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Köln: Bundespolizist rechnete im Dienst mit Toten

Interner Bericht beschreibt dramatische Lage vor dem Hauptbahnhof.
Interner Bericht beschreibt dramatische Lage vor dem Hauptbahnhof. ©APA
Die Kölner Polizei gerät nach den Übergriffen zahlreicher Männer auf Frauen in der Silvesternacht immer stärker unter Druck. Aus dem nun bekannt gewordenen Einsatzprotokoll eines leitenden Bundespolizisten geht hervor, dass sie frühzeitig über Ausmaß und Dramatik in der Kölner Silvesternacht informiert gewesen sein muss.
Vorfälle auch in Salzburg
Mehrere Verdächtige identifiziert
Entsetzen nach Übergriffen in Köln

Die Polizei in Köln hatte in einer Mitteilung nach der Silvesternacht die Stimmung als “friedlich” bezeichnet und erst zwei Tage später über die Übergriffe informiert. Ein Bundespolizist will laut seinem an deutsche Medien gelangten Bericht dagegen nach eigenen Angaben angesichts der angespannten Lage befürchtet haben, dass das “Chaos noch zu erheblichen Verletzungen wenn nicht sogar zu Toten führen würde”.

“Frauen durchliefen Spießrutenlauf”

Der Bundespolizist, ein Leiter der an dem Einsatz beteiligten Hundertschaft, schreibt über die Zeit vor Mitternacht: “Frauen mit Begleitung und ohne durchliefen einen im wahrsten Sinne “Spießrutenlauf” durch die stark alkoholisierten Männermassen, wie man es nicht beschreiben kann”. Viele weinende und schockierte Frauen und Mädchen hätten den Beamten von sexuellen Übergriffen berichtet.

Auffällig sei die “sehr hohe Anzahl an Migranten innerhalb der polizeilichen Maßnahmen” gewesen. Da die Polizei “nicht jedem Opfer einer Straftat helfen und den Täter dingfest machen konnte, kamen die eingesetzten Beamten an die Grenze zur Frustration”, schreibt der Bundespolizist in dem Bericht, der zunächst der “Bild”-Zeitung und dem Magazin “Der Spiegel” vorgelegen hatte.

“Respektlosigkeit, wie ich sie in 29 Dienstjahren noch nicht erlebt habe”

In dem Bericht wird zudem eine viel zu geringe Zahl eingesetzter Beamter beklagt. Alle eingesetzten Polizisten seien “ziemlich schnell an die Leistungsgrenze gekommen”. Wegen der zahlreichen Vorfälle hätten sich die Beamten “auf die Lagebereinigung mit den notwendigsten Maßnahmen” beschränkt. Aber: “Maßnahmen der Kräfte begegneten einer Respektlosigkeit, wie ich sie in 29 Dienstjahren noch nicht erlebt habe.” Die Situation sei “chaotisch und beschämend” gewesen.

“Ich bin Syrer, Frau Merkel hat mich eingeladen!”

Weiters seien Aufenthaltstitel “mit einem Grinsen im Gesicht” und der Aussage “ihr könnt mir nix, hole mir morgen einen neuen” zerrissen worden. “Aufgrund der ständigen Präsenz der Einsatzkräfte und aufmerksamer Passanten im Bahnhof, konnten vollendete Vergewaltigungen verhindert werden”, lautet es in dem von “bild.de” wiedergegebenen Bericht. Platzverweise seien häufig wirkungslos geblieben. Betreffende Personen seien immer wieder zurückgekehrt und machten sich einen “Spaß aus der Situation”. “Ich bin Syrer, ihr müsst mich freundlich behandeln! Frau Merkel hat mich eingeladen”, war gemäß Bericht einer der Sprüche, den sich die Beamten anhören mussten.

“Frauen von Meute ausgespuckt”

Die Kölner Polizei wollte sich zunächst nicht zu dem Bericht des Bundespolizisten äußern. Die Zeitung “Express” zitierte am Donnerstag einen weiteren Beamten der Kölner Polizei, der im Einsatz war: “Ich habe junge Frauen weinend neben mir gehabt, die keinen Slip mehr trugen, nachdem die Meute sie ausgespuckt hatte”, erinnert sich dieser laut Zeitung. “Das waren Bilder, die mich schockiert haben und die wir erstmal verarbeiten mussten.” Die Polizisten seien “damit beschäftigt (…), uns selbst zu schützen, da wir massiv angegriffen wurden”.

