"Das ist halt so": Warum dieser Satz bei Regelschmerzen fatal sein kann
Prim. DDr. Burkhard Abendstein leitet seit über zehn Jahren die Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe am Landeskrankenhaus Feldkirch und Bludenz. Ein Thema lässt ihn seit seiner Studienzeit nicht mehr los: Endometriose. Gegenüber VOL.AT erläutert er Therapiemöglichkeiten, beschreibt die psychischen Herausforderungen und richtet einen wichtigen Appell an die Politik.
FAQ: Was ist Endometriose?
Wie häufig ist Endometriose?
„Endometriose ist eine ganz wesentliche Erkrankung, die im Lauf des Lebens einer Frau vorkommen kann“, betont Dr. Burkhard Abendstein. Am LKH Feldkirch hat sein Team deshalb eine Zertifizierung als Endometriose-Zentrum angestrebt – als Anlaufstelle für Patientinnen in Vorarlberg, die kompetente Hilfe suchen.
Was passiert bei Endometriose im Körper?
Normalerweise sitzt die Gebärmutterschleimhaut (Endometrium) in der Gebärmutterhöhle. „Wenn diese Schleimhaut außerhalb der Gebärmutterhöhle vorkommt, dann wird das als Endometriose bezeichnet“, erklärt Abendstein. Die Herde können im Unterbauch, an Eierstöcken, Eileitern, am Bauchfell und in seltenen Fällen sogar in Organen wie der Lunge auftreten.
Warum verursacht Endometriose Schmerzen?
Die Schleimhaut verhält sich auch außerhalb der Gebärmutter wie in der Gebärmutter: Sie baut sich im Zyklus auf, kann außerhalb aber nicht normal abbluten. „Der Körper kann sich dieser Schleimhaut nicht entledigen, es kommt lokal zu einer Entzündungsreaktion“, so Abendstein. Entzündung bedeutet Schmerzen – langfristig können sich Narben (Fibrosen) mit teils massiven Folgen bilden.
"Es ist eine psychische Herausforderung"
Wie sehr Endometriose den Alltag einschränkt, erlebt Abendstein täglich in seiner Sprechstunde.
Die Erkrankung trifft nicht nur den Körper, sondern auch Psyche, Job und Sozialleben:
- Frauen fallen regelmäßig im Beruf aus.
- Verabredungen, Freizeit, Partnerschaft – alles muss um "Schmerztage" herum geplant werden.
- Die dauerhafte Belastung kann zermürben: "Es ist eine psychische Herausforderung, mit einer chronischen Situation umzugehen, ohne den Mut zu verlieren", sagt der Gynäkologe.
Video: Abendstein erklärt Endometriose und die Problematik in der Diagnostik
"Chamäleon der Frauenheilkunde"
Endometriose ist keine seltene Krankheit. In Europa geht man laut Abendstein von rund zehn Prozent betroffener Frauen aus. Trotzdem wird die Diagnose oft erst sehr spät gestellt.
Der Grund: Endometriose tritt extrem unterschiedlich auf.
- Manche Frauen haben nur wenige kleine Herde, aber "massive monatliche Schmerzen – Schmerzen, die bis zur Bewusstlosigkeit führen können".
- Andere haben einen weit ausgedehnten Befund, der im Ultraschall sichtbar und sogar tastbar ist – aber kaum Beschwerden.
"Das Ausmaß der Erkrankung verhält sich nicht linear zum Ausmaß der Beschwerden", fasst Abendstein zusammen. Hinzu kommt: Die Symptome sind vielfältig.
Typische Beschwerden können sein:
- starke, zyklische Unterbauchschmerzen rund um die Regelblutung
- Kreuzschmerzen und Schmerzen, die in Rücken, Blase, Darm oder den Mastdarm ausstrahlen
- Schmerzen, die bis ins Bein oder "bis zum Knie, an der Oberschenkelinnenseite“" ziehen
- Verdauungsbeschwerden oder anhaltende "Blasenentzündungen"
"Viele Patientinnen mit Endometriose werden über Jahre behandelt wie mit einer immer wiederkehrenden Blasenentzündung, bis jemand daran denkt, dass es auch Endometriose sein könnte", berichtet Abendstein.
