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"Es ging immer irgendwie"

Seine Schrift: Ungelenk und krakelig wie die eines Erstklässlers. Nur langsam fließen die Buchstaben aus der Feder auf das Papier, um sich dort zu einem Wort zu formen.

Zumindest seinen Namen kann Markus* schreiben. Alles andere und lesen dazu muss der 23-Jährige aber erst wieder mühsam lernen. Heute beginnt für ihn an der Volkshochschule Bregenz der zweite Alphabetisierungskurs.

Markus ist ein groß gewachsener junger Mann. Hübsches Gesicht. Strahlend blaue Augen. Niemand würde hinter ihm einen Menschen mit Handikap vermuten. Doch das Schicksal wollte es ein bisschen anders. Markus kam zwei Monate vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt. Ein Frühchen, das im Inkubator „wahrscheinlich zu wenig Sauerstoff bekommen hat“, wie seine Mutter vermutet. Jedenfalls war die geistige Entwicklung des Buben beeinträchtigt und der Weg in die Sonderschule vorgezeichnet.

An sich nichts Schlimmes. „In den ersten Jahren wurde Markus bestens unterstützt und gefördert“, erzählt die Mutter. Dann allerdings folgte ein Lehrerwechsel und der Faden riss. Als Markus die Schule verließ konnte er kaum lesen und schreiben. Trotzdem lavierte er sich geschickt durchs Leben. „Er brauchte nie eine Bedienungsanleitung. Er konnte mit dem Computer umgehen, nannte mir die richtige Abzweigung, wenn wir mit dem Auto unterwegs waren und beim Einkaufen blieb er so lange an der Kasse stehen, bis er das Rückgeld auf den letzten Cent in der Hand hatte“, beschreibt seine Mutter den Alltag. Noch heute rätselt sie manchmal, wie er das alles zuwege brachte. Sie schaut ihren Sohn sinnend an. Der schweigt. Er tut sich ebenfalls schwer mit einer Erklärung. „Es ging immer irgendwie“, sagt Markus dann nach längerem Überlegen.

Er musste sich mit seinem Geheimnis auch nie verstecken. „Seine Freunde wussten Bescheid“, betont die Mutter. Aber warum unternahm sie selbst nichts, um ihrem Sohn zu helfen? Die schlanke Frau starrt einen Augenblick ins Leere. „Ich habe ihn so angenommen wie er ist. Er war zufrieden und fühlte sich akzeptiert.“ Sie redet leise. Ein Anflug von Hilflosigkeit stiehlt sich in ihr Gesicht. „Ich hatte keine Ahnung von solchen Kursen.“ Schließlich nahm der frühere Dienstgeber von Markus die Sache in die Hand. Er meldete den jungen Mann bei einem Alphabetisierungskurs der Volkshochschule Bregenz an und stellte ihn damit vor vollendete Tatsachen. Mutter und Sohn nahmen dankend an.

Der Kurs basiert auf Einzelförderung im Gruppenverband. Jeder kann das Lerntempo seinen Fähigkeiten entsprechend bestimmen. „Für Markus ist das eine Erleichterung. Er weiß jetzt, dass er mit seinem Problem nicht allein dasteht und es schaffen kann“, freut sich die Mutter. Auch er ist guter Dinge und bereits mit großen Plänen unterwegs. Er peilt den Führerschein an. Doch vorher heißt es noch fleißig Schreiben und Lesen lernen. Den ersten Kurs hat Markus hinter sich. Heute beginnt der nächste. Markus will durchstarten und hofft, dass ihm das neue Wissen auch wieder einen Job bringt. Mit dem Lesen „geht es schon so halbwegs“, sagt er stolz. Und das mit dem Schreiben wird auch noch.

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