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Faymann widerspricht Merkel bei EU-Gipfel: "Alle Routen schließen"

Faymann (l.), Davutoglu (M.) und Merkel (r.) stehen im Mittelpunkt am EU-Gipfel.
Faymann (l.), Davutoglu (M.) und Merkel (r.) stehen im Mittelpunkt am EU-Gipfel. ©AFP
Brüssel. Zum Auftakt des EU-Türkei-Sondergipfels zur Flüchtlingskrise steuert Europa auf einen Machtkampf um die Schließung der Balkanroute zu. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel meldete Widerstand an: "Es kann nicht sein, dass irgendetwas geschlossen wird." Bundeskanzler Werner Faymann besteht dagegen auf einer entsprechenden Formulierung.
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Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will die Formulierung ändern, wie Diplomaten mitteilten. Merkel sagte, die Zahl der Flüchtlinge müsse nicht nur für einige Länder, sondern für alle verringert werden. Dazu sei eine “nachhaltige Lösung” gemeinsam mit der Türkei erforderlich.

Faymann besteht auf Schließung

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) bestand beim Eintreffen zum EU-Gipfel auf einer ausdrücklichen Schließung von Flüchtlingsrouten. “Ich bin sehr dafür, mit klarer Sprache allen zu sagen: Wir werden alle Routen schließen, die Balkanroute auch. Schlepper sollen keine Chance haben”, sagte er in Widerspruch zu Merkel.

ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka sicherte unterdessen dem Kanzler in einer Aussendung “volle Unterstützung” zu: “Das Durchwinken muss ein Ende haben. (…) Jetzt stimmt die Richtung. Jetzt heißt es Kurs halten.”

“Nicht nur auf die Türkei verlassen”

Faymann zeigte sich auch skeptisch zu einer nachhaltigen Lösung mit der Türkei. Es sei gut, wenn man mit dem Nachbarn etwas ausmachen könne. “Ob es hält, wird die Zukunft zeigen”, so der Kanzler. “Alles was herauskommt, ist gut. Darauf verlassen soll man sich nicht, man soll die Außengrenzen auch alleine schützen können.”

Wenn die Türkei akzeptiere, dass die Flüchtlinge gar nicht erst nach Griechenland kommen sollten, sondern die Verteilung in der Türkei stattfinde, “dann wäre dies diese Ordnung, die wir immer verlangt haben”. Auf die Frage, ob der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ein verlässlicher Bündnispartner sei, antwortete Faymann: “Ihre Frage sagt ja schon alles. Warum fragen Sie mich das?” Die EU müsse sich darauf verlassen, dass sie selbst die Grenzen sichern könne.

Frankreich in der Mitte – Griechenland pocht auf EU-Lösung

Der französische Staatspräsident Francois Hollande erklärte, tatsächlich sei die Westbalkan-Route geschlossen. Zum Abkommen mit der Türkei meinte Hollande am Montag, eine Kooperation bedeute nicht, dass von Ankara alles akzeptiert werde.

Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras verlangte eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise und kritisierte, dass Vereinbarungen gebrochen worden seien. Im Februar hatte Merkel Tsipras zugesagt, die Balkanroute bis zum nächsten EU-Gipfel im März offenzuhalten. Österreich und die Balkanstaaten haben diese Route aber inzwischen weitgehend dicht gemacht.

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Türkei fordert Luftbrücke direkt nach Europa

Die Türkei will nach Worten des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte eine Luftbrücke für Flüchtlinge nach Europa, nachdem die Balkanroute weitgehend geschlossen ist. “Das ist ein Wunsch der Türkei”, sagte Rutte am Montag in Brüssel vor dem EU-Türkei-Gipfel in Brüssel. “Um das möglich zu machen, ist wichtig, dass wir die Null in Sicht haben”, sagte Rutte in Hinblick auf die von der EU von Ankara geforderte Reduktion von Flüchtlingszahlen.

“EU schuldet uns immer noch 3 Mrd. Euro”

Die Türkei wartet nach den Worten von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan weiterhin vergeblich auf die von der EU in der Flüchtlingskrise zugesagte Finanzhilfe. “Sie haben gesagt, wir geben Euch drei Milliarden Euro Unterstützung”, sagte Erdogan am Montag in Ankara. “Vier Monate sind vergangen, sie haben sie uns immer noch nicht gegeben.”

Erdogan fügte mit Blick auf die Teilnahme von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu am EU-Gipfel hinzu: “Der geehrte Ministerpräsident ist gerade in Brüssel. Ich hoffe, er kommt mit dem Geld zurück.”

Türkei fordert 15 Milliarden Euro

Davutoglu hat dann in Brüssel auch gleich einen neuen Forderungskatalog der Türkei auf den Tisch gelegt. Statt der bisherigen drei Milliarden für zwei Jahre fordert Ankara nun offenbar nun je drei Mrd. Euro Finanzhilfe für die nächsten fünf Jahre – das wären 15 Mrd. Euro insgesamt. Wie aus Diplomatenkreisen bekannt wurde, fordert darüber hinaus eine beschleunigte Visa-Befreiung für türkische Staatsbürger sowie einen Plan für das Resettlement, also die Übernahme anerkannter Flüchtlinge aus der Türkei nach Europa.

Offenbar sollen sich nun zuerst die EU-Staats- und Regierungschefs darauf verständigen, wie sie auf die neuen Wünsche der Türkei reagieren. EU-Ratspräsident Donald Tusk hat für danach überraschend ein Abendessen mit Davutoglu angekündigt. Dieses Essen ist für frühestens 19.00 Uhr angesetzt.

Gleichzeitig Verstimmung wegen “Zaman”-Zeitung

Das Vorgehen der türkischen Regierung gegen die oppositionelle Zeitung “Zaman” sorgte vor dem Gipfel für Verstimmung. Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, kritisierte die Beschlagnahme der Zeitung. Mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu habe er dazu “einen offenen Meinungsaustausch” gehabt, sagte Schulz vor dem Gipfel. Für Europa sei die Medienfreiheit “nicht verhandelbar”. Davutoglu habe seine Sicht der Dinge nicht geteilt, so Schulz. “Das ist keine Überraschung.”

Hier gelte es, “extrem vorsichtig” zu agieren, vor allem, was die Pressefreiheit betreffe, sagte Hollande. Er erklärte, es werde wichtig sein, die EU-Außengrenzen zu sichern, und auch Solidarität mit Griechenland zu zeigen. Die Türkei müsse auch illegale Migranten, die über ihr Land nach Europa gekommen seien, zurücknehmen.

 

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