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"Der Staat hat eine Bringschuld"

Österreichs führender Genetiker fährt mit dem Bildungssystem hart ins Gericht.
Österreichs führender Genetiker fährt mit dem Bildungssystem hart ins Gericht.
Dornbirn. Österreichs führender Genetiker Markus Hengstschläger referiert am heutigen Mittwochabend im WIFI Dornbirn über Gene, Talente und Chancen. Der Eliten-Fan vorab im Gespräch.

WANN & WO: Was ist für die Entfaltung eines Talentes wichtig? Gene oder das soziale Umfeld?

Hengstschläger: So gesehen sind gerade 0,1 Prozent für die Talententfaltung genetisch bedingt. Ansonsten heißt es: üben, üben, üben, um das Talent zu fördern bzw. zu stärken. Hinzukommend ist auch die Individualität für die Entwicklung entscheidend. Kinder zum Lernen zu motivieren und sich besonders auf die Stärken zu konzentrieren, ist wichtig.

WANN & WO: Das Schulsystem ist nicht unbedingt auf das Fördern von Talenten ausgelegt. Was müsste geschehen, um dies nachhaltig zu ändern?

Hengstschläger: Hier trägt de facto das System Schuld. Auch wenn Lehrer oftmals sehr motiviert sind, müssen sie sich anderen Leistungen widmen, z.B. administrativen Tätigkeit, wodurch viel Zeit und Kraft verloren geht. Diese wären bei den Kindern besser genutzt.

»Wir brauchen Spezialisten und Freaks in jedem Bereich der Gesellschaft. Markus Hengstschläger«

WANN & WO: Befindet sich das österreichische Bildungssystem in einer “Durchschnittsfalle”?

Hengstschläger: Ja, wenn das Kind ein Talent hat bzw. in einem Schulfach wirklich ausgezeichnet ist. In einem anderen dafür aber nicht, so passiert es schnell, dass es mehr Energie für das Fach, in welchem es schlechter ist, aufwenden muss und somit Talent im anderen verliert. Somit geht ein Genie verloren. Ein anderes Beispiel wäre, wenn Kinder Häuser zeichnen. Alle schauen quasi gleich aus und wenn es das Haus anders (phantasievoll) zeichnet, wird es gerügt. Und dann heißt es später, dass keine Individualität mehr vorhanden sei.

WANN & WO: Auch Universitäten verfallen teils mehr in den schulischen Charakter. Stellt dies ebenfalls ein Problem dar?

Hengstschläger: Universitäten sind gegenüber von Schulen noch im Vorteil. Bei diesen ist eine gewisse Art der Individualität gegeben –auch im Rahmen des “Bologna-Prozesses”. Dies liegt vor allem daran, dass in Schulen quasi alles gelernt wird bzw. man alles lernen sollte. Später, an der Universität, können Studierende dann wirklich ihre individuellen Interessen verfolgen bzw. sich die Studienrichtung selbst aussuchen. So ist es ihnen möglich, sich auf einen Bereich zu konzentrieren und sich in diesem besonders zu profilieren und zu spezialisieren.

WANN & WO: Gutes “Mittelmaß” – ein typisch österreichischer Weg?

Hengstschläger: Das würde ich so nicht unbedingt sagen. Allgemein ist das eher der europäische Weg und eigentlich gern gesehen, weil bequem. Ich bin ein Elitendenker bzw. ein Verfechter des Elitedenkens. Ich finde, dass es überall Spitzenleistungen geben sollte. Und es ist eigentlich egal, in welchem Bereich sich Eliten finden – sei dies nun im Handwerk oder an der Universität. Wir brauchen Spezialisten und Freaks in jedem Bereich der Gesellschaft.

WANN & WO: Welchen Weg würden Sie dem österreichischen Bildungssystem empfehlen?

Hengstschläger: Lehrer bräuchten ideale Voraussetzungen und die besten pädagogischen Instrumente, sodass sie sich auf ihre Tätigkeiten konzentrieren können. Ein weiteres Problem ist das System in Österreich: Bildung wird zum größten Teil vererbt oder durch finanzielle Mittel ermöglicht. Ein Akademikerkind wird mit größter Wahrscheinlichkeit auch ein Studium beginnen. Umgekehrt, aus einer nicht akademische Familie, ist dies eher unwahrscheinlich. Der Staat hat eine Bringschuld und das System muss eine fairen Weg schaffen, um allen die selben Chancen zu ermöglichen. Jedes Kind soll die Möglichkeit erhalten, sein Talent entdecken zu können.

WANN & WO: Was halten Sie vom dualen Ausbildungsweg (Lehre/Matura)?

Hengstschläger: Die Kombination von Lehre und Matura kann nur gut sein. Hier sind wir eigentlich gut aufgestellt und dieser Ausbildungsweg bietet große Erfolgschancen. Aber es ist paradox, dass bei uns die Handwerkskunst nicht wirklich anerkannt wird. Das finde ich unlogisch, weil wir in diesen Bereichen oft Europa- und oder Weltmeister sind. Hier fehlt es einfach an einem höheren Stellenwert der dualen Ausbildung.

Zur Person: Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger

Alter: 47 Jahre
Wohnort: WienAusbildung: Studium der GenetikBeruf: Universitätsprofessor für Medizinische Genetik an der Medizinischen Uni Wien

Infos zum Vortrag

  • Vortrag: Gene-Talente-Chancen: Wie manage ich (m)ein Talent?
  • WANN: Heute, 19 Uhr
  • WO: WIFI Dornbirn
  • Beschreibung: Markus Hengstschläger sorgte mit seinem Bestseller “Die Durchschnittsfalle” für Furore. Er selbst war in der Jugend Punk, mit 24 Jahren Dr. der Genetik und mit 35 Universitätsprofessor.
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