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Dem Gericht fehlen Schreiber

Frau L. ist aufgebracht. Ihr Arbeitgeber hat sie entlassen, weil sie öfters zu spät gekommen sein soll und ihr darüber hinaus vorgeworfen wurde, ihre Dienstpflichten zu vernachlässigen.

Sie hält die Entlassung für nicht gerechtfertigt und hat daher dagegen am Wiener Arbeits- und Sozialgericht (ASG) eine Klage eingebracht. Im Frühjahr wurde die Verhandlung abgeschlossen, seither wartet Frau L. auf das schriftliche Urteil.

„Man hat mich zu Unrecht aus der Firma geworfen. Ich verstehe nicht, warum die Richter so lange brauchen, um das festzustellen. Ich würd’ einfach gern wissen, ob mir mein Geld zusteht oder ich um die Abfertigung umfalle“, meint die 46-jährige Wienerin.

Sie ist kein Einzelfall. Tatsächlich bleiben im Wiener ASG Akten mitunter längere Zeit liegen. Doch die Kritik von Frau L. trifft die Falschen: Es ist nicht der mangelnde Arbeitswillen der Richterschaft, es sind die fehlenden Schreibkräfte, die immer öfter eine zügige Verfahrenserledigung unmöglich machen.

Infolge von Einsparungen beim nichtrichterlichen Personal wird im ASG inzwischen sogar auf karenzierte Schreibkräfte zurück gegriffen, die nachgerade angebettelt werden, Diktate zu übertragen. „Ohne herumzutricksen, würde der Betrieb nicht mehr funktionieren“, gibt ein Arbeitsrichter unumwunden zu.

Ein Befund, der laut Gerhard Scheucher, Vorsitzender der Sektion Justiz in der Beamtengewerkschaft, grundsätzlich auf die Gerichtsbarkeit in ganz Österreich zutrifft: „In den letzten Jahren haben wir 889 Leute aus dem nichtrichterlichen Personal verloren. Das sind 15 Prozent. Bis zum Jahresende sollen 246 weitere ihren Schreibtisch verlieren.“ Dabei stehe Anfang 2008 die Vorverfahrensreform mit 180 neuen Staatsanwälten an, die zusätzliches Kanzlei- und Schreibpersonal unabdingbar mache. „Wenn jetzt nichts geschieht, bricht eine an sich gut funktionierende Justiz zusammen. Wir können dann unsere Funktion, der Bevölkerung eine ordentliche Rechtsprechung zu gewährleisten, nicht mehr erfüllen“, so Scheucher im Gespräch mit der APA.

Klaus Schröder, Vorsitzender der Bundessektion Richter und Staatsanwälte in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD), versteht Scheuchers Unmut: „Es geht sich in der Tat vorn und hinten nicht mehr aus. Das noch vorhandene nichtrichterliche Personal ist massiv überlastet. Schreibarbeiten dauern oft unverhältnismäßig lang.“ Den Versuch, diese kostengünstig an Privatfirmen auszulagern, bezeichnet Schröder gegenüber der APA als gescheitert: „Die Qualität war teilweise katastrophal schlecht. Wenn ich ein Urteil vier Mal nachkorrigieren muss und dann ist es noch immer falsch, dann läuft etwas in die verkehrte Richtung.“

Die Gewerkschafter sehen daher dringenden Handlungsbedarf des Finanzministers. „Man hat uns im Vorjahr die Umschichtung von 200 ÖBB-Beschäftigten versprochen. Gekommen sind 18. Das ist nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein“, so Schröder. Justizministerin Karin Gastinger (B) nehmen er und Scheucher ausdrücklich von ihrer Kritik aus: „Sie hat sich wirklich sehr für unsere Anliegen eingesetzt, scheint aber politisch im Stich gelassen zu werden.“

Da von Finanzminister Karlheinz Grasser und Finanzstaatssekretär Alfred Finz (V) bisher keine Zusagen oder Signale gekommen seien, den Ist-Zustand zu verbessern, wird die Gewerkschaft nun zu ersten Maßnahmen greifen. „Gebühren- und Kostenentscheidungen werden vorerst nicht mehr ausgefertigt, sondern aufgeschoben“, kündigt Scheucher an. Da gehe es immerhin um eine Gesamtsumme von 20 Mio. Euro.

Der weitere Stufenplan sieht eine Einschränkung des Parteienverkehrs und der Telefondienste vor. „Sollte das bis zum Jahresende nichts fruchten, schließe ich überhaupt nichts mehr aus. Da ist dann alles möglich“, zeigt sich Scheucher kämpferisch.

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