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Das passiert wenn "Jamaika" in Deutschland platzt

Merkel mahnt zur Kompromissbereitschaft.
Merkel mahnt zur Kompromissbereitschaft. ©APA
Wenn die Unterhändler von Union, FDP und Grünen keine Einigung auf ein Jamaika-Bündnis zustande bringen, gelten Neuwahlen als die wahrscheinlichste Variante. Doch auch der Weg dorthin ist schwierig: Das Grundgesetz baut hohe Hürden auf.
Angela Merkel

Könnte es nach dem Scheitern noch zu einer Neuauflage der Großen Koalition kommen?

Das ist unwahrscheinlich. Die SPD hat sich schon am Wahlabend auf die Oppositionsrolle festgelegt und ist davon bisher nicht abgerückt. Vielmehr hat Parteichef Martin Schulz kürzlich noch einmal beteuert, die SPD sei jederzeit zu Neuwahlen bereit.

Wäre eine Minderheitsregierung eine Option?

Wohl kaum. Dieses in anderen deutschen Bundesländern übliche Modell ist in Deutschland auf Bundesebene noch unerprobt. Und in den politisch unruhigen Zeiten wäre es misslich für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), wenn sie sich bei jedem Gesetz Unterstützung von einer Oppositionsfraktion holen müsste.

Die Kanzlerin hat diese Option am Abend der Bundestagswahl ausgeschlagen: “Ich habe die Absicht, dass wir zu einer stabilen Regierung in Deutschland kommen.” Die SPD schloss ihrerseits bereits aus, eine Minderheitsregierung von Merkel zu tolerieren.

Unter welchen Umständen könnte es zu Neuwahlen kommen?

Bevor es zu einem weiteren Urnengang kommt, muss der neue Bundestag aufgelöst werden. Ein Weg dorthin ist grundsätzlich die Vertrauensfrage. Die früheren Bundeskanzler Willy Brandt (SPD), Helmut Kohl (CDU) und Gerhard Schröder (SPD) hatten so Neuwahlen herbeigeführt.

Doch Amtsinhaberin Merkel ist dieser Weg versperrt. Denn sie ist seit der Konstituierung des neuen Bundestags nur noch geschäftsführend im Amt. Und für diesen Fall besteht die Möglichkeit der Vertrauensfrage nicht.

Deshalb bleibt nur noch die Möglichkeit der Parlamentsauflösung nach einer Kanzlerwahl. Artikel 63 des Grundgesetzes sieht dafür folgendes Szenario vor: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterbreitet dem Parlament einen Vorschlag, er kann damit auch bei übermäßig langen Koalitionsvorhandlungen eine Kanzlerwahl in Gang setzen.

Verfehlt die Kanzlerin die erforderliche Mehrheit aller Abgeordneten, kann die Wahl innerhalb von 14 Tagen wiederholt werden. Bringt Merkel auch im zweiten Durchgang nicht die Mehrheit der Abgeordneten hinter sich, reicht es im dritten Durchgang, wenn sie die relative Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt. Das dürfte ihr problemlos gelingen, schließlich ist nicht einmal ein Gegenkandidat zu erwarten.

In diesem Fall hat Steinmeier zwei Möglichkeiten. Er kann Merkel zur Kanzlerin ernennen oder den Bundestag auflösen. Für diese Entscheidung hat er sieben Tage Zeit. Entscheidet er sich für die Parlamentsauflösung, muss innerhalb von 60 Tagen neu gewählt werden.

Nach derzeitigem Stand ist aber keineswegs zu erwarten, dass Neuwahlen die politischen Verhältnisse im Lande klären: Nach den aktuellen Meinungsumfragen würde ein neuer Urnengang die Kräfteverhältnisse im Parlament nicht wesentlich verändern. Es würde rechnerisch wohl wieder nur für Jamaika und die Große Koalition reichen.

Merkel mahnt zu Kompromissbereitschaft

Vor dem Finale der Sondierungen zur Bildung einer Jamaika-Koalition in Deutschland hat Bundeskanzlerin Angela Merkel Kompromissbereitschaft von den beteiligten Parteien CDU, CSU, FDP und Grünen gefordert. Die deutsche Kanzlerin sprach am Donnerstag noch von “gravierenden Unterschieden” zwischen den Parteien, hielt eine Einigung aber für möglich.

“Ich glaube, es kann gelingen”, sagte die CDU-Vorsitzende am Donnerstag in Berlin vor den entscheidenden Gesprächen von CDU, CSU, FDP und Grünen. In der Nacht auf Freitag wollen die vier Parteien eine Einigung finden, die sie ihren Parteigremien vorlegen können, bevor formelle Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden.

In den kommenden Stunden seien der nötige Wille und harte Arbeit gefragt, sagte Merkel. “Ich hoffe, dass der Wille da ist, dass etwas gelingt. Die Verantwortung dafür haben wir. Und ich werde versichern, meinen Beitrag dazu zu leisten”, betonte Merkel.

Phase der Selbstvergewisserung

Merkel zeigte Verständnis dafür, dass bei den möglichen Jamaika-Partnern “jeder und jede” dafür kämpfe, dass von dem, was die Identität einer Partei darstelle, möglichst viel auch in einem denkbaren Regierungsprogramm sichtbar werde. “Ich finde es gut, weil das auch so eine Phase der Selbstvergewisserung ist, was ist wichtig und was ist vielleicht nicht so wichtig”, sagte die Kanzlerin.

Zuletzt hatten sich die vier Parteien in wichtigen Themenfeldern wie Klima, Verkehr und Migration festgebissen. Merkel räumte ein, dass es “sehr, sehr unterschiedliche Positionen” gebe.

Sie forderte alle Beteiligten auf, jetzt die entscheidenden Kompromisse zu machen: “Heute ist der Tag, an dem wir uns auch in die Situation des jeweils anderen hineinversetzen und fragen müssen, was ist für den wichtig.” Wenn das gelinge, könne am Ende der heutigen Verhandlungen ein positives Ergebnis stehen. “Wenn das gelingt, (…) kann daraus etwas sehr Wichtiges für unser Land entstehen in einer Zeit großer Polarisierung”, sagte die CDU-Vorsitzende. Nach Ansicht von Merkel werden die Gespräche “open end” geführt, also voraussichtlich bis tief in die Nacht.

ORF-Korrespondentin Birgit Schwarz aus Berlin

(APA)

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