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Experte: Lukaschenko-Wien-Besuch vor allem symbolisch

Weißrusslands Präsident Lukaschenko kommt auf Wien-Besuch.
Weißrusslands Präsident Lukaschenko kommt auf Wien-Besuch. ©AP (Sujet)
Weißrussische Experten erwarten vom Wien-Besuch des Präsidenten Alexander Lukaschenko am kommenden Dienstag nicht allzu viel. Reisen in eine europäische Hauptstadt seien für den autoritären weißrussischen Staatschef ein "diplomatischer Erfolg". "Für Lukaschenko ist es hauptsächlich symbolisch", so der politische Analytiker Artjom Schraibman.

Warum Lukaschenko gerade Wien als Zugangstor nach Europa wählte, erklärte Schraibman, der unlängst auf Einladung des International Institute for Peace (IIP) in Wien war und für das weißrussische Portal TUT.BY and die Denkfabrik Carnegie Center in Moskau tätig ist, so: "Österreich hat immer sehr pragmatische Beziehungen mit allen östlichen Nachbarn gepflegt, auch gegenüber Weißrussland". Österreich habe sich etwa immer für die Aufhebung der EU-Sanktionen ausgesprochen, die dann 2016 nach der Freilassung politischer Gefangener tatsächlich abgeschafft wurden.

"Signifikante" Wirtschaftsbeziehungen

Es gebe darüber hinaus "signifikante" Wirtschaftsbeziehungen. Österreichische Investoren seien auch in für autoritäre Regime sensitiven Branchen wie zum Beispiel dem Mobilfunk tätig. Es gebe mehr Vertrauen zwischen Minsk und Wien als zu einer anderen europäischen Hauptstadt, sagte Schraibman.

Seit dem Aufheben der EU-Sanktionen gegen Weißrussland 2016 habe sich das Land "nicht sehr verändert". Vor allem strukturell sei es gleich geblieben. "Die Wahlen sind weiterhin nicht demokratisch oder fair." Das zeichne sich im Laufe der aktuellen Wahlkampagne für die Parlamentswahl am 17. November bereits ab. Bei der Präsidentenwahl 2020 gebe es keine Alternative zu Lukaschenko, obwohl unabhängige Meinungsumfragen zeigen, dass Lukaschenko Zustimmungsraten von nur 30 bis 40 Prozent habe, sagte Schraibman. "Alle Alternativen werden aus dem Spiel genommen, lange bevor sie sichtbar werden könnten." Die Opposition habe kaum Möglichkeiten, auf sich aufmerksam zu machen - außer mit Straßenprotesten.

Im Bezug auf die Pressefreiheit greife der Staat mehr und mehr ein. Im Ranking von Reporter ohne Grenzen liegt Weißrussland bei der Pressefreiheit auf Platz 153 von 180 Ländern. Die größten Einschränkungen gebe es in der Medienfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. "Die Regierung tut nicht wirklich viel, um diese Einschränkungen aufzuheben."

"Kritik an Lukaschenko ist nicht strafbar"

Eine gewisse Änderung gibt es aber doch: Die Regierung habe sich "informelle Grenzen für Restriktionen auferlegt", erklärte Schraibman. "Zum Beispiel haben wir keine politischen Gefangenen seit 2015 im Gegensatz zu Russland." Statt Gefängnisstrafen würden Hausarrest oder ähnliche Strafen verhängt. Aber: "Es gibt ein informelles Moratorium für politische Gefangene."

Die Regierung versuche außerdem, von einem brutalen Vorgehen gegen Straßendemonstranten Abstand zu nehmen. Es gebe zwar kaum nicht genehmigte Demonstrationen, aber bei diesen versuche die Polizei, keine "Medienbilder" von Polizeigewalt mehr zu liefern. Daher kommen solche nur mehr sehr selten vor. "Die Behörden haben realisiert, dass dies ihrem Image schadet." Sollte die Lage aber instabiler werden und die Menschen wieder gegen das Regime auf die Straße gehen, hat Schraibman keinen Zweifel daran, dass das Regime zu seinem früheren Repressionslevel zurückkehren würde.

"Belarus ist nicht Nordkorea oder Turkmenistan. Kritik an Lukaschenko ist nicht strafbar." Nicht jeder Dissident, unabhängige Analyst oder Journalist würde bestraft, sondern nur, wenn er dem Regime gefährlich werden könnte. Schraibman selbst etwa ist nach eigenen Angaben noch keinen Repressionen ausgesetzt gewesen. "Im Gegenteil, sie laden mich ins Staatsfernsehen ein und ich verwehre mich." Analysten würden dem Regime als Feedback dienen.

