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"Auch die Leistungsträger entlasten"

Im VN-Interview spricht Bundeskanzler Alfred Gusenbauer über die Steuerreform, über das Bleiberecht und den Bawag-Prozess.

VN: Herr Bundeskanzler, wann kommt der Kanzlerbonus?

Gusenbauer: Spätestens bei der nächsten Wahl.

VN: Und frühestens?

Gusenbauer: Der Punkt ist, dass die Leistungsbilanz der Bundesregierung seht gut ist. Wenn man sich anschaut, was im ersten Halbjahr passiert ist, dann kann man feststellen, dass wir ganz ordentlich gearbeitet haben.

VN: Haben Ihnen die Auseinandersetzungen geschadet?

Gusenbauer: Manchmal bekommt man einen Bonus für etwas, für das man gar nichts kann, manchmal ist es umgekehrt . . . Aber natürlich wird man die Auseinandersetzungen, wie es sie in den ersten sechs Monaten gegeben hat, nicht über vier Jahre hinweg aufrecht erhalten können. Früher oder später wird Vernunft einkehren müssen.

VN: Wer steht hinter den Auseinandersetzungen?

Gusenbauer: Einer macht in der Früh den Anfang, andere folgen – das gehört zum Habitus von Parteisekretären, Klubobleuten. Manchmal ist es aber auch nur mediale Inszenierung.

VN: Zum Beispiel?

Gusenbauer: Gestern habe ich zu Innenminister Günther Platter gesagt, die Menschen, die schon lange in Österreich sind und die auch gut integriert sind, sollten ein Bleiberecht erhalten. Tagsüber hieß es dann überall, ich sei für ein generelles Bleiberecht, Platter sei dagegen.

VN: Sie lehnen ein generelles Bleiberecht ab?

Gusenbauer: . . . weil ein generelles Bleiberecht alle Asylverfahren sinnlos machen würde: Wenn man wüsste, dass man nach einer bestimmten Zeit bleiben darf, dann müsste man ja nur zuwarten. Notwendig sind vielmehr pragmatische Lösungen in ganz konkreten Fällen.

VN: Zurück zum Kanzlerbonus: Man hat den Eindruck, dass Sie das Kanzlersein genießen. Leiden Sie darunter, noch keinen Bonus zu haben?

Gusenbauer: Bei aller Wertschätzung für die Medien, aber in der Politik ist der direkte Kontakt zu den Menschen das Entscheidende. Gestern habe ich etwa hier in Vorarlberg eine Wohnhausanlage eröffnet. In meiner Ansprache habe ich gesagt, dass die Mineralölsteuererhöhung im Sinne des Klimaschutzes notwendig ist. Danach haben die Leute gesagt, endlich einer, der die Wahrheit sagt. Abgesehen davon geht es uns wirtschaftlich ja sehr gut in Österreich, das Wirtschaftswachstum ist ein Wahnsinn.

VN: Ist das hohe Wirtschaftswachstum der schwarz-blauen Regierung zu verdanken?

Gusenbauer: Das Wirtschaftswachstum ist auch auf Elemente wie die erfreuliche Entwicklung in Deutschland zurückzuführen! Viel wichtiger als das, was die Regierung macht, ist außerdem die Politik der Sozialpartner. Denken Sie etwa an die vernünftige Lohnpolitik.

VN: Entwickelt sich die Sozialpartnerschaft wieder zu einer Schattenregierung?

Gusenbauer: Nein, wir haben eine neue Aufgabenverteilung zwischen Regierung und Sozialpartnern: Wir stellen gemeinsam fest, welches Problem zu lösen ist, und klären dann gemeinsam, wer welchen Beitrag dazu leistet.

VN: Die OECD hat zuletzt erklärt, die Löhne seien zu stark, die Vermögen zu schwach besteuert. Wenn werden Sie darauf reagieren: 2010 oder noch früher?

Gusenbauer: Nachdem wir jetzt eine gute Wirtschaftsentwicklung haben, ist es sinnvoller, erst 2010 eine große Steuerreform zu machen; dann wird man möglicherweise mehr bewirken können. Abgesehen davon muss man feststellen, dass die Leute nicht nur von Entlastungen, sondern auch von Lohnrunden profitieren. Und ich gehe davon aus, dass es aufgrund der Wirtschaftslage im heurigen Herbst eine sehr anständige Lohnrunde geben wird.

VN: Wie hoch soll sie ausfallen?

Gusenbauer: Ich werde jetzt keine Empfehlung an die Sozialpartner abgeben, aber alle wissen, dass eine Lohnrunde eine Inflationsabgeltung und einen Anteil an der Produktivitätssteigerung umfassen sollte.

VN: Wenn jemand heute beispielsweise 1000 Euro bekommt: Wie viel soll er nach der Lohnrunde bekommen?

Gusenbauer: Wenn ich darauf antworte, dann mache ich eine Vorgabe; und das tue ich nicht.

VN: Heißt „anständige Lohnrunde“ drei Prozent plus?

Gusenbauer: Noch einmal: Ich mache den Sozialpartnern keine Vorgabe; das ist nicht die Aufgabe des Bundeskanzlers.

VN: Die OECD hat sich außerdem an der Vermögensbesteuerung gestoßen.

