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Das Tagebuch eines Krieges

Eine Vorarlbergerin und ihr Kriegstagebuch: Sabine Dayan aus Weiler lebt im Norden Israels, in der Stadt Nahariya. Vor einem Monat berichteten die „VN“ über die Vorarlbergerin im Kriegsgebiet.

Sabine Dayan hat ihre Erlebnisse und die ihres Mannes – sie nennt ihn im Blog „L.“ – zunächst in einem Notizbuch aufgeschrieben und nun im Internet veröffentlicht. Die „VN“ geben in zwei Teilen Auszüge aus ihrem Blog wieder.

13. Juli: Plötzlich, so gegen 7 Uhr hör ich einen Knall. Dann ein komisches Pfeifen und dann einen dumpfen Einschlag. Ich sag zu L., das war aber jetzt hier in Nahariya. Er sagt, ja, das war eine Katjuscha. Wir schalten den Fernseher ein. Ich setz mich ans Internet. Eine Frau wurde auf ihrem Balkon beim Kaffeetrinken getötet. Zehn Minuten zu Fuß von unserem Haus entfernt. Alle sagen, wir sollen Naharia sofort verlassen.

14. Juli: Am Abend feiern wir alle zusammen Shabbat (bei den Schwiegereltern in Kiryat Bialik, Anm. d. Red.). Die ganze Familie. Wir beten für Frieden.

16. Juli: Morgens gegen 9.30 Uhr hören wir Raketeneinschläge. Wir rennen ins Wohnzimmer runter und in den Schutzraum rein. […] Kurz darauf ertönt zum ersten Mal die Sirene. Ein Geräusch, das mich noch lange Zeit in Angst und Schrecken versetzen wird. Ich habe furchtbare Angst. Mir ist schlecht und ich zittere am ganzen Körper. Meine Arme und Beine sind ganz lahm. Ich sitze am Boden und wir hören die Einschläge. Sehr sehr laut.

18. Juli: Der übliche Weckruf von Nasrallah (HisbollahführerHassanNasrallah,Anm. d. Red.). Diesmal ist er gnädig und lässt uns bis 7 Uhr schlafen. Die Schwiegermutter ist mit den Nerven am Ende. Wir sind nur noch müde.

19. Juli: Um 18 Uhr wieder Sirene. Die Kinder schreien. Wir gehen mit ihnen in den Schutzraum. Roi hat eine Plastikpistole und schießt auf mich. Er ist erst vier. Er versteht nicht wirklich, was passiert.

20. Juli: Mich regt die einseitige Berichterstattung eines deutschen Senders auf. Kein Wort über die fast zwei Millionen Menschen in Israel, die in Schutzräumen und Bunkern sitzen, anstatt zu arbeiten. Nur immer die israelische Luftwaffe tut dies, tut das. Im Libanon sind 15.000 Menschen von der Außenwelt abgeschnitten. So what? Wir können auch nix dafür, dass wir seit acht Tagen in Bunkern sitzen.

21.Juli: Später beginne ich zu kochen. 13 Uhr Sirene. Danach noch vier Mal. Mann, Nasrallah versaut mir noch das Shabbatessen. Ich muss dauernd Gas an, Gas aus spielen. Das nervt.

22. Juli: Im Fernsehen bringen sie schon Werbung für Beruhigungsmittel, irgendwelche Tabletten gegen Stress und Schock. Ist das nicht makaber?

26. Juli: Unruhig. Dauernd Sirenen. Eine Rakete schlägt am Ende unserer Straße ein. Ich hab’s genau gehört. Ich höre die Rettung, die Polizei, Leute auf der Straße schreien. Ich werde immer nervöser, kann kaum noch arbeiten. Was, wenn die nächste hier durchs Wohnzimmerfenster kommt? […] Ich will weg von hier. Unser Freund Mordi hat uns schon ganz am Anfang angeboten, zu ihm nach Tel Aviv zu kommen. […] Abends gegen 21.30 Uhr fahren wir los. Mit Hund und Computer im Gepäck.

27. Juli: Es ist herrlich ohne Raketen hier (in Tel Aviv, Anm. d. Red.). Ich sitze draußen auf der Terrasse und trinke Kaffee.