"Lukaschenko politisch und wirtschaftlich sehr von Russland abhängig"

An der Todesstrafe werde nicht gerüttelt. Die Argumente des Regimes dafür sind, dass die Todesstrafe in einem Referendum angenommen wurde und die Mehrheit der Bevölkerung sie befürworte. Außerdem würde die Existenz der Todesstrafe die EU nicht davon abhalten, gute Beziehungen zu den USA zu pflegen. Der Vorwurf von doppelten Standards der EU im Verhältnis zu Ländern wie den USA, China oder Japan steht im Raum.

Die Bereitschaft Lukaschenkos, die Todesstrafe aufzugeben, würde laut Schraibman nur unter zwei Bedingungen steigen. "Wenn es mehr Probleme in den Beziehungen zu Russland gibt und er deswegen Schritte auf die EU zumachen muss" oder wenn es eine "verständliche, klare Karotte gäbe". Ein solcher Anreiz könne eine EU-Perspektive aber nicht sein. "Belarus strebt das nicht an. Es gibt keine öffentliche Forderung danach. Und Lukaschenko weiß, dass mit ihm an der Macht dem Land keine europäische Perspektive gegeben werden könnte." Lukaschenko sei politisch und wirtschaftlich sehr von Russland abhängig.

Lukaschenko spreche davon, dass sein Land lange genug auf einem Flügel geflogen sei und noch einen zweiten brauche, berichtete Schraibman. Es gebe Bemühungen, freundschaftliche Beziehungen zu China aufzubauen und zur Ukraine, zu den EU-Nachbarn und der EU allgemein.

Klare rote Linien für Lukaschenko

Die Beziehungen zu Russland würden gerade einer "Revision" unterzogen, so der Analyst. Das begann im Vorjahr, als Weißrussland eine Reform der sogenannten russischen Steuer-Manöver gefordert habe. Die Hauptauswirkung dieser Reform der Besteuerung des Energiesektors sei, dass Minsk im Laufe von fünf Jahren die vorteilhaften Ölpreise verliere. "Das heißt, Belarus wird 2024 den Marktpreis für russisches Öl zahlen müssen, was ein schwerer Schlag für die belarussische Wirtschaft wäre." Der Schlag wird auf neun bis zehn Milliarden Dollar geschätzt.

Lukaschenko habe dafür in Moskau um Kompensation ersucht, "woraufhin Russland den Einsatz signifikant erhöhte". Eine Kompensation würde es nur bei einer stärkeren Integration mit Russland geben, forderte Moskau. Dennoch sieht Schraibman "keine unmittelbare Gefahr für die weißrussische Souveränität". Es gebe nämlich klare rote Linien, die Lukaschenko nicht überschreiten werde. Lukaschenko werde die Souveränität nie aufgeben, denn diese sei für ihn gleichbedeutend mit Macht.

In den Verhandlungen zwischen Moskau und Minsk seien Ideen wie eine einheitliche Währung, ein supranationales Parlament oder supranationales Gericht wieder vom Tisch gefegt worden. Derzeit werde noch über die Harmonisierung von Gesetzen diskutiert. Dies entspreche aber keiner wirklichen Integration, meint Schraibman, weil es dafür auch eine institutionelle Integration und überstaatliche Behörden brauche. Sollte Moskau eine Integration mit Weißrussland gegen den Willen Lukaschenkos durchsetzen wollen, müsse es einen Konflikt beginnen. Das sei für Russland riskant.

"Weißrussland verdient am russisch-ukrainischen Konflikt"

Minsk habe die russische Annexion der ukrainischen Krim-Halbinsel 2014 kritisiert. Von dem Lebensmittelembargo, das Russland als Antwort auf die EU-Sanktionen gegen die EU verhängt hat, profitiere dagegen die weißrussische Wirtschaft, die zu 60 Prozent staatlich sei. Europäisches Essen würde nach Weißrussland transportiert, dort umgepackt, und als weißrussische Lebensmittel nach Russland weiterverkauft. Schraibman: Das ist kein riesiger Posten im belarusischen Budget, aber eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. "Woran Weißrussland aber wirklich verdient - und das ist ein bisschen traurig - ist am russisch-ukrainischen Konflikt." Da es keine Direktflüge von Moskau nach Kiew gebe, würden diese über Minsk führen. Der Handel von Kohle und Ölprodukten laufe teilweise über Weißrussland, sagte Schraibman.

Den Ukraine-Konflikt habe Lukaschenko auch politisch genützt. In den Friedensverhandlungen 2015 in Minsk präsentierte er sich als Mediator und Gastgeber. Der Friedensvertrag wurde nach dem Verhandlungsort benannt. "Lukaschenko mochte das. Er mag es, im Rampenlicht zu stehen, nicht mehr als letzter Diktator Europas." Minsk versuche nun auch in anderen Konflikten zu vermitteln. Das sei praktisch für Lukaschenko. Es verleihe ihm ein neues Image. "Westliche Politiker ins Land zu bringen, macht Lukaschenko salonfähig, ohne dass er Konzessionen zum Beispiel im Bereich der Menschenrechte machen muss."

(APA/Red.)

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