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„Er hat sie bewusstlos geprügelt und im Wald liegen gelassen“

Anna musste dabei zusehen, wie ihre Schwester von ihrem Vater schwer misshandelt wurde.
Anna musste dabei zusehen, wie ihre Schwester von ihrem Vater schwer misshandelt wurde. ©Symbolbild/Bilderbox
Kürzlich wurde ein Fall von Kindesmissbrauch in Wien bekannt. Auch Karins* Töchter wurden von ihrem Mann schwer missbraucht.

WANN & WO: Wann war der traumatisierende Vorfall?

Karin: Das ganze ist etwa zehn Jahre her. Damals waren meine zwei Töchter Sabine* und Anna* im Volksschulalter. Ich habe mich von dem Täter getrennt, weil er gewalttätig und Alkoholiker war. Es hat auch damals schon sexuelle Übergriffe auf meine Tochter aus erster Ehe gegeben. Das wurde aber nicht angezeigt, weil ich Angst hatte und ihm auch ein Stück weit hörig war. Nach der Trennung ist er aus Vorarlberg weggezogen und bekam einen einwöchigen Pflegschaftsurlaub bewilligt. Meine Einwände bei den Ämtern haben nichts genutzt. Von diesem „Urlaub“ sind meine Mädchen vollkommen verstört, dreckig und verwahrlost zurückgekommen.

WANN & WO: Weißt du genau, was passiert ist?

Karin: Anna hat es lange verdrängt, aber vor einer Weile hat sie mir doch erzählt, was ihr Vater getan hat. In einem Wald habe er Sabine bis zur Bewusstlosigkeit geprügelt. Danach habe er sie mit Alkohol übergossen und anzünden wollen. Er hat sie dann aber einfach liegen gelassen – ich glaube zum Sterben. Anna musste alles mit ansehen. Zu ihr habe er gesagt: „Jetzt kannst du schauen, wie deine Schwester verreckt!” Er wollte immer nur eines der beiden Mädchen. Ich glaube, so hatte er geplant, Sabine endgültig loszuwerden.

WANN & WO: Hat es noch ähnliche Vorfälle gegeben?

Karin: Einmal hat er ihr einfach so einen Zahn gezogen. Seither kann sie nicht mehr zum Zahnarzt gehen, weil sie schlimme Angstzustände be­­kommt.

WANN & WO: Wie hat Sabine das Ganze verarbeitet?

Karin: Anfangs überhaupt nicht. Sie hat lange mir die Schuld für ihr Schicksal gegeben. Ich war es ja, die sie ihm ausgeliefert hat. Darum habe ich mich auch lange schuldig gefühlt. Sie hat melancholische Lieder von Xavier Naidoo oder LaFee gehört. Seit dem Volksschulalter hat sie Suizidgedanken, ist dann auf die schiefe Bahn geraten und hatte Drogenprobleme.

WANN & WO: War sie nicht in Therapie?

Karin: Das ist sie noch immer. In Briefen an ihren Vater, in denen sie ihm Vorwürfe macht, hat sie versucht, es zu verarbeiten. Sie hat eine posttraumatische Störung und kann auch heute noch keine normale Beziehung zu Erwachsenen aufbauen. Vor einer Weile hat sie mir aber endlich gesagt, dass sie jetzt weiß, was ich für sie getan habe und auch erkannt habe, wie sehr ich sie liebe.

WANN & WO: Haben dir die Behörden nicht geholfen?

Karin: In der Therapie hat Sabine Bilder von dem Vorfall gemalt. Darum wurde mir vorgeworfen, dass ich die Mädchen Horrorfilme ansehen lassen würde. Geglaubt hat uns niemand. Einmal wollte man mir sogar meine Kinder wegnehmen. Als dann alles herausgekommen ist, hieß es von der Staatsanwaltschaft, die Tat sei verjährt, und es sei kein fortgesetztes Delikt nachweisbar.

WANN & WO: Wie geht ihr heute damit um?

Karin: Sabines Hund ist ihr bester Freund. Dank ihm konnte sie sich nach und nach etwas öffnen. Die Kinder schämen sich für ihren Vater und haben Angst, dass dieses Böse auch in ihnen schlummert. Ich bin stolz darauf, wie stark sie sind. Ich habe mich komplett von dem Täter abgekapselt und werde ihm nicht die Genugtuung geben, dass er unsere Leben zerstört hat. Wir blicken nach vorne und möchten jetzt endlich auch die schönen Seiten des Lebens kennenlernen und genießen.

* Namen von der Redaktion geändert

Geänderte Verjährungsfristen seit 2010

Das österreichische Gewaltschutzgesetz gilt seit 1. Jänner 2010. Die Gesetzesanpassung betrifft die Verjährungsfristen bei sexueller Gewalt gegen Minderjährige. Diese beginnen seither erst ab Vollendung des 28. Lebensjahres der Opfer zu laufen. Damit ist z.B. ein Sexualdelikt an einem Kind, was mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden kann, erst 20 Jahre nach dessen 28. Geburtstag verjährt. Die neue Regelung gilt aber nicht rückwirkend.

 

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