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Berlusconi nimmt Staats-TV ins Visier

Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi (81) fühlte sich zu einer Lehrstunde in Sachen Demokratie und Medien bemüßigt. „Es gibt keine gesunde Demokratie ohne Meinungsvielfalt!“ Ganz Italien weiß, wen er im Auge hat. Seit Wochen wächst die Aufregung im Land:
Silvio Berlusconi (65), Ministerpräsident und zugleich Herr über die drei größten privaten TV-Sender in Italien, hat das staatliche Fernsehen RAI im Visier. Unumwunden droht er, dass die Führungsspitze der Staatsprogramme wegen missliebiger politischer Ausrichtung den Hut nehmen muss. Doch seine Pläne gehen viel weiter – am Liebsten will er die Konkurrenz privatisieren.

„Es ist das erste Mal, dass sich Ciampi veranlasst sieht, die Regeln der Demokratie zu erläutern“, meint eine Zeitung in Rom. Doch Berlusconi bläst ungerührt weiter zum Angriff. „Die RAI hat sich bei den vergangenen Wahlen skandalös verhalten“, eine „Kampagne gegen die Demokratie“ habe sie geführt. „Und ich war das Hauptopfer“. „Killeraggio“ nennt das Berlusconi – politischen Mord.

Dabei hatte er vor den Wahlen im Mai noch ganz andere Töne angeschlagen. Immerhin hatte Berlusconi eingeräumt, dass es einen „Interessenkonflikt“ zwischen seiner Position als TV-Magnat und als Regierungschef gebe. Den wolle er innerhalb von 100 Tagen nach Amtsantritt lösen, versprach er feierlich. Viele Italiener hatten geglaubt, er werde sein Fernsehimperium verkaufen.

Davon ist jetzt keine Rede mehr. Stattdessen hat seine Mitte-Rechts-Regierung einen Kunstgriff besonderer Art ersonnen: Eine Kommission soll über die Medien wachen. Die Zusammensetzung des Gremiums soll allerdings die Regierungsmehrheit im Parlament bestimmen. Die Opposition schäumt: „Die Kontrollierten würden sich selbst kontrollieren, schlichtweg absurd.“

„In Italien ist es so, als ob Leo Kirch in Deutschland Bundeskanzler wäre“, beschreibt ein Kommentator in Rom die Lage. 53 Prozent der Italiener, das ergaben Umfragen, sehen mittlerweile die Meinungsvielfalt im Fernsehen in Gefahr.

Die Situation ist in der Tat einzigartig in Europa: Die drei Programme des Berlusconi Familienunternehmens Mediaset (Italia 1, Rete 4, Canale 5) sind direkte Konkurrenten von RAI (Radioaudizioni italiane) und deren ebenfalls drei Programmen. Beide Sender liefern sich Kopf-an-Kopf-Rennen um Einschaltquoten, gemeinsam kontrollieren sie über 90 Prozent des Marktes. Steigende Quoten für die eine Seite bedeuten Verluste bei Werbeeinnahmen für die andere Seite. Kenner sind sich einig: Ohne seine TV-Macht wäre der Unternehmer Berlusconi niemals so rasch in der Politik aufgestiegen.

„Jetzt setzt Berlusconi dazu an, auch das Staatsfernsehen zu übernehmen“, kommentiert ein RAI-Journalist. Noch im Februar wird über die Neubesetzung der Spitzenjobs entschieden. Zwar betont Berlusconi immer wieder, nicht er selbst, sondern die Präsidenten der beiden Parlamentsklammern hätten darüber zu entscheiden. Doch Berlusconis Macht in der Koalition gilt so gut wie unumschränkt.

Aber die Postenbesetzung ist nur Vorgeplänkel für die große Schlacht. Mehrmals hat der Regierungschef sein Fernziel durchblicken lassen, die verhasste „Bastion der Linken“ privatisieren zu wollen. „Sie soll nur nicht billig verschleudert werden“, kündigt Berlusconi an. Wann und wie das geschehen soll, bleibt vorerst sein Geheimnis.

Medienexperten weisen darauf hin, dass sich Berlusconi kürzlich mit dem Medienunternehmer Rupert Murdoch getroffen hat. Früher hatte Berlusconi mitunter den Eindruck erweckt, er wolle dem Australier sein eigenes TV-Reich Mediaset verkaufen. Jetzt vermutet ein Insider, Berlusconi könnte Murdoch stattdessen „RAI-Anteile verkaufen, wenn die Privatisierung erst einmal losgeht.“

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