30. Juli: Um 5.30 Uhr morgens klingelt L.s Handy. Ich weiß sofort, wer dran ist. Die Army. Zav 8: Kriegszustand – sofortige Alarmbereitschaft. Er muss sofort einrücken.

30. Juli, Morgen: Ich habe gespürt, dass dieser Tag kommen wird, obwohl ich es verdrängt habe. Ich weiß, dass ich jetzt nicht weinen darf. Ich muss mich zusammenreißen. L. sagt, ich soll einige Zeit nach Österreich gehen, damit ich hier nicht alleine bin. Ich lasse ihn auf keinen Fall hier alleine. Als wir geheiratet haben, haben wir uns versprochen, uns in guten und in schlechten Tagen zur Seite zu stehen. Der Abschied fällt mir sehr schwer. Ich weiß, ich werde ihn wiedersehen. Es wird alles gut.

30. Juli, Nachmittag: L. ruft an. Er sitzt in der Basis in Haifa. Wir wollen abends nach Hause (zu den Eltern nach Kiryat Bialik, Anm. d. Red.) fahren. Es gibt eine 48-stündige Waffenruhe.

5. August: Um 8.15 Uhr geht die Sirene – Nasrallah wünscht uns Shabbat Shalom. Erschrocken renne ich in den Schutzraum. Dann plötzlich ein lauter Knall. Ich rutsche vom Sessel auf den Boden und halte mir die Ohren zu. Aber es nützt nix. Bummm, bummm, bummm. Sieben Mal. Ich habe panische Angst. Die Raketen fallen hier. So laut hab ich das noch nie gehört.

Etwa eine halbe Stunde später ruft L. an. Er erzählt mir, dass eine Rakete im Garten seiner Schwester Sarah gelandet ist. Mir wird schlecht. Er sagt, Sarah und die Kinder sind in Ordnung und die Freundin sei in Eilat auf Urlaub. Plötzlich sehe ich meinen Schwiegervater im Fernsehen. Sie zeigen das Haus von Sarah. Wir fahren hin. Im Garten steckt die Rakete vier Meter tief im Rasen. Sämtliche Holzlatten des Gartenzauns sind wie Zahnstocher über die Wiese verteilt. Die beiden Wohnungen im Erdgeschoss sind komplett ausgehöhlt. Auf dem Boden sind überall Glasscherben und diese Kugeln aus der Rakete. Ich nehme ein paar mit. Eine einzige Kugel kann einen Menschen töten. In einer Rakete sind über 10.000 solcher Kugeln drin.

13. August: Mir scheint, wir sind jetzt voll unter Beschuss. Im Fernsehen sagt die Polizei, dass es uns verboten ist, heute das Haus zu verlassen. Bis 20 Uhr haben wir an die 20 Sirenen gezählt. Die haben echt alles rausgeschossen, was sie noch im Arsenal hatten.

14. August: Ich will wissen, ob der Waffenstillstand jetzt durchgeführt wird. Scheint so. Man sieht im Fernsehen Bilder von Soldaten mit Flaggen. Ich gehe auf den Balkon. Der Parkplatz des Einkaufszentrums ist gerammelt voll. Schlafstörungen hab ich auch noch. Ich wache regelmäßig morgens um Punkt 4 Uhr auf. […] Träumen tue ich auch lauter komische Sachen von Waffen, Krieg, Raketen, Sirenen usw. […] Na ja, ich mach mir keine weiteren Sorgen. Das wird sicher bald aufhören.

15. August: Hiermit beende ich mein Kriegstagebuch, denn ich vertraue Gott, dass dieser Waffenstillstand anhält und wir endlich wieder ein normales Leben führen können. Jetzt müssen nur noch unsere Männer nach Hause kommen und dann können L. und ich hoffentlich wieder in unsere kleine Wohnung im geliebten Naharia zurückkehren.

AM Freitag konnten Sabine Dayan und ihr Mann – er hatte kurz Ausgang bekommen – erstmals zu der Wohnung in Nahariya zurückkehren. Die Pflanzen waren verdorrt, der Briefkasten überfüllt, sonst war alles o. k. Ende August soll ihr Mann endgültig von der Army nach Hause kommen.

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