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Fall Kurnaz: CIA belastet Deutschland

Im Fall des ehemaligen Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz hat der CIA-Sonderausschuss des Europäischen Parlaments die frühere rot-grüne Bundesregierung in Deutschland schwer belastet.

Die Berliner Regierung habe 2002 ein Angebot der USA auf Freilassung von Kurnaz ausgeschlagen, betonte der Ausschuss am Dienstag in Brüssel in seinem Abschlussbericht. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der damals Kanzleramtschef war, wies die Vorwürfe als „erstens falsch und zudem schlicht infam“ zurück. Es war das erste Mal, dass Steinmeier sich persönlich öffentlich zu der Angelegenheit äußerte.

Der CIA-Ausschuss berief sich auf vertrauliche Informationen deutscher Behörden. Die Abgeordneten erklärten, dass „alle Ermittlungen bereits Ende Oktober 2002 ergeben haben, dass Murat Kurnaz keine terroristische Bedrohung darstellt“. Deutsche Beamte, die ihn in Guantànamo 2002 und 2004 verhörten, hätten ihm jeden Beistand verwehrt. Der Ausschuss nahm den Bericht mit 28 zu 17 Stimmen bei drei Enthaltungen an. Die Sozialdemokraten waren wie Liberale, Linke und Grüne dafür. Die Konservativen lehnten ihn ab.

Auch dpa-Informationen aus dem Bundestag deuten darauf hin, dass die Bundesregierung 2002 mit Kurnaz’ bevorstehender Freilassung aus Guantànamo rechnen konnte. In einem vertraulichen Schreiben des Bundesinnenministeriums (BMI) vom 30. Oktober 2002, das der dpa vorliegt, heißt es: „Dem Vernehmen nach soll er (Kurnaz) in nächster Zeit von der amerikanischen Seite freigelassen werden.“ In dem Brief heißt es auch: „Zwischen Bundeskanzleramt und BMI besteht Einvernehmen, dass eine Wiedereinreise nicht erwünscht ist.“

Ausdrücklich verweist das Schreiben auf die Unterrichtung des damaligen Chefs des Bundeskanzleramts, Frank-Walter Steinmeier (SPD). Der heutige Außenminister hat nach eigenen Worten von einem solchen Angebot der USA an Deutschland jedoch nichts gewusst: „Ich kenne ein solches Angebot nicht“, sagte Steinmeier am Rande einer Sitzung in Brüssel. Aus seiner Delegation hieß es, es habe sich damals nur um Planspiele von CIA-Mitarbeitern gehandelt. Auch SPD-Fraktionschef Peter Struck wies die Darstellung des CIA-Ausschusses zurück. „Nach allem was ich weiß, hat es ein solches Angebot nicht gegeben“, sagte Struck in Werder bei Berlin.

Ein interner BND-Bericht vom 26. September 2002 betont indes eine enge Zusammenarbeit der amerikanischen und deutschen Stellen. Demnach wurde Deutschland angeboten, die Freilassung von Kurnaz so darzustellen, also ob sie von deutschen Stellen durchgesetzt worden sei: „USA sehen die Unschuld von Murat Kurnaz als erwiesen an. Er soll in etwa sechs bis acht Wochen entlassen werden“, meldete der BND damals aus Washington.

„Die lange Leidensgeschichte von Herrn Kurnaz ist erschütternd. Das lässt auch mich nicht kalt“, sagte Steinmeier. Der aus Bremen stammende Türke Kurnaz war seit Februar 2002 als Terrorverdächtigter in Guantànamo unter Folterbedingungen inhaftiert. Sein Anwalt wandte sich mehrfach an die Bundesregierung und bat um Hilfe. Kurnaz kam dann aber erst nach Intervention von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im August 2006 frei.

Steinmeier verwies auf die „nicht ganz einfachen Jahre“ nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. „Es ging doch mit Priorität darum, Deutschland vor terroristischen Angriffen zu schützen und möglichst zu garantieren, dass von Deutschland keine weiteren terroristischen Aktivitäten ausgehen“, sagte Steinmeier.

Der Sonderausschuss des EU-Parlaments sieht zahlreiche Entführungen und andere illegale Aktivitäten des US-Geheimdienstes CIA in Europa als erwiesen an. Zwischen Ende 2001 und Ende 2005 habe es „mindestens 1245 Flüge der CIA in den europäischen Luftraum“ gegeben. Dabei seien in 336 Fällen die Maschinen auf deutschen Flughäfen zwischengelandet. Eines dieser Flugzeuge sei von Deutschland zum US-Gefangenenlager Guantánamo weitergeflogen.

Der Ausschussvorsitzende Carlos Coelho bezichtigte den Rat der EU-Regierungen offen der Lüge. Der Rat habe den Ausschuss nicht vollständig über seine Kontakte mit hohen US-Beamten informiert, sagte Coelho nach der Abstimmung des Abschlussberichts. Das gehe aus vertraulichen Quellen zu den gleichen Treffen hervor. Der Ausschuss rügte auch einzelne Regierungen und ihre Vertreter sowie NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer für mangelnde Mitarbeit.

Die vertraulichen Dokumente der Bundesregierung zum Fall Kurnaz bezeichnete Coelho hingegen als „sehr nützlich für uns“. Andere Informationen stützten die Formulierung des Abschlussberichts zur abgelehnten Freilassung des Häftlings im Jahr 2002, sagte Coelho. Der CIA-Sonderausschuss war den Aktivitäten des US-Geheimdienstes ein Jahr lang nachgegangen. Anders als Gerichte und der BND-Untersuchungsausschuss in Berlin konnten die Brüsseler Abgeordneten dabei keine Zeugen förmlich vorladen.

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