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"Der Ferdinand wollte leben"

Frieda Kohlers Ehemann wurde Opfer des Todespflegers von Sonthofen. "Wir hätten heuer unsere goldene Hochzeit gefeiert“, erzählt die 75-jährige Frieda Kohler.

Frieda Kohler und blickt in das Fotoalbum mit den Bildern ihres Mannes. Im gemütlichen Walserhaus in Mittelberg lebt die Witwe nun allein. „Da ist Ferde mit unserem zweitjüngsten Enkel“, die gebürtige Bregenzerwälderin zeigt auf ein Foto und lächelt. „Ferde“, so wurde Frieda Kohlers Mann Ferdinand liebevoll genannt. Am 28. August 2003 starb der 82-jährige gebürtige Andelsbucher in einer Klinik in Sonthofen, im benachbarten Allgäu. Angeblich an einem Schlaganfall: „Das steht auf dem Totenschein, doch wir haben ein Jahr lang nicht geahnt, was wirklich passiert ist“, berichtet die Witwe im „VN“-Gespräch.

29 Menschen getötet

Ferdinand Kohler wurde ermordet – von Krankenpfleger Stephan L., der als „Todespfleger von Sonthofen“ in die Geschichte eingehen wird. Die größte Tötungsserie der deutschen Nachkriegsgeschichte wird dem 27-Jährigen seit gestern vor dem Landgericht Kempten zur Last gelegt. 29 hochbetagte Menschen soll er mit giftigen Medikamenten-Cocktails getötet haben – 12 Männer und 17 Frauen. Stephan L.s Begründung für die Taten: „Aufrichtig empfundenes Mitleid für die kranken alten Menschen.“

Frieda Kohler kann das nicht fassen: „Der Ferdinand war ein lebenslustiger Mensch, er wollte nicht sterben, war nach seinem Schlaganfall sogar wieder auf dem Weg der Besserung“, schildert sie. Ferdinand Kohler hinterlässt neben seiner Frau acht Kinder und 21 Enkel. In der Familie klafft seit jenem Schicksalstag eine große Lücke.

Am Sonntag, dem 24. August 2003, wurde Ferdinand Kohler nach einem leichten Schlaganfall in die Sonthofener Klinik eingeliefert. Bald ging es ihm besser, am Mittwoch darauf konnte er wieder umherlaufen und sogar Witze machen. Als seine Frau und Tochter Margot ihn am Donnerstag besuchen wollten, wurden sie Zeuge des grausamen Todes ihres Mannes und Vaters.

Verstorbene exhumiert

„Wir kamen ins Zimmer, mein Mann war an einem Tropf angeschlossen und atmete nicht, meine Tochter ist dann sofort rausgerannt und hat einen Arzt geholt“, berichtet Frieda Kohler. Doch der Todespfleger hatte sein grausames Werk vollendet, im Tropf war der giftige Medikamenten-Cocktail. Ferdinand Kohler starb, die Ärzte konnten ihm nicht mehr helfen. Ebenso erging es den 28 anderen Opfern. Erst im Jahr 2004 kam das ganze Ausmaß der Taten ans Licht, der Diebstahl von Betäubungsmitteln wurde dem Todespfleger nachgewiesen. Viele verstorbene Patienten wurden exhumiert, auch Ferdinand Kohler. Die Gerichtsmediziner fanden Spuren der tödlichen Substanzen.

Um Verzeihung gebeten

Der „Todespfleger“ von Sonthofen saß gestern beim Prozessauftakt fast reglos auf der Anklagebank. Blass erschien der 27-Jährige im Gerichtssaal und vermied jeden Blickkontakt zu den Hinterbliebenen der Opfer. „Ich bekenne meine Schuld“, sagte er, wandte sich zu den rund zehn anwesenden Angehörigen seiner Opfer als Nebenkläger und bat um Verzeihung. „Ich habe die Patienten sterben lassen und ihnen ungefragt den Rest des Lebens genommen.“ Sein Verteidiger Jürgen Fischer will die Mordvorwürfe entkräften. Sollte als Tatmotiv das „tief empfundene Mitleid“ anerkannt werden, dann könnte Stephan L. nur wegen Totschlags, nicht wegen Mordes verurteilt werden. Höchststrafe 15 Jahre. Das Urteil wird im Mai erwartet.

Frieda Kohler hofft auf die Gerechtigkeit: „Ich kann nicht verzeihen, aber ich hasse den Täter auch nicht.“

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