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Bei 65 Grad bis zur Mündung

Auf geht´s: Bei 65 Grad im Lokführerstand bringt Jürgen Prius das alte Schätzchen aus dem Jahr 1920 auf Touren.
Auf geht´s: Bei 65 Grad im Lokführerstand bringt Jürgen Prius das alte Schätzchen aus dem Jahr 1920 auf Touren. ©Edith Rhomberg
Fahrt mit dem Rheinbähnle bringt die Geschichte der Gegenwart nahe.
Fahrt mit dem Rheinbähnle

Lustenau. Es ist ziemlich heiß an diesem Nachmittag unter der glühenden Sonne am Alpenrhein. Wer kann, sucht Schatten – oder das Bad im Wasser. Jürgen Prius scheinen die 32 Grad nicht sonderlich zu beeindrucken. Er legt erstmal kräftig Holz nach, damit es richtig warm wird und es ordentlich Dampf gibt. „Beim Losfahren hatten wir 65 Grad“, sagt der Höchster. Mit „wir“ meint er die Temperatur im Führerhaus der Schmalspur-Lokomotive „No. 4124“, die er entlang des Alpenrheins von Lustenau bis zur Mündung des Flusses in den Bodensee fährt. Vier Stunden vor der Abfahrt hat der 60-Jährige sein Tagewerk für die Schiene begonnen: Anheizen, damit die kleine Lok, gebaut im Jahr 1920 bei Maffei in München, auf Temperatur kommt. Und die liegt beim ersten Pfeifen vor der Abfahrt halt bei 65 Grad. Gegen die Hitze auf der Strecke hat der Lokführer des Museumsvereins Rhein-Schauen vorgesorgt. „Zwei Liter Wasser für den Hinweg und zwei für zurück“, sagt Prius, der im Hauptberuf nicht Lokführer, sondern Starkstrom-Monteur ist. Aber da die Strecke des Rheinbähnles teilweise auch elektrifiziert ist, passt das ganz gut zusammen, meint der freundliche Mann. Und: „Im Winter ist es hier vorne angenehm, hinten dann weniger“, sagt Prius. Zum Beispiel, wenn er die Lok bei der traditionellen Nikolausfahrt führt. Die Fahrt mit der Bahn ist eine Reise, die zugleich in die Geschichte und in die Gegenwart führt. Sie erinnert zum Beispiel an harte Knochenarbeit bei der Rheinregulierung nach dem Staatsvertrag von 1892, um der ständigen Überschwemmungen Herr zu werden. Auf der rechten Seite taucht bei der gemütlichen Fahrt bald nach den letzten Häusern das Naturschutzgebiet Schleienlöcher auf, das nicht nur für viele Vogelarten ein wichtiges Rückzugsgebiet ist. Wenig später kommt der Rhein auf der linken Seite als eine Art Dauerbaustelle daher. Er wird ausgebaggert, und der Aushub wird zum Teil verschifft. „Würde man das nicht tun, dann wäre der Bodensee in 15.000 Jahren Festland“, erzählt später im Museum am „Bahnhof“ des kleinen Zuges der ehemalige Rheinbauleiter Martin Weiss. Und das, ist er sich sicher, will wohl niemand. Die bunten Wagen, die von der Dampflok gezogen werden, sind nicht ganz so alt, haben aber mindestens so viel Charme, auch weil es manchmal kräftig ruckelt. Sie haben die Loren ersetzt, die früher von den Lokomotiven gezogen wurden. Vom Steinbruch aus wurde unentwegt Material für die Regulierungsarbeiten am Rhein und vor allem an seiner Mündung herangekarrt. „Um 1900 haben die Menschen geglaubt, dass sie die Natur beherrschen können“, blickt Martin Weiss zurück und verweist auf eine alte Karte aus 1760 zum Hochwasserschutz, die heute, da intensiv um Rhesi gestritten wird, eine lange nicht gedachte Aktualität erhalten hat. „Hiernach müsste der Rhein mit seinen Überschwemmungsauen bei Koblach 800 Meter breit sein“, stellt Weiss trocken fest. Und das Beherrschen der Natur habe sowieso noch nie geklappt. Während der ehemalige Rheinbauleiter seine Zuhörer zum Nachdenken und Diskutieren bringt, hat Jürgen Prius noch einige Arbeit. „Nach jeder Fahrt muss die Lok komplett abgeschmiert werden. Sonst könnte sie Rost ansetzen.“ Zum Glück ist es im Lokschuppen keine 65 Grad heiß. Nicht mal 30. Weitere Infos und Buchungen unter www.rheinschauen.at und office@rheinschauen.at.

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