Suche nach Schuldigen geht nur langsam voran

Auf der Suche nach Schuldigen für die Übergriffe kommt die Polizei nur langsam voran. Es seien inzwischen 16 Verdächtige ausfindig gemacht worden. “Wir prüfen nun, ob sie tatsächlich in Zusammenhang mit den Taten stehen”, sagte ein Sprecher. Bis Donnerstagmittag wurden 121 Strafanzeigen gestellt. Bei etwa drei Viertel der angezeigten Taten hätten die Opfer angegeben, sexuell bedrängt worden zu sein. In 50 dieser Fälle seien die Frauen zudem bestohlen worden. Bisher wurden zwei Vergewaltigungen angezeigt.

Die meisten bisher ausfindig gemachten Verdächtigen seien noch nicht namentlich bekannt, aber auf Bild- oder Videoaufnahmen klar erkennbar, teilte die Polizei am Donnerstag mit. Einige Verdächtige – alle nordafrikanischer Herkunft – seien vorübergehend festgenommen worden, jedoch vor allem wegen Diebstählen, teilweise auch außerhalb von Köln.

Hamburg: bereits 50 Anzeigen

Die Hamburger Polizei hat nach ähnlichen sexuellen Attacken auf junge Frauen in der Silvesternacht noch keine Tatverdächtigen ausgeforscht. Die Ermittler seien noch dabei, das Bildmaterial auszuwerten und Zeugen und Opfer zu befragen, sagte ein Polizeisprecher. “Wichtig für uns ist, dass sich alle Opfer melden”, sagte der Sprecher. Bis zum Mittwoch waren 50 Anzeigen von Opfern eingegangen.

Auch in Stuttgart sind nach sexuellen Übergriffen von Männergruppen auf junge Frauen “ein gutes Dutzend” Anzeigen eingegangen. Ein 20-Jähriger sitzt in Untersuchungshaft. In München wurden zwei 19 und 20 Jahre alte Frauen in der Silvesternacht ebenfalls von einer Gruppe Männer bedrängt und unsittlich berührt. Die Frauen zeigten die Tat erst am Dienstagabend an, wie die dortige Polizei mitteilte.

Merkel erwägt striktere Abschiebungspolitik

Bundeskanzlerin Angela Merkel erwägte als Reaktion eine striktere Abschiebungspolitik. Es müsse “immer wieder überprüft werden, ob wir, was Ausreisenotwendigkeiten anbelangt oder Ausweisungen aus Deutschland schon alles getan haben, was notwendig ist”, sagte sie nach einem Treffen mit Rumäniens Ministerpräsidenten Dacian Ciolos in Berlin. Es gehe darum, “hier auch klare Zeichen zu setzen an diejenigen, die nicht gewillt sind, unsere Rechtsordnung einzuhalten.”

Vorfälle auch in Salzburg

Die Salzburger Polizei berichtete am Donnerstag von mehreren Vorfällen in der Stadt Salzburg seit dem Jahreswechsel. Die umfangreiche Medienberichterstattung dürfte Betroffene dazu animiert haben, sich zu melden, hieß es. In allen Fällen wurde Anzeige erstattet.

Am Montag zeigte eine 22-Jährige an, dass sie in der Silvesternacht am Residenzplatz von zwei unbekannten Männern unsittlich berührt wurde. Die Männer ausländischer Herkunft waren in einer Gruppe von acht bis zehn Personen unterwegs. Bei dem Übergriff wurde der Frau auch ihr Handy gestohlen.

Am Dreikönigstag langte bei der Polizei eine E-Mail mit ähnlichem Sachverhalt ein, am Donnerstag wurde ein weiterer Fall bekannt. Ein 28-jähriger afghanischer Staatsangehöriger belästigte am 1. Jänner 2016 um 1.20 Uhr eine 58-jährige Salzburgerin am Residenzplatz sexuell. Zugleich bedrängte in der Silvesternacht ein 23-jähriger Syrer eine 20-jährige Frau aus Bayern in der Innenstadt. Am Mittwoch nahmen Polizisten zudem einen 24-jährigen Afghanen fest, der um 2.45 Uhr eine 28-jährige Salzburgerin in einem Lokal sexuell belästigt hat. Türsteher hielten den 24-Jährigen bis zum Eintreffen der Polizei fest.

In Wien gab es vage Gerüchte über ähnliche Vorfälle beim Prater. Bei der Polizei ging aus der Silvesternacht keine Anzeige zu einem Sexualdelikt ein.

(APA/Red.)

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