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Deutschland: Der virtuelle Wahlkampf

Negativ-Kampagnen, Politiker-Tagebücher und Aktionen zum Mitmachen: Der deutsche Wahlkampf im Internet hat mit Händeschütteln im Wahlkreis wenig gemeinsam.

Die Nutzung dieses Mediums sei für die Parteien in Deutschland inzwischen besonders wichtig, sagt Christoph Bieber vom Zentrum für Medien und Interaktivität in Gießen. Denn dieser Wahlkampf ist kurz und das Bundesverfassungsgericht kann die Neuwahl noch kassieren. Kampagnen im Internet ließen sich schnell organisieren, hätten eine große Reichweite und seien billig, preist Bieber die Vorzüge des Mediums. Die CDU gibt gerade ein Prozent ihres Budgets für den Online-Wahlkampf aus, das sind 180.000 Euro.

Die intensive Einbeziehung des Internets im Wahlkampf ist wie das TV-Duell eine Entwicklung aus den USA. Die US-Kandidaten sammelten in den vergangenen Wahlkämpfen über ihre Seiten Spenden in Millionenhöhe und mobilisierten Anhänger per Email. Doch auch die deutschen Parteien seien professionell, findet Bieber. „Die großen Parteien arbeiten etwa seit zehn Jahren mit dem Internet.“

Die SPD hat ihre Parteiseite (www.spd.de) zur Wahlkampfseite umstrukturiert, wo prominente Unterstützer für die Sozialdemokraten werben. Eine eigene Seite hat Bundeskanzler Gerhard Schröder bekommen (www.gerhard-schroeder.de), wo der SPD-Kandidat nicht nur als Politiker, sondern auch als Mensch vorgestellt wird. Die CDU wirbt auf ihrer Seite (www.cdu.de) gezielt um Senioren, Frauen, Jugend, Auslandsdeutsche und Aussiedler.

Üblich sind Unterstützerseiten wie www.rote-wahlmannschaft.de für die SPD, wo persönlich und unideologisch auch Nichtmitglieder angesprochen werden. „Diese Angebote sollen parteiferne junge Wähler erreichen, die nicht durch den klassischen Stand in der Fußgängerzone angezogen werden“, erläutert Bieber. Die CDU präsentiert das „Team Zukunft“ (www.team-zukunft.cdu.de). Die Grünen bieten von ihrer Wahlkampfseite (www.prozentfabrik.de) einen Link zu der Mitmachseite (www.gruene-aktion.de). „Schön, dass Du da bist. Bis zu den Wahlen gibt’s eine Menge zu tun, um grüne Politik zu unterstützen“, heißt es dort. Angeboten wird, „ganz bequem“ auf der eigenen Webseite Grünen-Botschafter zu werden oder Flugblätter herunterzuladen und zu verteilen.

Die Linkspartei (www.sozialisten.de/wahlen2005/index.htm) versuche, „niedrigschwellige Angebote“ zur Beteiligung zu machen, sagt Parteisprecher Hendrik Thalheim. Möglich ist etwa, die eigene Meinung zu veröffentlichen. „Wir sind die führende Internetpartei“, betont FDP-Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz. 350.000 Euro stecken die Liberalen in ihren Internetauftritt (http://wahlkampf.fdp.de), der auf Information und Diskussion setzt. Als Besonderheit versteigern die Liberalen Erinnerungsstücke bekannter Parteimitglieder im Internetauktionshaus Ebay. Dort kommt zur Aufbesserung der Wahlkampfkasse etwa eine Krawatte des ehemaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher unter den virtuellen Hammer.

Doch die Parteien reden auf ihren Seiten nicht nur über sich selbst. Die CDU hat eine Seite (www-leere-versprechen.de), um nicht eingehaltene Ankündigungen von Schröder und seinem „Kabinett der leeren Versprecher“ zu dokumentieren. Die SPD kontert und verulkt auf www.die-falsche-wahl.de die CDU-Vorsitzende Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle. Neben unvorteilhaften Fotos sind zahlreiche Argumente zu lesen, die beiden nicht zu wählen. Auf http://www.roteblogs.de veröffentlicht die SPD zudem die Wahlkampf-Erlebnisse der „Angela M. aus der Uckermark“.

Diese Blogs genannten Online-Tagebücher werden von vielen Politikern (http://blog.focus.msn.de; www.internetwahlkampf.de) und scharfen Beobachtern (www.wahlblog05.de) geführt und sind für Bieber eine „neue Öffentlichkeit“ im Netz. Wer die Meinungen von Politikern erfahren will, die kein Blog führen, kann es auf www.kandidatenwatch.de versuchen. Dort erscheinen nach Eingabe der Postleitzahl die Kandidaten des Wahlkreises. Per Email können Fragen gestellt werden, die zusammen mit der Antwort veröffentlicht werden. Und wer nicht antwortet, erfährt der Wähler auch.

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