EU-Lieferkettengesetz - WIFO-Chef kritisiert den Kompromiss
"Ich bin nicht zufrieden, weil der Konstruktionsfehler, der dem Lieferkettengesetz zugrundeliegt, überhaupt nicht adressiert wird", betonte der Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung und Universitätsprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) am Dienstag im Gespräch mit der APA. Die nun vorliegende Einigung sei "ein schlechter Kompromiss". Sie heile nicht das eigentliche Problem. "Das ist von Anfang an verhunzt", so Felbermayr unverblümt.
Lieferanten im Ausland zertifizieren
Konkret bemängelte er, "dass man nicht die Lieferanten im Ausland mit einem Zertifizierungsprozess überprüft, sondern jede einzelne Lieferbeziehung zum Gegenstand der Überprüfung macht". Das sei "exzessiv bürokratisch". Es sei wichtig, dass man die Lieferanten zertifiziert, "aber dafür alle", strich der Ökonom hervor. Das sei auch weniger aufwendig.
Statt den Konstruktionsfehler zu beheben, bleibe die Ineffizienz bestehen, "nur die Effektivität ist Null, weil die erfassten Unternehmen weniger werden", bedauert Felbermayr. "Deshalb bin ich so mal nicht 'happy' damit", hielt er fest. Das Anliegen - der Schutz von Menschenrechten und Umwelt - sei ja "ein sehr richtiges".
"Die Chance ist verpasst, dass man diese Rechtsgrundlage so baut, dass sie nicht nur günstiger für die Unternehmen ist, sondern auch effizienter in der Zielerreichung". Diese sei gefährdet. "Jetzt doktert man halt am Schwellenwert herum und das finde ich schade", so Felbermayr. Das Gesetz habe schon in Deutschland "furchtbar polarisiert", auf beiden Seiten werde übertrieben.
Industrie begrüßt Erleichterungen
Die Industriellenvereinigung (IV) begrüßt die Erleichterungen im EU-Lieferkettengesetz. Die ursprüngliche Ausgestaltung wäre ein Bürokratiemonster geworden. Die Grundidee eines Lieferkettengesetzes, um internationale Standards und Menschenrechte sicherzustellen, sei nachvollziehbar, betonte IV-Generalsekretär Christoph Neumayer. "Die ursprüngliche Ausgestaltung hat in vielen Bereichen über das Ziel hinausgeschossen und hätte unsere Betriebe mit massiver Bürokratie belastet", fügte er hinzu. Auflagen seien nun "auf ein moderates Maß" reduziert worden. Die Lösung orientiere sich stärker an den Unternehmensrealitäten. Klein- und Mittelbetriebe (KMU) und die Industrie dürften nicht durch überschießende und teure Vorgaben überfordert und aus dem Markt gedrängt werden.
Erleichtert über die Entscheidung, "unnötigen bürokratischen Aufwand für unsere Unternehmen zu reduzieren", gab sich auch der Obmann der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), Rainer Trefelik. Gerade für Handelsunternehmen sei die Situation sowohl für die Nachhaltigkeitsberichterstattung wie auch die Lieferkettenthematik schwierig, da sie sich zwischen Herstellern und Kunden befänden. "Hier sind KMU oft in einer Zwickmühle, wenn sie von nachgelagerten Unternehmen mit Anfragen bombardiert werden", sagte der Bundesspartenobmann.
ÖVP-Europaabgeordnete Lukas Mandl zeigte sich in einer ersten Reaktion gegenüber der APA froh, dass "nach jahrelanger Überzeugungsarbeit und einem Jahr der Verhandlungen nun das erste Deregulierungspaket unter Dach und Fach ist". Denn der Vertrauensverlust in die europäische Ebene durch die Überregulierung in der Vorperiode sei riesig gewesen.
