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Empfehlungen der Kindeswohlkommission: Von der Kindeswohlprüfung bis zum Controlling

Von der Kindeswohlprüfung bis zum Controlling reichen die Empfehlungen der Kindeswohlkommission
Von der Kindeswohlprüfung bis zum Controlling reichen die Empfehlungen der Kindeswohlkommission ©APA/HELMUT FOHRINGER
Die Kindeswohlkommission, die nach der umstrittenen Abschiebung von Mädchen nach Georgien und Armenien eingesetzt wurde, fordert in ihrem Bericht eine stärkere Berücksichtigung des Kindeswohls in Verfahren.
Kinderrechte nur unzulänglich eingehalten
Kindeswohlkommission: Fünf Mitglieder

Schubhaft für Minderjährige und Familien dürfe es nicht mehr geben, Abschiebungen sollten nicht während des Schuljahres stattfinden, rät die Kommission. Im Folgenden die Empfehlungen aus dem Bericht.

Bericht der Kindeswohlkommission: Empfehlungen

KINDESWOHLPRÜFUNG

In allen Entscheidungen im Rahmen des Asyl- und Fremdenrechts, die Kinder betreffen, soll eine "umfassende Prüfung des Kindeswohls und der Auswirkungen der Entscheidungen auf die Rechte des Kindes gewährleistet" werden.

Referenten des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl sollten dazu ebenso wie die Richter des Bundesverwaltungsgerichts, bei dem Bescheide bekämpft werden können, klare Kriterien und Handlungsanleitungen bekommen. Die Prüfung müsse "über die Wahrung der Familieneinheit hinausgehen und eigenständig die Situation und Integration von Kindern berücksichtigen". "Eine Verletzung des Kindeswohls durch eine aufenthaltsbeendende Maßnahme kann meist nicht dadurch aufgewogen werden, dass die Einheit der Familie gewahrt bleibt", betont die Kommission.

In Sachen Rechtsberatung merkt die Kommission an, dass Kinder "ein Recht auf Zugang zu kindgerechter Information über das Verfahren in einer für sie verständlichen Sprache" haben.

GESETZESÄNDERUNGEN

Rechtsvorschriften, die die Kindeswohlprüfung mittelbar oder unmittelbar betreffen, sollten auf notwendige Änderungen überprüft werden, rät die Kommission. Das gilt (ua) für den Kriterienkatalog des § 138 ABGB, der die besonderen Verhältnisse von minderjährigen Flüchtlingen, wie die Bindung zu und Sozialisation in Österreich und das Verhältnis zum Herkunftsland, nicht ausreichend berücksichtigt. Der so ergänzte Katalog soll in den Asyl- und Fremdengesetzen unter Verweis auf das BVG Kinderrechte als Prüfungsmaßstab für alle Entscheidungen verankert werden, die Kinder betreffen.

ALTERSFESTSTELLUNG

Das System der Altersfeststellung soll überprüft werden. Psychosoziale und kognitive Faktoren sollen demnach gleichberechtigt zu medizinischen Faktoren in die Beurteilung einfließen. Zudem soll die Altersfeststellung als selbstständig anfechtbare Entscheidung ausgestaltet werden.

KINDGERECHTES VERFAHREN

Für alle mit der Kindeswohlprüfung befassten Personen empfiehlt die Kommission verpflichtende und regelmäßige Aus- und Weiterbildungsprogramme. In den Verfahren sollen auch Kinder unter 14 Jahren gehört werden. Gefordert wird auch eine Einbindung der Kinder- und Jugendhilfe.

HUMANITÄRES BLEIBERECHT

In Entscheidungen über Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen sollen in einem formalisierten Verfahren die Erfahrungen von Nachbarn, Kollegen bei ehrenamtlichen Tätigkeiten, Lehrern und Mitschülern berücksichtigt werden. Vor allem in Härtefällen soll diesen Berichten besonderes Gewicht zukommen.

ABSCHIEBUNGEN

Man müsse sicherstellen, dass das Kindeswohl "bei Anzeichen geänderter Umstände bis zuletzt geprüft werden kann" und seine Gefährdung dazu führe, dass das weitere Vorgehen überprüft wird. Bei der Organisation von Abschiebungen müsse etwa für eine psychologische Krisenintervention vorgesorgt werden.

"Termin, Art und Weise der Abschiebung sollen so festgelegt werden, dass Kinder möglichst geringen Schaden erleiden", fordert die Kommission. Während des Schuljahres sollen schulpflichtige Kinder nicht abgeschoben werden.

Zudem solle angeordnet werden, dass Minderjährige und Familien nicht mehr in Schubhaft genommen werden dürfen.

UNBEGLEITETE MINDERJÄHRIGE

Die Obsorge für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge solle "dringend für ganz Österreich einheitlich gestaltet" werden, derzeit bestehe hier eine "Schutzlücke". Es solle auch geprüft werden, ob Unbegleiteten Minderjährigen wie in Frankreich ein Bleiberecht bis zur Volljährigkeit gewährt werden soll, sofern kein Grund für eine Aberkennung eines Aufenthaltstitels vorliegt.

UNTERBRINGUNG

Minderjährige Flüchtlinge sollen in Einrichtungen untergebracht werden, die den Standards der Kinder- und Jugendhilfe entsprechen und heimischen fremdbetreuten Kindern gleichgestellt werden. Jugendliche sollen eine Lehre absolvieren oder andere Bildungsabschlüsse erwerben können, Schulbesuch soll auch nicht mehr schulpflichtigen Kindern offenstehen.

CONTROLLINGSYSTEM

Beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) soll das (nicht nur für Kinder geltende) Controllingsystem geändert werden: Für einen positiven Bescheid erhält ein Referent derzeit 0,6 Punkte, für einen negativen einen Punkt. Für andere (kürzere) Bescheide werden 0,5 Punkte vergeben. Pro Woche sollen mindestens vier Punkte erreicht werden. Bis zu einem gewissen Grad sei das zwar gerechtfertigt, weil negative Entscheidungen mit mehr Aufwand verbunden sind, meinte Kommissions-Chefin Irmgard Griss. "Aber es fördert eine gewisse Tendenz." Stattdessen sollen auch qualitative Kriterien eine Rolle spielen - also etwa ob für eine Entscheidung nur Textbausteine aus anderen Verfahren verwendet wurden.

STATISTIK

Im Jahr 2020 stellten 4.055 begleitete Minderjährige einen Asylantrag in Österreich. 1.467 kamen als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. 3.716 begleitete und 381 unbegleitete Minderjährige wurden zum Asylverfahren zugelassen. 5.730 Minderjährige haben 2020 Asyl, subsidiären Schutz oder humanitäres Bleiberecht erhalten, davon waren 186 unbegleitete Minderjährige. Deutlich mehr als die Hälfte der begleiteten Minderjährigen (3.220) waren in Österreich geborene Kinder von Personen, die bereits mit einem Schutzstatus oder Aufenthaltstitel in Österreich leben. 1.174 Anträge von Minderjährigen wurden rechtskräftig abgewiesen und Rückkehrentscheidungen erlassen.

(APA/Red)

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