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Die Gehängten

Ulrich Gabriel
Ulrich Gabriel

Kaum zurück in der Oberwelt habe ich Mühe mich zu orientieren. Noch halb zugedröhnt von der Messe-Unterwelt versuche ich mich zurechtzufinden. Ich bin mit dem Auto unterwegs. Die Straßen haben mehr Wegweiser als Bäume. Alle zehn Meter müssen meine Augen ein Zeichen, eine Fahrtanweisung, ein Werbeplakat oder einen Hinweis aufnehmen und im Hirn verarbeiten, um ohne Problem weiterzukommen. Ist das nicht krank? Ich komm mir behindert vor. Wann kommt endlich der individuelle Verkehrszeichen-Chip zum Einwerfen?

Ob das alles vom Schöpfer Herr Gott so vorgesehen war, bezweifle ich. Homo debilis bekommt immer noch mehr Hilfsobjekte und technische Ersatzteile: Hörapparat, Herzklappen, Plastikknochen, Stoma, Silikonbusen, Gebiss, Verkehrszeichen, Leitlinien, Lifte, Rolltreppen, Rollatoren u.a.m.. Das Bio-Holzbein hat ausgedient. Schon werden Innereien, sogar Herzen, industriell gezüchtet. Haben wir denn unseren organischen Fleischkörper seit tausenden Jahren entwickelt, um ihn heute anorganisch wegzuentwickeln? Wird er künstlich ersetzt? Soll unser Körper zum eigenen Ersatzteillager werden?

Wir haben die Augen doch, um Schönes anzusehen nicht Verkehrszeichen. Insofern ist es ja eine Verbesserung, wenn wir in naher Zukunft augenbefreit autogesteuert werden und dank Elektronik unsere Äuglein vor dem Zeichenwald schließen können. Die Hoffnung kraft unseres Erfindungsgeistes wieder menschlich zu werden, gilt für Klimaschützer nicht, denn sie werden laut ihres CO2-Erderwärmungsglaubens dann schon längst verdorrt und verbrannt sein. Der Virus der Gläubigen heißt nämlich Zukunftangst. Er verursacht apokalyptisches Treiben. Gläubige müssen nach dem Tode wieder antreten; im nachhaltigen Treibhausgas-Jenseits, im windstillen Nirwana oder in sonst einem klimaneutralen Paradies oder jungfräulichen Gottesstaat. Da will ich nicht hin. Der Vorteil des Ungläubigen besteht darin, frei, selbstbestimmt und ewig zu leben und eine zu rauchen.

Ich fahre Richtung Altach. Diesmal ist es anders. Die hängenden Köpfe sind da. Sie hängen an Masten, Bäumen, kleben auf Ständern, Tafeln. Der hohle Staatsschädel grinst und glotzt mich an. Herausgeputzte Bundesplutzer und Landesbirnen machen sich ungefragt wichtig, stellen sich am Straßenrand auf und versuchen mich anzumachen. Sie penetrieren den Sehnerv der zur Arbeit Fahrenden und wollen über die Augen ins Hirn schleichen. Jede Fahrt wird zur Wahlfahrt. Manche hängen so oft hintereinander, dass ich aufatme, wenn endlich wieder ein anderer Kopf erscheint. Für meinen Geschmack hängen hierzulande zum Beispiel zu viele Sieber herum. Kurzweilig auch, dass seit kurzem alle Schwarzen Kurz heißen. Der LH heißt jetzt Markus Kurz. In Altach hängt eine Kurziosität: Kopfs Kopf. Ich glaub, es ist der alte.

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