ÖGB und AK kritisieren "Aushöhlung"
ÖGB und Arbeiterkammer (AK) wiederum finden, dass die Abschwächung des Gesetzes die Wirtschaft nicht voranbringe und fordern, dass Kinderarbeit und Zwangsarbeit entlang von Lieferketten "endlich ein Ende haben müssen". Die "Aushöhlung" des Lieferkettengesetzes sei ein "Rückschlag für Europa", bedauerte die Leiterin des volkswirtschaftlichen Referats des ÖGB, Angela Pfister. Neben der Abschwächung sei auch eine Verschiebung der Frist zur Umsetzung der EU-Richtlinie in die jeweiligen nationalen Gesetze der Mitgliedsstaaten auf 26. Juli 2028 beschlossen worden, so ein weiterer Kritikpunkt.
SPÖ-EU-Abgeordnete Evelyn Regner übt ebenfalls heftige Kritik an den Änderungen. Konservative und rechte Kräfte im EU-Parlament hätten "den gesamten Inhalt aus dem Gesetz gekippt". "Es ist eine verpasste Chance, klare und einheitliche EU-weit geltende Standards für Menschenrechte und Umwelt entlang globaler Lieferketten verbindlich durchzusetzen." Auch die Außenpolitische Sprecherin der SPÖ, Petra Bayr, zeigte sich "enttäuscht über die Abschwächung" des Gesetzes. "Die verwässerte Regelung ist zahnlos und betrifft nur noch wenige Großkonzerne."
"Heute wurde ein Meilenstein für Menschenrechte und Verantwortung in der Wirtschaft sowie fairen Wettbewerb untergraben", übten auch Grünen-Europaabgeordnete Lena Schilling und Grünen-Wirtschaftssprecherin Elisabeth Götze Kritik. Das Lieferkettengesetz markiere den "Dammbruch, den wir im Europaparlament seit anderthalb Jahren spüren", sagte Schilling. "Die neue Realität, dass die Konservativen, geblendet von ihrem Hass auf den Green Deal, sogar mit den extrem Rechten paktierten", ergänzte sie. Außerdem würden Unternehmen, die bereits in verantwortungsvolle Lieferketten investiert hätten, nun bestraft, während die Bremser profitierten, merkte Götze an.
Global 2000 und Greenpeace sind empört
Die Umweltschutzorganisation Global 2000 bezeichnete die "De-facto-Abschaffung" des Lieferkettengesetzes durch "die rechtsextremen und konservativen Parteien" als "Kniefall vor der Konzernlobby". "Firmen wie die Mega-Ramschhändler Temu und Shein sind die perfekten Beispiele, was ohne ein Lieferkettengesetz geschehen wird", kritisierte die Sprecherin für Ressourcen und Lieferketten, Anna Leitner.
"Statt Menschenrechte und Umweltschutz zu stärken, hat die EU vor Konzernlobbyisten kapituliert", ärgerte sich auch die Wirtschaftsexpertin bei Greenpeace Österreich, Ursula Bittner. "Was überbleibt ist ein Greenwashing-Deal, denn eine weichgespülte Richtlinie schützt niemanden."
Herber Rückschlag vor Tag der Menschenrechte
Die Organisationen Südwind und das Netzwerk Soziale Verantwortung (NeSoVe) verurteilten ebenso das "Einknicken der EU-Gesetzgebung vor Konzerninteressen". Klimapläne seien zur Gänze gestrichen und die Maximalstrafen herabgesetzt worden - und auch die zivilrechtliche Haftung sei gestrichen worden. "Genau am Vortag des Tags der Menschenrechte ist das ein herber Rückschlag für soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte und Klimaschutz", so Südwind-Experte Stefan Grasgruber-Kerl.
"Anstatt Unternehmen in Bezug auf Menschenrechte und Umweltstandards in die Pflicht zu nehmen, hat die EU eine große Chance verpasst, Kinder zu schützen", empörte sich weiters der Geschäftsführer der österreichischen Entwicklungsorganisation Jugend Eine Welt, Reinhard Heiserer, über den auf EU-Ebene erzielten Konsens, das Lieferkettengesetz zu lockern. Die EU trage Mitschuld an 138 Millionen arbeitenden Kindern im Globalen Süden.
(APA)
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