Seit dem Abschuss des russischen Kampfjets durch die Türkei ist ihnen das Lachen vergangen. Der Konflikt zwischen Russland und der Türkei ist auch zur Krise im Verhältnis der beiden selbstbewussten Präsidenten geworden. Putin führt einen wahren Feldzug gegen Erdogan – der sich am Kremlchef verhoben haben könnte.
Erdogan als “anatolische Version” Putins?
Das Magazin “Foreign Policy” bezeichnete Erdogan im September als “anatolische Version” Putins. Erdogan muss das nicht notwendigerweise als abwertend empfunden haben. Auch Erdogan markiert gerne den starken Mann, der zunehmend autokratisch herrscht und seine Gegner scharf angeht (“Bis in ihre Höhlen werden wir sie verfolgen”). Politisch war Erdogan – der wie Putin aus einfachen Verhältnissen stammt – ähnlich erfolgreich wie der Kremlchef.
Erdogan führt die von ihm mitbegründete islamisch-konservative AKP seit 2002 von Wahlsieg zu Wahlsieg. Krisen bewältigte er dabei mit harter Hand. Auf Korruptionsvorwürfe reagierte er, indem er Ermittler und Staatsanwälte austauschen und absetzen ließ. Regierungskritische Demonstrationen wie die Gezi-Proteste im Sommer 2013 ließ er niederknüppeln. In Anspielung auf die jüngsten russischen Wirtschaftssanktionen und das oft brutale Vorgehen der türkischen Polizei spottete die Erdogan-kritische Zeitung “Sözcü”: “Wenn uns das Erdgas abgedreht wird, haben wir genug Tränengas auf Lager!”
Polit-Rochade nach russischem Vorbild?
Nach dem Ablauf seiner dritten Amtszeit als Ministerpräsident – mehr waren nicht zulässig – ließ Erdogan sich im vergangenen Jahr vom Volk zum Staatsoberhaupt wählen. Auch dieser Schachzug erinnert an die Wandlungen Putins, der vom russischen Präsidenten zum Regierungschef und wieder zurück mutierte, um an der Macht zu bleiben. Erdogan allerdings plant keine Rückkehr ins Amt des Ministerpräsidenten. Stattdessen bestimmt er als Staatschef jetzt die Geschicke des Landes. Dass die Verfassung – die Erdogan ändern will – das eigentlich nicht vorsieht, tut dem keinen Abbruch.
Jet-Abschuss: Erdogan legt sich mit ungewohnt mächtigem Gegner an
Mit dem Abschuss des russischen Kampfjets allerdings hat sich Erdogan mit einem ungewohnt mächtigen Gegner angelegt – was er nun zu bereuen scheint. Alle Bitten Erdogans um ein klärendes Gespräch prallen an den Kremlmauern ab. Stattdessen gießt Putin Öl ins Feuer – und die Regierung in Moskau geht Erdogan persönlich an. So sagte der Vizeverteidigungsminister Anatoli Antonow, “Präsident Erdogan und seine Familie” seien in den Ölhandel mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verwickelt.
Putin bezeichnet die politische Führung in Ankara in seiner Rede an die Nation als “verräterisches Regime”, das in Syrien den IS unterstütze. Und er sagte: “Allah beschloss, die regierende Clique in der Türkei zu bestrafen, und hat sie um den Verstand gebracht.” Angriffe gegen seine Familie und Spott über seine Religion – das sind eigentlich rote Tücher für den strenggläubigen Familienvater Erdogan. Er reagiert schon auf weniger drastische Beleidigungen allergisch, wie zahlreiche Gerichtsprozesse in der Türkei anschaulich belegen.
Erdogan verhält sich untypisch – und bemüht sich um Deeskalation
Diesmal verhält sich Erdogan ganz untypisch: Er keilt nicht zurück, sondern bemüht sich um Deeskalation in der Krise – die ihm inzwischen ernste Sorgen zu bereiten scheint. Kritik an seiner Familie nannte Erdogan lediglich “nicht sehr moralisch”. Nach dem Abschuss des Kampfjets sagte er: “Hätten wir gewusst, dass es ein russisches Flugzeug war, hätten wir möglicherweise anders gehandelt.” Kurz darauf fügte Erdogan hinzu: “Wir bedauern den Vorfall wirklich.”
Damit geht Erdogan für seine Verhältnisse weit auf Putin zu. Die vom Kremlchef geforderte Entschuldigung verweigert er aber. Sie würde für Erdogan einen Gesichtsverlust bedeuten: Aus seiner Sicht müsste er sich dafür entschuldigen, dass die Türkei ihre Grenzen schützt.
Freundschaft vorerst passé
Dennoch erweckt Erdogan den Anschein, als würde ihn Putins Wut persönlich verletzen. Im Flugzeug auf dem Weg nach Doha sagte der türkische Präsident einem Bericht der Zeitung “Hürriyet” zufolge vor wenigen Tagen, früher habe Putin ihn “tapfer und mutig” und einen “ehrlichen Staatsmann” genannt. Damit ist es seit dem Abschuss des Jets vorbei. Putins Tiraden lassen auch vermuten, dass sich Erdogan über Lob aus Moskau so bald nicht mehr wird freuen können.
Zwar kamen die Außenminister beider Länder am Donnerstag erstmals seit dem Abschuss des Kampfjets zusammen. Auf Aussöhnungskurs sind Moskau und Ankara aber trotzdem nicht – im Gegenteil. Eine russische Organisation schlug am Freitag vor, die Straße, in der sich in Moskau die türkische Botschaft befindet, in Peschkow-Straße umzubenennen. Oleg Peschkow war der Pilot, der beim Abschuss des russischen Suchoi-Bombers durch türkische F-16-Jets ums Leben kam.
(APA)
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