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Die Pille wird 45 Jahre alt

Atombombe, Fernsehen, Computer, Internet - das 20. Jahrhundert hat einige Erfindungen hervorgebracht, die das Leben grundlegend verändert haben. Seit 1960 zählt auch die Anti-Baby-Pille dazu.

Auch ein kleines grünes Kügelchen mit dem Namen „Enovid“ gehört dazu: Der Prototyp der Anti-Baby-Pille. Der Chemiker Carl Djerassi hatte 1951 ein Hormon zur Empfängnisverhütung künstlich hergestellt und so lange weitergetüftelt, bis er die Pille entwickelt hatte. 1960 wurde „Enovid“ auf dem amerikanischen Markt zugelassen. Ein Jahr später brachte der deutsche Pharmakonzern Schering die Anti-Baby-Pille „Anovlar“ auf den Markt, zunächst als „Mittel gegen Menstruationsbeschwerden“, das nur verheirateten Frauen verschrieben wurde.

Denn die Pille kollidierte mit den Moralvorstellungen der Gesellschaft der sechziger Jahre. Während Feministinnen sich für die Einführung und Verbreitung der Pille einsetzten, strafte die katholische Kirche mit der Enzyklika „Humanae Vitae“ 1968 die hormonelle Verhütung als Sünde ab. Doch da hatte die Pille ihren Siegeszug schon längst angetreten. Eine Packung „Anovlar“ mit 20 Pillen kostete bei der Einführung 8,60. Heute zahlen Frauen, die mit der Pille verhüten, zwischen fünf und zehn Euro pro Monat. Dafür haben sie auch sinnlichere Namen als in den sechziger Jahren.

Weit verbreitet

Laut einer Umfrage der Charite Berlin unter 2.500 Frauen zwischen 14 und 49 Jahren nehmen heute 36 Prozent aller Frauen, die verhüten, die Pille. Bei Frauen unter 30 Jahren sind es sogar mehr als die Hälfte. Dass die Pille vor einer Schwangerschaft schützt, ist für die Frauen selbstverständlich. Die Frage ist: Was kann die Pille noch? „Welche Pille eingenommen wird, hängt häufig von Faktoren ab, die eher dem Lifestyle zuzuordnen sind“, sagt Ines Thonke, Ärztin und Medizinreferentin bei Pro Familia.

Der Verband bietet Hilfe und Beratung zu Familienplanung und Sexualität. Thonke hat die Erfahrung gemacht: „Die Wirkung auf Haare, Haut und Körpergewicht sowie die Möglichkeit, die Pille im Langzyklus für drei Monate ohne störende Monatsblutung einzunehmen, spielen eine große Rolle“. Dem stimmt auch Beate Schultz-Zehden zu. Die Medizinpsychologin an der Charité Berlin, beschäftigt sich mit dem Verhütungsverhalten von Frauen in Deutschland. „Die Beziehung der Frauen zu ihrem Körper hat sich verändert. Alles soll machbar und kontrollierbar sein. Die Frauen wollen mehr Lust, Freiheit und Lebensqualität.“

Höhere Erwartungen

Schultz-Zehden ist sich sicher: „Die Pille ist und bleibt sicher das Verhütungsmittel Nummer 1. Aber die Erwartungen bezüglich der ’Benefits’ werden zukünftig größer.“ Und so basteln auch Forscher an der Pille, die mehr kann als verhüten, zum Beispiel Akne vertreiben. Die erste Pille „Enovid“ enthielt noch knapp 100 Mikrogramm Östrogen und verursachte Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindel.

Moderne Pillen liegen bei 20 bis 30 Mikrogramm Östrogen. Trotzdem stehen viele Frauen dem Hormonpräparat skeptisch gegenüber und wollen wissen: Wo bleibt die Pille für den Mann? Schließlich soll man als Pillen-Anwenderin nicht rauchen und auch aufpassen, was man isst. Denn Lakritze, Johanniskraut und Grapefruitsaft etwa sollen die Wirksamkeit der Pille verringern. Eine Pille für den Mann wird es allerdings wohl nicht geben, das Nahziel der Forschung ist vielmehr eine Kombination aus Spritze und Implantat.

Letzteres wird dem Mann für ein Jahr eingesetzt, die Spritze soll er alle drei Monate bekommen. Diese Kombination soll dafür sorgen, dass die Spermienbildung so niedrig ist, dass keine Befruchtung stattfinden kann. Schon in wenigen Jahren rechnen Pharmakonzerne mit der Markteinführung, und das nächste Kapitel in der Geschichte der hormonellen Empfängnisverhütung wäre aufgeschlagen.

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