AA

Ausbalanciert

"Ein Haus, Wand, Fenster, Giebel, keine Kiste – zeitlos." (Bernhard Berger, Architekt)
"Ein Haus, Wand, Fenster, Giebel, keine Kiste – zeitlos." (Bernhard Berger, Architekt) ©Christian Grass
Dornbirn - „Nicht zu wenig, nicht zu viel/beides wird sonst Kinderspiel/nicht zu laut und nicht zu leise/beider Maß ist rechte Weise.“
Leben & Wohnen in Dornbirn

Was nach klassischer Aufforderung zur Mäßigung klingt, ist alles anderes als das – die Zeilen stammen aus einem barocken Lied zur „Kunst des Küssens“. Zahlreich die Rat- und Vorschläge, doch an dieser Stelle nur so viel: Ein Kind von Traurigkeit war man seinerzeit keinesfalls. Und doch: Dieser wahren Lebenskunst war Maßlosigkeit fremd. Wechsel, Spiel, eigenes Können – darauf kommt’s an. 

Fast von selbst kommen einem diese Zeilen in den Sinn, wenn man dieses Haus besucht. Ein ganz bescheidenes Volumen, das deutlich sein Haupt erhebt. Ein Bau einfachster Art, der Noblesse ausstrahlt. Eingebunden in die Nachbarschaft, ohne sich anzupassen. Klar geordnet, ohne stur zu werden. Knapp und entschieden, doch nicht geometrisch klug. Ein Bau von klassischer Ausgewogenheit. Ein Haus mit Wänden, Giebel, Fenster.

Man betritt es, großzügig bedacht und von der Straße abgeschirmt, etwa in der Mitte der Südseite. Eine einläufige, quer zum Haus liegende Treppe führt nach oben, links liegen Nebenräume, rechts ein kleines, helles Büro. Die offene Treppe, entlang der Mittelwand, mündet in einem offenen Wohngeschoß, das durch eine Terrasse von halber Grundrissgröße ergänzt wird. Treppenseitig liegen Küche und Essplatz, hinter der Wand geborgen der ebenso große Wohnraum mit Büchern und Kamin. Weiter führt die Treppe offen unters Dach mit Bad und zwei Schlafzimmern. Eine klare Sache: drei Geschoße, je zwei Hälften, je eine belebte und eine ruhige Seite. Das Haus selbst wendet sich entschieden der Mittagssonne zu und nutzt mit der Terrasse geschickt Morgen und Abend.

Der Bau ist nicht unterkellert. Über der Bodenplatte mit Streifenfundament erhebt sich ein Massivbau – 50 cm Ziegelwände mit Kalkputz die Hülle, betoniert die mittige Wand. Darauf liegen die Sichtbetondecken auf. Das Dach ist eine hinterlüftete Pfetten- Sparren-Konstruktion mit Blecheindeckung und 30 cm Dämmung. Geheizt wird mit Geothermie über Fußbodenheizung – im Erdgeschoß geschliffener Zementestrich, in den Obergeschoßen Eiche gebürstet. Aus demselben Material sind die Trittstufen der offenen Treppe. Die Fenster sind – von zwei liegenden Formaten abgesehen – raumhohe Fenstertüren aus Eiche, dreifach-verglast, mittig in die Wand gesetzt mit Außenläden und Vorhängen. Das belebte Haus kann auf kontrollierte Beund Entlüftung verzichten, der Verbrauch von ca. 30 kWh/m2 im Jahr wird als angemessen empfunden.

Verputzter Ziegel, Eiche, Beton, wenig Stahl, Glas, Textil – wenig Stoffe sind es und solche, die glaubwürdig sind. Womit gemeint ist: nicht zusammengesetzt, keine komplizierte Konstruktion mit verborgenen Komponenten. Ebenfalls: so wenig Hilfsmittel und Haustechnik wie möglich. Nicht mehr, als man sehen kann, verständlich, nachvollziehbar und damit bedienbar. Frische Luft durch „Fenster auf“.

