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"Bin öfter fast ums Leben gekommen!"

Hart im Nehmen: Immer wieder zog sich Oelz beim Klettern Verletzungen zu.
Hart im Nehmen: Immer wieder zog sich Oelz beim Klettern Verletzungen zu. ©Privat
Oswald „Bulle“ Oelz war 1978 der erste Vorarlberger auf dem Mount Everest – als ärztlicher Begleiter von Reinhold Messner bei dessen sauerstoffloser Erstbesteigung. WANN & WO besuchte den Extrembergsteiger und pensionierten Alpin­arzt in seinem Haus in der Schweiz.

Von Harald Küng (Wann&Wo)

WANN & WO: Herr Dr. Oelz: Sie haben die höchsten Gipfel dieser Welt bestiegen, waren 1990 der erst dritte Mensch, der die Seven Summits erklommen hatte. Angefangen hat aber alles im kleinen Ländle. Wie kamen Sie zum Bergsteigen?

Oswald Oelz: Meine Mutter hat mich mit fünf Jahren das erste Mal mit auf einen Berg genommen, das war 1948. Sie lockte mich mit Schokolade aus dem Haus und in die Natur. Schokolade war zu jener Zeit etwas ganz Besonderes – vor allem für mich als Kind. Meine Mutter war der Meinung, dass man im Leben zwei Dinge tun muss: „Schaffa und bergsteigen“. So war ich mein Leben lang Bergsteiger – und habe nebenbei auch ein bisschen „g’schafft“. Die Berge meiner Jugend waren das Rätikon und die Drusenfluh. Hier bin ich auch heute noch unterwegs.

WANN & WO: Was macht für Sie die Faszination am Bergsteigen aus?

Oswald Oelz: Es ist die Herausforderung, etwas Schwieriges und manchmal Kritisches zu bewältigen. Es aktiviert sämtliche Reflexe im Organismus und war für mich schon immer der ideale Ausgleich zur Medizin und dem Leben in der Zivilisation. Der Mensch ist nicht dafür geschaffen, Tag für Tag stundenlang vor dem Computer zu sitzen, oder etwas „Nicht-Handwerkliches“ zu machen. Die Berge sind eine Welt, in der man völlig abschalten kann. In der es kein Internet mehr gibt, das Handy nicht mehr funktioniert. Das ist unglaublich wohltuend, das ganze Geschwätz hört auf. Ich komme vom Bergsteigen immer etwas müde, aber im Kopf vollständig erholt wieder nach Hause. Ich bin auch immer wieder gerne in die Arbeit im Spital zurückgekehrt, das war mein Hauptinhalt im Leben. Doch im Krankenhaus habe ich dann schon wieder ans Bergsteigen gedacht und die Wochenenden dafür genutzt. So haben sich diese beiden Welten ergänzt. Heute bin ich ein alter Mann. Aber ich werde bis an mein Lebensende mit meinen Freunden weiter bergsteigen.

WANN & WO: Die beiden Welten haben sich ja nicht nur ergänzt, sie waren praktisch untrennbar miteinander verbunden. Die Liebe zu den Bergen ging doch immer eng mit ihrer Forschungsarbeit einher?

Oswald Oelz: Das ist richtig. Ich habe nach der Matura in Feldkirch in Innsbruck Medizin studiert und bin 1968 zu Forschungszwecken nach Zürich gewechselt. Ich habe sehr viel im Bereich der Höhenmedizin geforscht und auf der Capanna Regina Margeritha – der höchstgelgenen Hütte der Alpen – im Monte Rosa-Massiv auf 4500 Meter Seehöhe ein Forschungslabor betrieben. Ich habe das damals eigentlich nur gemacht, damit ich noch mehr in den Bergen sein kann. Unglücklicherweise ist das Ganze dann aber auch in echte Arbeit ausgeartet (lacht). Ich hatte viele Patienten mit Höhenkrankheit, an denen wir verschiedene Therapien ausprobieren konnten. So haben wir es geschafft, medikamentöse Behandlungen gegen die akute Bergkrankheit zu entwickeln, die mittlerweile schon so manches Leben gerettet haben.

WANN & WO: 1970 bestiegen Sie mit ihrem Freund Gert Judmaier den Mount Kenya, Judmaier stürzte ab. Es folgte eine spektakuläre Rettungsaktion, die 2016 von Reinhold Messner in „Still Alive“ verfilmt wurde. Wie erlebten Sie diese bangen Tage?

Oswald Oelz: Gert ist damals beim Abstieg kurz unterhalb des Gipfels abgestürzt und zog sich eine offene Fraktur am Bein zu. Es war eine fast aussichtslose Situation. Aber Gert hat sie dank seiner Zähigkeit und einer internationalen Rettungsaktion mit österreichischer Beteiligung überlebt. Das Ganze ist nun 50 Jahre her, ich arbeite aktuell an einem Buch darüber. Ich habe Gert später in Innsbruck in der Klink besucht, wir sind auch heute noch immer gut befreundet. Neben Gert lag damals Reinhold Messner mit schwarzen Zehen von seiner Überschreitung des Nanga Parbat im Krankenzimmer. Reinhold und ich haben dann ausgemacht, dass wir gemeinsam auf Expedition gehen, sobald seine Zehen abgeschnitten sind. Seither haben wir viele Expeditionen und Reisen miteinander durchgeführt.

WANN & WO: Extrembergsteigen ist immer mit einem hohen Risiko verbunden. Waren Sie selbst schon in einer lebensbedrohlichen Situation?