Gusenbauer: Dass die Belastung des Faktors Arbeit relativ hoch, die Vermögensbesteuerung aber relativ niedrig ist, das ist ein Faktum. Und das ist daher mit Sicherheit eine Frage, die zu diskutieren sein wird. Zumal es nicht nur um die Gerechtigkeit, sondern auch um den Standort geht.

VN: Wenn hier nicht mehr Gerechtigkeit in Ihrem Sinne hergestellt ist, dann gibt es keine Steuerreform mit Ihnen?

Gusenbauer: Genau.

VN: Zu den Vermögenssteuern zählt ja auch die Erbschaftssteuer: Ist sie tot, oder wird es doch noch eine Reparatur geben?

Gusenbauer: Die Sache ist sehr einfach: Die ÖVP hat sich festgelegt (die Erbschaftssteuer auslaufen zu lassen; Anm.) und für eine Reparatur gibt es im Parlament keine Mehrheit. Angesichts des bescheidenen Volumens der Erbschaftssteuer diskutiere ich die Frage der Gerechtigkeit des Steuersystems aber ohnehin lieber im Rahmen einer großen Steuerreform.

VN: Soll dabei auch der Höchststeuersatz gesenkt werden?

Gusenbauer: Wir werden auch an die Leistungsträger denken müssen. Ich glaube, dass die 50-Prozent-Progression zu früh beginnt. Diese Grenze muss erhöht werden.

VN: Auf welchen Wert?

Gusenbauer: Darüber werden wir zwar erst verhandeln müssen, klar ist aber, dass es spürbar sein muss.

VN: Die Steuerreform soll auch zu einer Senkung der Steuerquote beitragen. Als Sozialdemokrat müssten Sie doch Probleme damit haben?

Gusenbauer: Also ich habe kein Problem damit.

VN: Was können Sie sich vorstellen?

Gusenbauer: Die Steuerreform soll zu einer Nettoentlastung in Höhe von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts führen. Das sind drei Milliarden Euro – und das ist schon etwas.

VN: Wie erleben Sie den Bawag-Prozess?

Gusenbauer: Ich verfolge den Prozess genauso am Rande, wie alle anderen auch. Wobei ich besonders daran interessiert bin, dass die Justiz gut arbeiten kann und dass alles restlos aufgeklärt wird. Wenn jemand vor den Nationalratswahlen im vergangenen Jahr unter Verleumdungen in dieser Geschichte gelitten hat, dann sind das die Sozialdemokratie und ich gewesen.

VN: Klingen da Revanchegelüste durch?

Gusenbauer: Es geht nicht um Revanche, sondern darum, dass alles auf den Tisch kommt. Alles, was uns vorgeworfen wurde, hat sich in Luft aufgelöst.

VN: Der Start des Bawag-Prozesses und das Ende der Untersuchungsausschüsse – ist das eine Möglichkeit zu sagen, „wir“ (SPÖ und ÖVP) machen einen Neustart?

Gusenbauer: Es wäre eine Geringschätzung der Arbeit der ersten sechs Monate, zu sagen, es sei nichts geschehen. Wenn alles, was aus der letzten Legislaturperiode herübergeschwappt ist, einmal weg ist, geht es aber sicher noch leichter.

VN: Freuen Sie sich als SPÖ-Vorsitzender darüber, dass Fritz Dinkhauser in Tirol mit einer eigenen Liste antreten wird? Könnte das Land damit „rot“ werden?

Gusenbauer: Das ist ein Konflikt in der ÖVP, den sie selbst klären muss. Wir werden versuchen, unsere eigenständige Politik in Tirol weiter zu stärken. Hannes Gschwendtner leistet ja hervorragende Arbeit.

VN: Wird die SPÖ am Ende gar die lachende Dritte sein?

Gusenbauer: Was die ÖVP macht, ob es eine eigenständige Kandidatur von Dinkhauser gibt – das kann ich nicht beeinflussen. Ich kann den Arbeitnehmern im Land nur sagen, dass sie bei der SPÖ noch immer am besten aufgehoben sind.

GESPRÄCHSNOTIZEN

Gut gelaunt. Der Bundeskanzler lässt sich seine Stimmung durch nichts verderben: Hitze, Dauerstress mit dem Koalitionspartner, Schlafmangel hin, Schlafmangel her – wer Alfred Gusenbauer in Bregenz über den Weg gelaufen ist, traf auf einen gut gelaunten Alfred Gusenbauer.

* * * Sportlich. Bregenz kennt der Kanzler ja schon in und auswendig. Vor allem, weil er die Morgenstunden meist zu einer Laufrunde nützt: „So lernt man Städte kennen.“

* * * Flott unterwegs. Seinen Amtssitz hat der Kanzler in Wien. Noch kein Amtsinhaber ist aber so oft in die Länder gereist wie Gusenbauer. Nach Vorarlberg will er in den nächsten Tagen u. a. Kärnten besuchen. .

Dieses Interview führten die Chefredakteure der Bundesländerzeitungen – Gerald Mandlbauer (OÖN), Hubert Patterer (Kleine Zeitung), Manfred Perterer (SN), Frank Staud (TT) und Christian Ortner (VN) – sowie Johannes Huber (VN).

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