericht untersucht. Wegen einer Explosion in einer Düngemittelfabrik mit 30 Toten und tausenden Verletzten müssen sich der Leiter des Werkes und eine Tochterfirma des Ölkonzerns Total verantworten.

Mit 1.800 Nebenklägern ist es der größte Strafprozess der französischen Geschichte.

Am 21. September 2001 waren in der Fabrik in Südfrankreich 300 Tonnen Ammoniumnitrat explodiert, die laut Gutachtern eine Sprengkraft von hundert Tonnen TNT hatten. Die Detonation riss einen zehn Meter tiefen Krater mit einem Durchmesser von fünfzig Metern in den Boden. 30.000 Häuser und Wohnungen im Umkreis von mehreren Kilometern wurden beschädigt.

Weil die Explosion sich nur zehn Tage nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA ereignete, war zunächst ein Attentat befürchtet worden. Dies schlossen Gutachter 2006 nach Abschluss ihrer Untersuchung jedoch aus. Ihnen zufolge ist wahrscheinlichste Ursache, dass ein Arbeiter irrtümlich eine Chlorsubstanz in der Nähe des Ammoniumnitrats gelagert hatte. Dies habe zu einer hochexplosiven Mischung geführt.

Total weist die Gutachten zurück. Laut dem Unternehmen wurde unter anderem die Möglichkeit eines Anschlags nicht ausreichend untersucht. Der Konzern hat wegen der Katastrophe bereits zwei Milliarden Euro an Entschädigungen gezahlt, ohne allerdings eine Schuld anzuerkennen. Dem ehemaligen Leiter der Fabrik AZote Fertilisant (AZF), Serge Biechlin, und der Total-Gesellschaft Grande Paroisse werden in dem Verfahren fahrlässige Tötung, Körperverletzung und Sachbeschädigung sowie Verstöße gegen das Arbeitsrecht vorgeworfen.

Die Verhandlungen sollen vier Monate dauern, das Urteil wird im November erwartet. Wegen des hohen öffentlichen Interesses wird das Strafverfahren vollständig gefilmt. Bisher gab es dies in Frankreich erst dreimal in Verfahren gegen NS-Kriegsverbrecher.

250 überlebende Opfer, Angehörige und Beschäftigte forderten mit Schweigemärschen und Demonstrationen eine lückenlose Aufklärung der Vorfälle. “Ich kämpfe seit 2001 darum zu erfahren, woran mein Vater gestorben ist”, sagte die Nebenklägerin Jennifer Zeyen, deren Vater in einer benachbarten AZF-Fabrik umkam. “Ich konnte nicht zu Hause bleiben. Es ist wie eine Pflicht, hier zu sein.”

Der ehemalige Bauernführer und Globalisierungskritiker José Bové sagte, Frankreich habe bis heute nichts unternommen habe, um ähnliche Katastrophen zu verhindern. Er forderte, gefährliche Industrieanlagen in Ballungsräumen grundsätzlich zu verbieten. (

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