Weil die Erkrankung so viele Gesichter hat, spricht man auch vom "Chamäleon der Frauenheilkunde". Spätestens wenn Beschwerden zyklisch auftreten – also immer wieder im zeitlichen Zusammenhang mit der Monatsblutung – "sollte eine Warnlampe leuchten".
Kinderlosigkeit als dramatische Folge
Endometriose ist nicht nur eine Schmerz-Erkrankung. Die zweite große Gruppe von Patientinnen sind jene, die ungewollt kinderlos bleiben.
Vor allem Endometriose-Zysten an den Eierstöcken – sogenannte Endometriome – haben weitreichende Folgen. Sie können wenige Zentimeter groß sein, aber auch acht bis zehn Zentimeter erreichen und ein- oder beidseitig auftreten.
"Diese Endometriose-Zysten beeinträchtigen natürlich die Funktion des Eierstocks", erklärt Abendstein.
- Es werden weniger Eizellen produziert.
- Der Eierstock verliert früher als üblich an Funktion.
- Jede Operation an Endometriose-Zysten verringert die Eierstockfunktion zusätzlich.
"Wenn man solche Eierstockzysten mehrfach operiert, dann ist davon auszugehen, dass die Funktion des Eierstocks mit jeder Operation abnimmt", warnt er.
In schweren Fällen kann Endometriose sogar andere Organe gefährden – etwa den Harnleiter, der den Urin von der Niere zur Blase transportiert. Wird dieser durch Endometriose eingeengt, kann die Niere über Monate und Jahre "stumm" werden, also ihre Funktion verlieren. "Das ist eine klare Indikation für eine operative Therapie, weil man sonst diese Niere verliert", so Abendstein.
Ist Endometriose heilbar?
Heilbar ist Endometriose nur bedingt. Abendstein spricht von einem "Jein":
- Bei einigen Patientinnen, bei denen wenige Herde vollständig entfernt werden können und die später in die Wechseljahre kommen, kann man durchaus von einer Art Heilung sprechen.
- In anderen Fällen ist eine komplette Entfernung nicht möglich – etwa wenn Endometriose in der Gebärmutterwand sitzt und eine Gebärmutterentfernung (Hysterektomie) aus Rücksicht auf einen Kinderwunsch nicht infrage kommt.
- Es gibt auch Patientinnen, die nach einer langen, aufwändigen Operation nach zwei, drei Jahren wieder mit ähnlichen Beschwerden kommen – weil neue Herde entstanden sind.
Die drei Säulen der Endometriose-Therapie
1. Schmerztherapie
„Das vernichtende Symptom ist letztlich der Schmerz“, betont Dr. Burkhard Abendstein. Eine ausreichende und konsequente Schmerzbehandlung ist daher der erste und wichtigste Schritt.
2. Hormonelle / antihormonelle Therapie
Da Endometriose unter Hormoneinfluss wächst, sollen Medikamente diesen Einfluss bremsen oder blockieren. Die Antibabypille wird dabei durchgehend ohne Pause eingenommen, um die Herde „ruhigzustellen“. Neue Medikamente können die Eierstöcke vorübergehend „ausschalten“ – kombiniert mit Hormonersatzstoffen, damit junge Frauen nicht in einen künstlichen Wechsel kommen. Dadurch lassen sich Beschwerden oft deutlich und langfristig reduzieren.
3. Operative Therapie
Operationen werden heute möglichst spät eingesetzt. „Typischerweise versucht man, die operative Therapie so weit es geht hinauszuschieben“, so Abendstein. Eine Operation wird notwendig, wenn:
- ausgeprägte Narbenbildungen vorliegen,
- hormonelle Therapien nicht ausreichend helfen,
- Organe wie Darm oder Harnleiter bedroht sind.