Einfach in diesem Sinn, was eigentlich verständlich und klar meint und auffordert, mit dem Haus umzugehen – diese Haltung bestimmt die Gestaltung. Klarheit, Geschlossenheit, angemessene Offenheit zur Sonne mit feinen Unterbrechungen der Regelhaftigkeit, immer wieder die Betonung der Mitte. „Man kommt immer auf die Grundformen – ein Haus, ein Giebel, keine Kiste, zeitlos, wie einfache, mediterrane Häuser, scharf geschnitten, zeitlos, ob im 16. Jh. oder in den 60er-Jahren gebaut“, so Architekt Bernhard Berger, auf den in seinem Heimatdorf in Osttirol neben den einfachen Bauernhäusern eine romanische Kapelle von elementarer Geometrie besonderen Eindruck gemacht hat.

Was einfach scheint, ist es keineswegs: Es hat einige Zeit gebraucht und mehrfach wurde der Entwurf umgeschmissen, bis gefunden wurde, was wie mediterrane Lässigkeit anmutet. Einfache Maßverhältnisse, Betonung der Mitte, konzentriertes Volumen – das ist das eine. Frei gesetzte Fenster, die schwebende Scheibe der an den Rand gesetzten Terrasse mit Pergola – das ist das andere. Dies wieder symmetrisch gegliedert – da ist wieder das eine. So geht’s in einem fort, bis ins Detail. Immer hin und her – nicht zu wenig, nicht zu viel, schließlich ist’s kein Kinderspiel. Ein Balanceakt schon – das ist zu spüren. Ist es das, was es zum Schluss so selbstverständlich leicht und heiter macht?

Daten und Fakten

Objekt: Haus in Dornbirn Haselstauden

Bauherrin: DI Antonia Hopfner

Architektur: Arch. D.I. Bernhard Berger, Dornbirn,

Statik: Hagen & Huster, Bregenz

Grundstück: 627 m²

Wohnnutzfläche: 130 m²

Besonderheiten: nicht unterkellert, Carport, Fahrradraum

Planung: 2010

Bau: April 2011–Dezember 2011

Baukosten: ca. 330.000 Euro

Bauweise: Hochlochziegel 50 cm verputzt; Decken Stahlbeton Sichtbeton; EG Boden geschliffener Estrich; OG Boden Eichendiele gebürstet; Fenster Eiche geölt dreifach-isolierverglast; Fensterläden Klappläden Alu gelocht; Fensterbänke Tobler Sandstein; Geländer: Stabstahl beschichtet; 15° Steildach Blecheindeckung; Heizung Wärmepumpe Erdsonde – Fußbodenheizung; Solare Warmwasseraufbereitung

Ausführung: Baumeister- & Verputzarbeiten: Wälderbau, Schwarzenberg; Zimmerei: Bilgeri, Riefensberg; Fenster: Tischlerei Herbert Feuerstein, Bizau; Dachdecker: Gunter Rusch, Alberschwende; Bodenleger: Josef Fröwis, Bezau; Fensterläden: Blank, Lustenau; Estricharbeiten: Ebner Estriche, Lustenau; Steinmetz: Lenz, Alberschwende; Schlosserei: Wohllaib, Thal-Sulzberg; Ofenbau: Voppichler, Egg; Fliesenleger: Eberli & Berti, Buch; Maler: Jank, Bregenz; Haustechnik: Fässler Installationen, Dornbirn

(VN/ Leben & Wohnen)

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter architektur vorORT auf v-a-i.at

Mit freundlicher Unterstützung durch Arch+Ing

Architektur vor Ort
Die monatliche Architekturführungsreihe des vai bietet Gelegenheit interessante, aktuell fertig gestellte Objekte vor Ort mit Architekten und Bauherrschaft zu besichtigen. Besinnlich wird das neue Jahr begonnen: Mitten in der Stadt findet man im Bestattungshaus Feuerstein einen Ort der Ruhe und Verabschiedung. Freitag, 18. 1. 2013, 16 Uhr, Bludenz, Pulverturmstraße 6b; Info: v-a-i.at

home button iconCreated with Sketch. zurück zur Startseite