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AMS Vorarlberg-Chef Bereuter zum neuen Algorithmus

Bernhard-Bereuter im VOL.AT-Interview
Bernhard-Bereuter im VOL.AT-Interview ©VOL.AT / Unsplash
AMS-Vorarlberg-Chef Bernhard Bereuter erklärt den neuen Computer-Algorithmus. Dessen Vor- und Nachteile, aber auch wie die BeraterInnen darauf reagieren.
AMS-Algorithmus kommt
Bereuter: Mehr Arbeitslose 2020

VOL.AT: Herr Bereuter, vielen Dank, dass Sie sich für dieses Hintergrund-Interview zum neuen AMS Algorithmus Zeit nehmen. Ich würde Sie zu Beginn bitten, unseren Lesern den neuen Algorithmus in einfachen und verständlichen Worten zu erklären.

Bernhard Bereuter: Der Algorithmus ist ein Rechenmodell, das aufgrund von unterschiedlichen Daten die Arbeitsmarktchancen der Personen einschätzt und prognostiziert. Wir unterteilen die Arbeitslosen auf Basis des Algorithmus in drei Gruppen: Personen mit hohen, mittleren und niedrigen Arbeitsmarktchancen.

VOL.AT: Nach welchen Kriterien landen Arbeitssuchende in einer der drei Gruppen?

Bernhard Bereuter: Die Kriterien sind ganz stark die bisherige Berufsbiographie, der Beruf an sich, aber auch die Beschäftigungszeiten. War jemand lange in Beschäftigung oder hat er immer nur kürzere Beschäftigungsperioden gehabt, mit Perioden der Arbeitslosigkeit dazwischen. Stark ausschlaggebend ist auch die Ausbildung. Ein Indikator ist zudem auch die Arbeitsmarktregion. Im Prinzip verwendet der Algorithmus Parameter, die ganz grundsätzlich auf dem Arbeitsmarkt eine Rolle spielen. All diese AMS-Daten misst das Berechnungsmodell. Anhand dieser Indikatoren erfolgt die Einschätzung und Prognose.

VOL.AT: Was nützt die Künstliche Intelligenz konkret dem AMS bzw. den Kunden des AMS?

Bernhard Bereuter: Das Arbeitsmarktchancen-Assistenzsystem ist ein Werkzeug, um die BeraterInnen zu unterstützen. Und es soll den Menschen ausgehend von den Arbeitsmarktchancen insofern zugute kommen, gemeinsam mit dem Berater/der Beraterin die nächsten realistischen Schritte zu setzen. Kann ich gleich vermitteln? Geht es stark in Richtung Eigenaktivität? Oder fehlt eine nachgefragte Qualifikation für den Arbeitsmarkt. Durch den Algorithmus und seinen Berechnungen kann ich da gezielt ansetzen bzw. frühzeitig Schritte setzen für eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration. Gegenwärtig ist es übrigens auch nicht viel anders. Jetzt macht die Einschätzung halt ein Berater/eine Beraterin im Gespräch mit dem KundInnen, indem er viele Dinge abklärt, um sich ein Bild zu machen.

VOL.AT: Würden Sie sagen, das ist ein Tool, dass das AMS effizienter arbeiten lässt?

Bernhard Bereuter: Ja, gezielter und effizienter. Das ist es sicher.

VOL.AT: Welche Personengruppen profitieren von der Maschine ganz besonders?

Bernhard Bereuter: Für die Menschen in der hohen Gruppe braucht es eigentlich von unserer Seite aus keine Interventionen. Hier nehmen wir an, dass diese Menschen innerhalb kürzester Zeit eigenständig wieder in Beschäftigung sind. Profitieren tun eigentlich ganz stark die Personen in der mittleren Gruppe mit längeren Beschäftigungszeiten, weil ihnen steht die ganze Angebotspalette zur Verfügung. Wir lenken die Ressourcen ganz stark auf diese Gruppe, das ist die größte Gruppe. In Vorarlberg sind übrigens rund 75 Prozent aller Vorgemerkten in dieser mittleren Gruppe. Aber auch Personen mit niedrigen Arbeitsmarktchancen, die oft kurzbeschäftigt waren und längere Arbeitspausen hatten, profitieren. Die bekommen künftig mehr Zeit zur Verfügung gestellt, damit ihre Themen und Probleme im Rahmen eines neuen Beratungs- und Betreuungsmodells stärker bearbeitet werden. Das ist oft die Voraussetzung dafür, dass sie rascher in den Arbeitsmarkt integriert werden können.

