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Beatmungsschlauch gezogen: Mordprozess gegen Wienerin vertagt

Der Mordprozess gegen die Wienerin wurde vertagt.
Der Mordprozess gegen die Wienerin wurde vertagt. ©APA
Am Mittwoch musste sich eine 53-jährige Frau wegen Mordes vor Gericht verantworten, weil sie ihrem im Sterben liegenden Lebensgefährten im Wiener AKH die lebenserhaltende Intubation sowie den zentralen Dialysekatheter entfernt hat. Der Prozess wurde vertagt.
Mordanklage gegen Wienerin

Die Angeklagte plädierte auf nicht schuldig und gab an, ihn auf Verlangen getötet zu haben. Sie hatte dem 70-Jährigen das Versprechen dafür gegeben.

Auch wenn der Mann im Sterben lag, habe die Handlung der Beschuldigten den Tod früher herbeigeführt, sagte Staatsanwalt Martin Ortner. Von Sterbehilfe könne keine Rede sein, denn der Mann konnte keinen konkreten Willen dazu äußern, da er sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Koma befand, sagte der Ankläger in seinem Eröffnungsplädoyer. Der Staatsanwalt betonte jedoch gegenüber den Geschworenen, dass es im österreichischen Recht die Möglichkeit gebe, bei der Strafbemessung unter die Mindestgrenze zu gehen.

Verteidiger plädiert auf "Tötung auf Verlangen"

Verteidiger Gunther Gahleithner plädierte auf Tötung auf Verlangen, das Paar hätte immer wieder darüber gesprochen. "Hasi, hilf mir, erlöse mich, ich will würdig sterben", zitierte Gahleithner die Worte des 70-Jährigen. Bei Tötung auf Verlangen drohen bis zu fünf Jahre Haft, bei Mord zehn bis zwanzig Jahre bzw. lebenslange Haft.

Das Paar kannte sich seit sieben Jahren. Der Mann war bereits gesundheitlich angeschlagen, hatte mehrere Herzinfarkte und zwei Nierentransplantationen. Da er bereits im Rollstuhl saß, lebte er seit einiger Zeit im Heim. "Unsere 27 Quadratmeter große Wohnung war nicht behindertengerecht", erzählte die 53-Jährige.

Weil es dem Pensionisten Ende März 2018 wegen einer verschleppten Lungenentzündung immer schlechter ging, wurde er ins Wiener AKH eingeliefert. Einen Tag später wurde dem 70-Jährigen bewusst, dass es dieses Mal dramatisch schlecht um ihn stand, die Medikamente schlugen nicht mehr an. "Ich glaub, ich schaff es dieses Mal nicht", meinte er zu seiner Lebensgefährtin.

Paar sprach noch im AKH über Sterbehilfe

Im Fernsehzimmer des AKH sprach das Paar erneut über Sterbehilfe. "Wenn ich nur noch rumliege, wie ein Stückerl Geselchtes, dann zieh den Stecker", meinte er laut der Beschuldigten. Bei dem Gespräch ging es "nur noch ums Sterben", so die Angeklagte. Er sagte: "Hasi, es geht zu Ende, bitte denk dran, was du versprochen hast." Ihr Lebensgefährte sei voller Angst gewesen. "Vorher war er ein Kämpfer, aber nur solange er wusste, das wird wieder." Aufzeichnungen und Zeugen für das Gespräch bzw. eine Patientenverfügung gibt es allerdings nicht.

Am 1. April verschlechterte sich sein Zustand zusehends und der 70-Jährige wurde auf die Intensivstation gebracht. Seine Nieren drohten zu versagen, er erhielt einen Dialysekatheter und musste künstlich beatmet werden. Ab dem 2. April war der 70-Jährige gar nicht mehr ansprechbar.

Mann hatte nur noch wenige Stunden zu leben

Vier Tage später wurde den Ärzten klar, dass der Mann nur noch wenige Stunden zu leben hatte. Weil die Mediziner beschlossen, im Falle eines Kreislaufstillstandes auch keine Reanimation mehr durchzuführen, informierten sie die 53-jährige Lebensgefährtin darüber, die sich - begleitet von Freunden - sofort auf dem Weg machte. "Zur Beruhigung und zum Runterkommen" trank die Frau, die sonst nur gelegentlich Alkohol konsumiert, immer wieder Wodka.

Auf der Intensivstation angekommen, wurde sie von den Ärzten über den dramatischen Zustand ihres Freundes aufgeklärt. Verzweifelt über die Situation - sie trank auch im Spital mehrmals aus einer Wodkaflasche - schrie sie auf der Station: "Willi bleib, Willi wach auf, geh nicht!" Ein Pfleger versuchte, sie zu beruhigen und sprach mit ihr über den Sterbeprozess. Als der Pfleger gegen 17.00 Uhr aus dem Zimmer ging, war die Frau für zehn Minuten mit dem Patienten alleine.

Frau zog Beatmungsschlauch und Dialysekatheter

Plötzlich ertönte aus dem Zimmer der akustische Alarm der Beatmungsmaschine, an der der 70-Jährige angeschlossen war. Als das medizinische Personal ins Zimmer stürmte, hielt die 53-Jährige den Sterbenden im Arm, in der anderen Hand hielt sie den Dialysekatheter, der am Hals des Mannes befestigt war. Auch der Beatmungstubus, die Magensonde sowie EKG-Kabel waren bereits entfernt. Laut Staatsanwalt musste dazu viel Kraft aufgewendet werden, denn der Dialysekatheter war zwei Mal an der Haut festgenäht. Die Frau war über und über mit Blut besudelt, das aus den Wunden des Mannes spritzte.

Die Frau flüchtete, fünf Minuten später starb ihr Freund. "Ich wollte das Versprechen einlösen", sagte die 53-Jährige. Aufgrund der Alkoholisierung habe sie den Mut dazu gehabt. Durch das Entfernen der lebenserhaltenden Maßnahmen wurden die Sauerstoffzufuhr und die Zufuhr der chemischen Wiederbelebungsmedikamente unterbrochen. Auf die Frage der Schwurgerichtsvorsitzenden Christina Salzborn, ob sie das getan habe, um nicht länger zuschauen zu müssen, meinte die Angeklagte: "Nein, weil die schlimmste Zeit war nicht im AKH, sondern danach, als ich wusste, dass ich ihn nimmer hab."

"Würde es wieder machen, wenn ich es ihm versprochen hätte"

Mehr als 16 Stunden später wurde die Frau zu Hause festgenommen. Sie war stark alkoholisiert und hatte Medikamente gegen Angststörung eingenommen. Gutachter gehen davon aus, dass sie zum Tatzeitpunkt wahrscheinlich an die 1,8 Promille Alkohol im Blut gehaben haben könnte, was keine volle Berauschung darstellt und die Angeklagte somit wusste, was sie tat. Auf die Frage der Richterin, wie sie heute darüber denke, meinte die 53-Jährige. "Ich würde es wieder machen, wenn ich es ihm versprochen hätte."

Die Verhandlung wurde auf den 22. Oktober vertagt. Ein gerichtlicher Sachverständiger, ein Intensivmediziner, hatte für den ersten Prozesstag keine Zeit.

(APA/Red)

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