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Bolivien: Keine Beruhigung der Lage

In Bolivien werden die Weichen für die Zukunft gestellt, eine Beruhigung der Lage ist aber nicht garantiert. Sollte Carlos Mesa als Präsident zurücktreten, würde Vaca Diez Staatsoberhaupt werden. Er ist keineswegs unumstritten.

Sollte der Kongress das Rücktrittsgesuch von Präsident Carlos Mesa annehmen, würde verfassungsgemäß Senatspräsident Hormando Vaca Diez vom „Movimiento de la Izquierda Revolucionaria“ (Bewegung der Revolutionären Linken/MIR) zum Staatsoberhaupt aufrücken. Vaca Diez ist aber keineswegs unumstritten.

So spricht sich Mesa selbst gegen Vaca Diez aus, der als Senatspräsident gleichzeitig Vizepräsident der Republik ist. Mesa hatte wiederholt gefordert, dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofs, Eduardo Rodriguez, das höchste Amt im Staat zu übergeben. Dieser müsste dann innerhalb von sechs Monaten Neuwahlen ausrufen.

Ablehnung von Vaca Diez in großen Teilen der Bevölkerung

Auch in der breiten Bevölkerung stößt Senatspräsident Vaca Diez überwiegend auf Ablehnung. Er gilt als enger Vertrauter von Gonzalo Sanchez de Lozada. Der neoliberal eingestellte Ex-Präsident hatte nach Aufständen und Protesten der Bevölkerung, die auf seinen Befehl blutig niedergeschlagen wurden, im Oktober 2003 fluchtartig das Land verlassen. Grund für die Aufstände waren die Verhandlungen Sanchez de Lozadas mit multinationalen Konzernen, die unter anderem zum Ziel hatten, bolivianisches Erdgas über Chile in die USA zu exportieren. Bolivien ist eines der erdgasreichsten Länder Südamerikas.

Zuletzt hatte sich Vaca Diez unbeliebt gemacht, als er das umstrittene Gesetz über die Behandlung der Erdgas- und Erdölindustrie („Ley Hidrocarburos“) in Kraft setzte, nachdem sich Präsident Mesa innerhalb der gesetzlichen Einspruchsfrist nicht dazu geäußert hatte. Vaca Diez hatte Mesa für sein Schweigen im Nachhinein heftig kritisiert.

Dienstagabend gab Vaca Diez eine Pressekonferenz in seinem Haus in Santa Cruz, der Hauptstadt des gleichnamigen Distrikts im rohstoffreichen ostbolivianischen Tiefland. Dabei verheimlichte er seine Ambitionen bezüglich des Präsidentenamtes nicht, wie die Zeitung „Bolpress“ am Mittwoch berichtete. Unterdessen, so „Bolpress“, sicherten die Parteien, die Ex-Präsident „Goni“ Sanchez de Lozada unterstützt hatten, Vaca Diez ihre Hilfe zu. Ihr Ziel ist es, eine „Zivilregierung mit kräftiger militärischer Unterstützung“ zu errichten.

Appell Mesas an Vaca Diez

Die Tageszeitung „La Razon“ zitierte einen Auszug aus einer Rede, in der Mesa einen Appell an den Senatspräsidenten richtete: „Hormando, ich ermahne dich, als Person, als Politiker, als Mann, der dich seit langem kennt – frei von jeglichem Interesse: Es liegt in deinen Händen, dem Land einen Zug von Großmut zu zeigen, der Geschichte machen wird; der dich dem Volk viel näher bringen wird als das Beharren auf einem unmöglichen Weg.“ Vor allem Evo Morales, der Anführer der „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS), will alles tun, um die Ernennung von Vaca Diez zum Präsidenten zu verhindern. „Er ist von der politischen Mafia“, sagte Morales zu „La Razon“.

In der Frage der Nachfolge von Carlos Mesa ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Das rechtliche Prozedere sieht Vaca Diez als Nachfolger vor. Für den heutigen Donnerstag war in Sucre, der bolivianischen Hauptstadt (La Paz ist nur Regierungssitz), eine Kongressversammlung anberaumt, in der über das Rücktrittsgesuch Mesas entschieden werden sollte. Es ist das zweite Mal in drei Monaten, dass der Kongress über ein solches Gesuch entscheiden muss. Zuletzt hatte er einen Rücktritt Mesas Mitte März abgelehnt.