"Das ist halt so" – wenn Schmerzen verharmlost werden
Viele Frauen haben das Gefühl, dass ihre Beschwerden nicht ernst genommen werden – weder in der Familie noch im medizinischen System.
Abendstein beobachtet, dass die "Awareness" gegenüber Endometriose zwar deutlich zugenommen hat, sieht aber auch das andere Bild: Schmerz wird oft relativiert.
Nicht selten zeigt sich eine familiäre Geschichte: "Da hat die Mutter es auch schon gehabt und eine Tante und eine Schwester – starke Regelschmerzen", erzählt er. Dann heiße es schnell: Das ist halt so, da musst du durch.
Um dieses Denken aufzubrechen, setzt das Endometriose-Zentrum stark auf Fortbildung –
- für Kollegen im Krankenhaus,
- für niedergelassene Gynäkologen,
- für Studenten.
Erster Schritt: Zum Frauenarzt
Was sollen Frauen tun, die den Verdacht haben, an Endometriose zu leiden? Abendstein ist klar: "Sobald man das Gefühl hat, dass Endometriose im Spiel sein könnte, sollte sich eine Frau an ihre Gynäkologin oder ihren Gynäkologen wenden und das Problem ansprechen."
Schon in der Ordination kann viel passieren:
- Beginn einer Schmerztherapie
- hormonelle oder antihormonelle Behandlung
- erste Ultraschall-Diagnostik
Reicht das nicht, werden Patientinnen ans Endometriose-Zentrum überwiesen – etwa wenn eine Operation im Raum steht oder eine weiterführende Diagnostik notwendig ist. Neben dem Ultraschall kommt dann häufig die Magnetresonanztomografie (MRT) als zweites bildgebendes Verfahren zum Einsatz, um die Diagnose zu erhärten.
Wunsch an die Politik: "Wird nicht von Krankenkasse bezahlt"
Ein Punkt ist dem Gynäkologen besonders wichtig – und reicht weit über die Klinik hinaus: die Frage der finanziellen Unterstützung für betroffene Frauen.
Bei Patientinnen mit Eierstock-Endometriose wird am LKH Feldkirch die sogenannte Eierstockreserve bestimmt – also wie gut der Eierstock noch geeignet ist, einen Kinderwunsch zu erfüllen.
"Da kann es vorkommen, dass man zur Überzeugung gelangt, dass diese Patientin Eizellen entfernen und einfrieren lassen sollte", sagt Abendstein. "Egg Freezing" – die Chance, sich die Möglichkeit auf ein Kind für später zu bewahren.
In Österreich wird dieses Einfrieren künftig erlaubt sein, aber: "Es wird nicht von der Krankenkasse bezahlt", kritisiert er. Gerade bei einer unverschuldeten Erkrankung wie Endometriose, mit "großen sozialen und familiären Auswirkungen" plädiert Abendstein dafür, die Kosten aus dem Gesundheitsfonds zu übernehmen.
Der erste Schritt – die grundsätzliche gesetzliche Erlaubnis – sei getan. "Der zweite Schritt ist, dass dann auch die Kosten getragen werden, weil sie nicht gering sind."
Starke Regelschmerzen sind ein Alarmsignal
Endometriose ist häufig, schwerwiegend – und immer noch zu wenig bekannt. Abendstein macht Frauen Mut, ihre Beschwerden ernst zu nehmen:
Wer über Monate zyklische, starke Schmerzen, Ausstrahlungen in Rücken, Blase, Darm oder Beine, scheinbar grundlose "Blasenentzündungen" oder unerfüllten Kinderwunsch erlebt, sollte nicht abwarten, sondern handeln.
"Der erste Weg ist immer zur Frauenärztin oder zum Frauenarzt", sagt der Leiter des Endometriose-Zentrums in Feldkirch. Dort könne der Verdacht erhärtet, eine Therapie begonnen und – wenn nötig – der Weg in spezialisierte Zentren gebahnt werden.
(VOL.AT)
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