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Augenzeuge berichtet aus Bangkok

Der Vorarlberger Herbert Nägele befindet sich derzeit in Thailand und wurde Augenzeuge der andauernden blutigen Proteste in Bangkok. Für VOL hat Herbert Nägele seine Erlebnisse geschildert:
Nägele in Bangkok
Nägeles erster Bericht

Am späten Nachmittag des 16. Mai führte ich mit rund zehn Polizisten ein längeres Gespräch.  Zum einen wollte ich über die aktuelle Situation in Bangkok informiert werden, zugleich aber auch ein Stimmungsbild innerhalb der Exekutive erhalten.

Diese Polizisten habe ich fotografiert und ein ausführliches Interview darüber auch mit der Filmkamera aufgenommen. Möchte davon allerdings (noch) nichts freigeben, um sie für ihre bereitwilligen und offenen Auskünfte nicht in “amtliche Schwierigkeiten” zu bringen.
 
Überraschend war für mich allerdings bereits im Vorgespräch, bevor ich Kamera und Mikrofon in Einsatz brachte, wie freimütig sich diese Polizisten gegen Abhisit und dessen befohlener Gewalt aussprachen. Zugleich betonten sie, dass sich Polizisten in Bangkok nicht direkt an den Schiessereien beteiligen würden, sondern in erster Linie Angehörige des Militärs.
 
In ihren Reihen lehne eine deutlliche Mehrheit diese gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und den “Rothemden” ab. Auch innerhalb des Militärs gäbe es eine große Spaltung, die im Moment auch sehr aufgeheizt wäre: Der zweite Mann des thailändischen Militärs, der sich offen mit den “Rothemden” solidarisiert hatte und sich auch zu diesen begab, wurde in der Nacht von Donnerstag auf Freitag mit einem Kopfschuss niedergestreckt. (Anmerkung zum Namen des betreffenden Mannes: Dieser wurde mir in thailändischer Sprache zwar genannt, weiss aber im Moment noch nicht, wie er geschrieben wird.)
 
Auf die Frage seines Zustandes antworteten mir die Polizisten, dass dies öffentlich derzeit nicht bekannt gegeben werden würde: Er war unter den Militärs sehr angesehen und beliebt. Die Nachricht über seinen Tod könnte dann die unterschiedlichen Fronten (Abhisit- und Taksin-Anhänger), auch innerhalb des Militärs zu offenen inneren Kämpfen führen. Ein Teil des Militärs solidarisiere sich nämlich auch ganz unverhohlen mit den Taksin-Anhängern, genauso, wie dies innerhalb der Polizie der Fall sei.
 
Ich wollte auch die Einschätzung der Polizisten wissen, mit welchem Ergebnis man bei freien demokratischen Wahlen in Thailand rechnen könnte. Sie empfahlen mir, auf dem Markt viele Menschen zu fragen. Ich würde feststellen, dass unter den einfachen Menschen des Volkes die überwiegende Mehrheit für Taksin stimmen würde. Deshalb wäre Abhisit ja auch nicht bereit, sind solchen Wahlen zu stellen. kpnnte der davon ausgehen, dass er sie gewinnen würde, hätte er diese ja schlon längst zugelassen.
 
Ein Polizist berichtete auch von eniem besonders tragischen Einzelschicksal: Ein Vater habe sich mit seinem Sohn in die Nähe der Schiesserei begeben und von einer Überführung aus das Geschehen verfolgt. Er sei dann von einer Kugel tödlich getroffen worden.  Der Sohn, der seinen toten Vater sofort aufnehmen wollte, wurde unmittelbar nachfolgend ebenfalls mit zwei Schüssen getötet.
 
Die Polizisten warnten davor, sich in die Nähe dieser Auseinandersetzungen zu begeben. Für die kommende Nacht (16. auf 17. Mai) wurde für Bangkok ein Ausgehverbot verhängt. Das lässt leider befürchten, dass wieder mit massivem Gewalteinsatz des Militärs und dem Verlust von vielen weitern Todesopfern zu rechnen ist.
 
Als ich vorletzte Nacht nochmals das Hotel verlassen hatte, waren in den Strassen die Lichter weitgehend ausgelöscht. Kein Auto, kein Moped, kein Tuk-Tuk war unterwegs. Auch keine Menschen. Es war gespenstisch in der sonst so verkehrsreichen und belebten Strasse. Nur Schüsse waren pausenlos zu hören … mit den inzwischen bekannt gewordenen Zahlen der Toten. 
 
Ob das für kommende Nacht verhängte Ausgehverbot in Bangkok für die gesamte Stadt gilt, ist mir nicht bekannt. Tatsache ist aber, dass die Rothemden ihre roten Erkennungsmerkmale wie T-Shirts, Mützen, Arm- und Stirnbänder abgelegt haben, um nicht schon deshalb zur Zielscheibe werden zu können.
 
Was die offiziellen Medienberichte hier in Thailand betrifft: die Zeitungen sind narürlich voll von bebilderten Berichten. Im Fernsehen können Berichte, wie sie bis zum 7. April möglich waren, nicht mehr gesendet werden. Inzwischen werden diese von der Regierung Abhisit ganz offfenkundig nur einseitig zugelassen, wie auch die Polizisten bestätigen.
 
Da der Zugang zum Internet in Thailand aufgrund der großen Armut nur einem relativ kleinen Teil der Bevölkerung vobehalten ist, können sich auch nur wenige Menschen, d.h. hauptstächlich bessergestellte, über internationale Medien ein objektives Bild zur Situation in Bangkok verschaffen. 
 
Die Polizisten machten keinen Hehl daraus, dass die “Rothemden” in den meisten Medien des Landes als  “gewalttätig” und als “verantwortlich” für die aktuelle Krise dargestellt würden. Damit würde  von Regierungsseite auch der massive Gewalteinsatz durch das Militär begründet.
 
In der Zeit, als ich mich mehrere Tage in der Masse von hunderttausenden ”Rothemden” aufgehalten hatte, war von Absichten zur Gewalt absolut nichts wahrzunehmen. All diese Menschen haben immer betont, nur mit friedlichen Mitteln für freie demokratische Neuwahlen eintreten und auf jegliche Gewalt verzichten zu wollen. Diese Absicht war zweifelsfrei glaubwürdig, sonst hätten die “Rothemden” nicht ihre Kinder mit zu den Demonstrationen gebracht, um sie ernsten Gefahren auszusetzen.
 
Ich hatte alle Aktionen der “Rothemden” in eniem hochgradig friedlichen Klima beobachten können. Es gab zwar scharfe politische Reden auf den  Tribünen, daneben aber auch volksfestartige Unterhaltung durch Gesänge, Tänze und auch buddhistische Gebete. Es war eine überwältigende und mitreissende Stimmung auch für Touristen, die der thailändigen Sprache nicht mächtig sind.
 
Dass sich die eingekreisten “Rothemden” jetzt mit banalen Mitteln wie angezündeten Autoreifen, Steinen, Stöcken gegen schwer bewaffnete Militärangehörige in einer schier ausweglosen Situation verzweifelt zur Wehr setzen, ist nur logisch. Das Militär hingegen setzt diesen Kampf mit ungleich schärferen Mitteln ein -  mit Militärwagen, Kampfanzügen, Tränengas, Gewehren und Maschinenpistolen – und knallt Menschen ab, die wochenlang friedlich für die Zulassung freier, demokratischer Wahlen in ihrem Land eingetreten sind!

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