Auch nach Rücktrittsankündigung Mesas dauert Krise an

Auch nach dem angekündigten Rücktritt von Präsident Carlos Mesa in Bolivien dauert die schwere politische und soziale Krise in dem südamerikanischen Land an. Am Donnerstag sollten die 157 Abgeordneten und Senatoren des bolivianischen Kongresses in der Hauptstadt Sucre zusammenkommen, um über einen Nachfolger an der Spitze des Staates zu beraten.

Laut Verfassung wäre Vize-Präsident Hormando Vaca Diez derjenige, der Mesa im Amt nachfolgen soll. Zahlreiche einflussreiche Politiker – auch Mesa – sprachen sich jedoch für sofortige Neuwahlen aus, da sich das Land „am Rande eines Bürgerkrieges“ befinde. Mesa hatte am Montag seinen Rücktritt erklärt.

Die Kongresssitzung in Sucre, 740 Kilometer südöstlich vom Regierungssitz in La Paz, stand unter der Blockadedrohung der Opposition. Der Bauernführer Evo Morales, einer der wichtigsten Anführer der Opposition, rief die Quechua-Ureinwohner der Region auf, die Abgeordneten an ihrer Sitzung zu hindern. Die Straßenblockaden rund um Sucre würden verstärkt, kündigte Morales an. Nach Angaben der bolivianischen Armee wurde die Militärpräsenz am Flughafen der Hauptstadt aus Furcht vor möglichen Anschlägen verstärkt. Einheiten der Militärpolizei bewachten die Landepiste sowie die Zufahrtsstraßen.

Die UNO äußerte sich „sehr besorgt“ über die Lage in Bolivien. Wenn es in einem Land keine Regierung oder eine schwache Regierung gebe, „nützt das organisierte Verbrechen diese Situation aus“, sagte der Leiter des UNO-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC), Antonio Maria Costa. In Bolivien sei eine Zunahme des Koka-Anbaus zur Herstellung von Kokain sowie des organisierten Verbrechens zu beobachten.

Hintergrund der Krise im ärmsten Land Südamerikas ist ein erbitterter Konflikt um die Rohstoffreserven. Die Gewerkschaften und linksgerichtete Parteien werfen der Regierung vor, internationalen Konzernen die Ausbeutung der reichen Gasvorkommen Boliviens zu ermöglichen, ohne die arme Bevölkerung an den Einnahmen teilhaben zu lassen.

Mesa wollte Lizenzgebühren von 18 Prozent und steuerliche Abgaben von 32 Prozent durchsetzen. Die von dem Kokabauern-Führer Morales angeführte Bewegung zum Sozialismus (MAS) will die Abgaben für die 26 internationalen Konzerne hingegen auf 50 Prozent erhöhen. Einige der Organisatoren der landesweiten Streiks, Großdemonstrationen und Straßenblockaden fordern eine vollständige Verstaatlichung der Erdgasindustrie.

Boliviens Bischöfe indirekt für Neuwahlen

Die Bischofskonferenz Boliviens hat sich indirekt für Neuwahlen in dem südamerikanischen Land ausgesprochen. Wie die Kathpress am Donnerstag berichtet, heißt es in einem Kommunique der Bischöfe, bei ihren Sondierungsgesprächen mit zahlreichen Politikern habe die Kirche festgestellt, dass die Mehrheit der gesellschaftlichen Kräfte für vorgezogene Wahlen eintrete, um auf demokratische Weise ein neues Gleichgewicht im Land zu finden.

Nur so könne die Regierbarkeit des Landes wiederhergestellt werden, um Boliviens brennende Probleme zu lösen. Die Bischöfe riefen die Katholiken des Landes zu einem Tag des Gebets für den Frieden auf.

Die Bischöfe appellierten weiters an die Machthaber, die Verfassung und die geltenden Gesetze zu respektieren und zugleich die Wünsche der Bevölkerung zu beachten. Ausdrücklich betonte die Bischofskonferenz, sie unterstütze keinen Kandidaten für die Präsidentschaft.

Ferner verwiesen die Bischöfe darauf, dass die von ihnen konsultierten Politiker auf die Abhaltung einer verfassungsgebenden Versammlung und auf ein Referendum über die regionalen Autonomien sowie über den Umgang mit den Gas- und Ölvorkommen drängten. Mit Nachdruck forderten die Bischöfe die Konfliktparteien dazu auf, gerechte und friedliche Lösungen in gegenseitigem Respekt zu finden.

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