Oswald Oelz: Ich bin öfter fast ums Leben gekommen. Dank Glück und einer gewissen Zähigkeit habe ich bislang aber überlebt. 1984 wurde ich am „Glacier Dome“ – einem Nebengipfel der Annapurna – schwer höhenkrank. Ich bin alleine abgestiegen, musste auf 7100 Metern unter schrecklichen Bedingungen biwakieren. Dabei sind mir ein paar Zehen abgefroren. Aber ich war schlussendlich so froh darüber, überlebt zu haben, dass der Preis dafür verhältnismäßig gering war.

WANN & WO: Eine Ihrer Expeditionen mit Reinhold Messner war dessen sauerstofflose Erstbesteigung des Mount Everests im Jahr 1978. Sie waren damals als Alpinarzt dabei. Wie kam es dazu?

Oswald Oelz: Die Expedition ohne Sauerstoff durchzuführen, war die Idee vom Reinhold – mir wäre sowas nie in den Sinn gekommen. Dem damaligen Kenntnisstand zufolge war das Unterfangen sehr am Limit. Der Tiroler Expeditionsarzt Raimund Margreiter war als Chirurg dabei, ich war für die internistischen Belange zuständig. Am 1. Mai erreichten Reinhold und Peter (Anm. d. Red: Habeler) tatsächlich den Gipfel. Einen Tag später haben mein damaliger Partner Reinhard Karl und ich die beiden während unseres Aufstiegs auf 7400 Metern getroffen und festgestellt, dass sie – entgegen der getroffenen Prognosen – doch noch einigermaßen lebendig und bei Trost waren.

WANN & WO: Auch Sie selbst haben den Gipfel erreicht. Wie haben Sie den Moment in Erinnerung?

Oswald Oelz: Am 11. Mai um 12 Uhr mittags erreichte ich als erster Vorarlberger den Gipfel des Mount Everests. In meinem Buch „Orte, die ich lebte, bevor ich starb“ beschrieb ich diesen Moment auf 8848 Metern mit dem Satz: „Die letzten funktionierenden Hirnzellen waren auf Freude geschaltet.“ Ich erhielt dafür vom damaligen Landeshauptmann Herbert Keßler das Ehrenzeichen für sportliche Leistungen in Gold vom Land Vorarlberg.

WANN & WO: Seit Ihrer Expedition 1978 hat sich das Bergsteigen am Mount Everest drastisch verändert. Wie nehmen Sie heute die Situation auf dem Dach der Welt wahr?

Oswald Oelz: Wir waren damals ganz alleine da oben. Heute gibt es dort aber einen unglaublichen Tourismus. Die Menschen treibt der Drang auf den Everest, Trophäen zu sammeln und sich ein Denkmal zu setzen. Auch wenn sie der 6000. sind, der da oben steht. Aber man kann es immerhin zuhause erzählen. Das Gute ist, dass sich die Massen, so wie die Fliegen auf dem Kuhdreck, auf einzelne Ziele konzentrieren und andere Gebiete völlig unberührt bleiben. Man kann in Nepal wochenlang unterwegs sein und kaum einen Menschen treffen. Leider ist auch Müll ein großes Problem. Für mich ist das ein Ausdruck unserer Wegwerfgesellschaft und dass wir uns nicht genügend um die Welt kümmern, in der wir leben. Wie unsere Erde zerstört wird, ist wirklich grausam.

Kurz gefragt

  • Sie tragen den Spitznamen „Bulle“. Wie kamen Sie dazu? Ich habe den Name mit 15 Jahren von meinem Kletterfreund Gert Wimpissinger aus Feldkirch bekommen. Er war damals ein bisschen kleiner und schlanker als ich – inzwischen hat sich das eher umgedreht (lacht).
  • Welchen Gipfel würden Sie gerne noch besteigen? Den K2 – aber das habe ich als Junger schon nicht geschafft. Die Gipfel, die ich erreichen wollte, habe ich erreicht. Von den anderen kann ich nur träumen. Ich muss das mit Gelassenheit sehen, die Kurve meiner Leistungsfähigkeit zeigt abwärts. Ich war aber schon lange nicht mehr auf dem Mount Kenya – das wäre zu meinem 80er noch einmal eine ­schöne Sache.
  • Ist ihnen schon einmal der Yeti begegnet?Nein. Journalisten finden das Thema natürlich toll. Als der Yeti in den 1950er-Jahren erstmals erwähnt wurde, hat das den Leuten imponiert. Es wurde ein zu erforschendes Geheimnis kreiert, aus dem man Geld machen konnte. Edmund Hillary hat in den 1950ern eine Expedition gestartet, den Yeti zu suchen, hat ihn aber nicht gefunden. Auch Reinhold Messner hat nach ihm gesucht und ist auf einen überdurchschnittlich großen Affen gestoßen, den er als Yeti bezeichnet hat. Aber der Yeti hat nie existiert. Er ist nur ein viel zu großes „Äffli“.

Oswald „Bulle“ Oelz – zur Person

  • Persönliches: geb. in Rankweil, wohnhaft in Wernetshausen (CH), 76 Jahre alt
  • Karriere: Matura am Gymnasium in Feldkirch, Medizinstudium in Innsbruck, Forschung in Zürich, Spezialist für Höhenkrankheit, OA und stv. Klinikdirektor am Uni-Spital Zürich, Chefarzt am Triemlispital Zürich, Extrembergsteiger, Träger des Ehrenzeichens für sportliche Leistungen in Gold des Landes Vorarlberg

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