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EZB könnte 2012 zur "Nuklearoption" greifen

2011 war ein aufregendes Jahr in der EZB-Geschichte, 2012 könnte zum Schicksalsjahr werden.
2011 war ein aufregendes Jahr in der EZB-Geschichte, 2012 könnte zum Schicksalsjahr werden. ©EPA
Das Jahr 2012 wird - so viel kann man ohne Übertreibung sagen - für die EZB das Jahr der wichtigsten Weichenstellungen in der kurzen Geschichte der Währungsunion werden. Die Gretchenfrage wird sein, ob die Notenbank dem Druck der Finanzmärkte und der Politik nachgibt und unbegrenzt Staatsanleihen kauft, um die Euro-Schuldenstaaten rauszupauken.

Egal ob der neue EZB-Präsident Mario Draghi einen solchen Kurs einschlägt oder nicht: es wird eine Richtungsentscheidung sein, die zur Zerreißprobe für die Euro-Zone und ihrer Zentralbank werden könnte. Hinzu kommt eine ganze Reihe weiterer Fragen, denen sich die EZB 2012 stellen muss. Ein Überblick:

Es ist die Frage alle Fragen an die Geldpolitiker: Greifen sie im Angesicht der schwersten Krise seit Jahrzehnten letztlich zum größten Geschütz und kaufen unbegrenzt Staatsanleihen von überschuldeten Euro-Ländern auf? Die Forderungen nach einem solchen Schritt – auch “Bazooka” oder “Nuklearoption” genannt – werden nicht leiser, obwohl Draghi & Co. immer wieder betonen, dass die EZB dazu gar nicht legitimiert ist, weil ihr Staatsfinanzierung per Notenpresse verboten ist.

Allerdings gibt es auch die indirekten Wege, von denen die Zentralbank einen bereits seit Mai 2010 beschreitet. Die Währungshüter haben seither am Sekundärmarkt Bonds kriselnder Länder für 211 Mrd. Euro gekauft – in kleinen Dosen und mit sehr beschränkter Wirkung. Ökonomen wie Holger Schmieding von der Berenberg Bank sehen genau darin das Problem. Sie empfehlen der EZB, schwerere Geschütze aufzufahren – ohne diese dann ernsthaft einzusetzen: “Bei einer Intervention der Notenbank kommt es darauf an, den Markt zu beeindrucken.”

Greift der IWF ein?

An einer weiteren Option wird gearbeitet: Dabei sollen die Notenbanken der 17 Euro-Länder und auch andere Zentralbanken das Kapital des Internationalen Währungsfonds (IWF) aufstocken, damit dieser im Zweifelsfall helfen kann. Während die Bundesbank damit unter bestimmten Bedingungen kein Problem hat, sieht manch ein Hardliner wie der scheidende EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark darin eine Umgehung des Verbots direkter Staatsfinanzierung, für die am Ende der Steuerzahler haften müsste.

Viele Analysten gehen davon aus, dass die EZB 2012 zur “Bazooka” greifen wird, sollte die Lage nur aussichtslos genug werden. “Am Ende wird die EZB eingreifen müssen”, meint Norbert Braems, Chefvolkswirt von Sal. Oppenheim. “2012 wird alleine schon deshalb ein absolutes Schlüsseljahr für die Währungsunion sein.” Das sieht auch Commerzbank-Ökonom Michael Schubert so, warnt aber: “Eine Lösung der Krise über die Notenpresse würde nur scheinbare Stabilität bringen. Es wäre ein Wechsel des Gläubigers – die Schulden sind weiterhin da.”

“Bazooka” erschreckt Deutsche Bundesbank

Sollte die EZB 2012 zur “Bazooka” greifen, wird das zu einem Aufschrei bei Deutsche-Bundesbank-Chef Jens Weidmann führen. Er lässt wie sein im Frühjahr zurückgetretener Vorgänger Axel Weber keine Gelegenheit aus, vor den Gefahren eines solchen Schritts zu warnen. Noch hat er sein Amt zwar nicht mit einer möglichen Richtungsentscheidung des EZB-Rats verknüpft, doch einige Notenbank-Experten halten es nicht für ausgeschlossen, dass auch er im Zweifelsfall hinwerfen könnte. Für Commerzbanker Schubert muss es aber nicht so kommen: “Ich hoffe, dass in einer Zwangslage alle an einem Strang ziehen. Dabei ist sogar eine Situation vorstellbar, in der Weidmann mit seiner Kommunikation defensiver wird, um den Erfolg nicht zu gefährden.” Eins wissen alle: Ginge die Bundesbank gegen massive Anleihenkäufe in die Offensive, wäre es mit der Glaubwürdigkeit der Aktion an den Märkten nicht mehr weit her.

Die Banken in der Euro-Zone konnten sich kurz vor Weihnachten über einen noch nie dagewesenen Geldregen freuen. Satte 489 Mrd. Euro teilte die EZB ihnen beim ersten von zwei ultra-lang laufenden Refinanzierungsgeschäften zu. Außerdem senkten die Notenbanker ihre Mindestreserveanforderung an die Institute – macht nochmals gut 100 Mrd. Euro an zusätzlicher Liquidität für die Banken. Diese schwimmen also im Geld, haben aber so viel Misstrauen untereinander, dass sie es lieber gleich wieder bei der EZB parken und dafür sogar einen Zinsverlust in Kauf nehmen. Wann sich diese Vertrauenskrise löst, weiß niemand. Abzuwarten bleibt, ob die Geldschwemme der EZB eine Kreditklemme in der Realwirtschaft wird verhindern können. Eine Kreditklemme würde die Krise drastisch verschärfen.

Wichtige Personalentscheidung steht an

Auch eine wichtige Personalie wird gleich zu Jahresbeginn für Schlagzeilen sorgen. Ab Neujahr ersetzen der deutsche Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen und der französische Chefvolkswirt des Pariser Finanzministeriums, Benoit Coeure, im sechsköpfigen Direktorium der Zentralbank Lorenzo Bini Smaghi und Jürgen Stark. Da Stark Chefvolkswirt der EZB war und Deutschland diesen prestigeträchtigen Posten seit dem Start der Währungsunion 1999 innehatte, hoffen viele in Deutschland, dass Asmussen ihm nachfolgt. Andererseits gilt Coeure den meisten Ökonomen als der Mann mit der fachlich größeren Expertise – die sich freilich nicht gerade mit den deutschen geldpolitischen Vorstellungen deckt.

Selbst im engeren Umfeld von Bundesbank-Chef Weidmann wird betont, jeder bei der EZB solle in dem Arbeitsfeld eingesetzt werden, das ihm auch liegt. Damit wäre die Sache klar: Asmussen würde der Mann für internationale Verhandlungen hinter den Kulissen, wie schon bisher unter wechselnden Ressortchefs in Berlin. Und Coeure würde als neuer Chefökonom der Zentralbank das vermeintliche deutsche Abonnement auf den Posten beenden. Mit ihm würde eine andere Denkschule Einzug halten bei der EZB – noch eine Weichenstellung.

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