VOL.AT: Was ist der Grund, die Arbeitslosen in drei Gruppen einzuführen?

Bernhard Bereuter: Wenn jemand niedrige Arbeitsmarktchancen hat, dann bringt es nichts, wenn ich ihm die gleichen Unterstützungsangebote anbiete wie im mittleren Segment. Weil die Themenstellungen ganz andere sind. Es gibt einen Grund, wieso man öfters arbeitslos war. Es kann hier Themen geben wie gesundheitliche Einschränkungen, die Wohnsituation oder finanzielle Engpässe, die eine Integration in den Arbeitsmarkt verhindern. Daher gehen wir davon aus, dass wir mit dem Algorithmus sehr gut individuell auf diese Personen und Themeneinstellungen eingehen können und die Chance höher wird, dass man einen Job findet. Wir glauben, durch den Algorithmus können wir früher und gezielter ansetzen und damit die Zeit der Arbeitslosigkeit reduzieren.

VOL.AT: Es keimt aber von Experten und Medien verstärkt Kritik auf, dass ausgerechnet diese 3. Gruppe der Arbeitslosen fortan stark vernachlässigt wird vom AMS. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen? Nämlich dass diese Personen fortan sehr stark auf sich allein gestellt sein werden und vielleicht noch länger in der Sozialen Hängematte verbleiben...

Bernhard Bereuter: Wir haben die Strategie, wenn jemand maximal Pflichtschulabschluss hat, dass die Ausbildung in Richtung Lehrausbildung im Vordergrund steht. Es kann aber andererseits teilweise auch nichts bringen, gleich in Richtung Lehrausbildung zu gehen, wenn jemand nur ganz geringe Arbeitsmarktchancen hat und ganz andere Themen derzeit noch mehr im Vordergrund stehen. Dann ist es vielleicht sinnvoller, frühzeitig in Richtung Stabilisierung zu gehen. Die individuelle frühzeitige Intervention soll verhindern, dass sich die Chancen für die Person am Arbeitsmarkt verschlechtern.

Wenn jemand niedrige Arbeitsmarktchancen hat - also etwa Personen mit Langzeitarbeitslosigkeit oder gesundheitlichen Einschränkungen -, für diese Menschen haben wir ein neues spezielles Format entwickelt, die sogenannten Beratungs- und Betreuungseinrichtungen. Im Rahmen dieser soll der Kunde im Rahmen eines Stufenmodells in einer ersten Stufe einsteigen, um über Trainingsarbeitsplätze erstmal wieder eine Tagesstruktur zu bekommen. Wenn er sich wieder an die Arbeit gewöhnt hat, kann er über sozialökonomische Betriebe am zweiten Arbeitsmarkt wieder beschäftigt werden. Mit dem Ziel, dass man über den zweiten Arbeitsmarkt am ersten Arbeitsmarkt wieder Fuß fasst. Wir kümmern uns also ganz speziell um die Personen in der niedrigen Gruppe. Das waren Personengruppen, auf die wir bisher ein ganz spezielles Augenmerk hatten, und sind es auch noch in Zukunft.

Unser Ziel bei der mittleren Gruppe ist es hingegen, dass die Chancen der Menschen auf dem Arbeitsmarkt erhalten bleiben. Weil ein Faktor, der die Chancen auf dem Arbeitsmarkt ganz stark verringert, ist die Dauer der Arbeitslosigkeit. Unabhängig von Alter und Qualifikation. Je länger jemand arbeitslos ist, umso größer sind die Schwierigkeiten der Integration. Und wenn jemand in der mittleren Gruppe eingestuft wird, dann kann es beim Dazukommen längerer Arbeitslosigkeit passieren, dass er bei der nächsten Berechnung in der untersten Gruppe eingestuft wird und schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt hat. Daher haben wir das Ziel, das niemand abrutscht. Das heißt, wir setzen frühzeitig Interventionen je nachdem was unsere KundInnen brauchen.

VOL.AT: Jetzt muss ich aber trotz ihrer ausführlichen Erklärungen noch einmal nachfragen. Es hat geheißen, dass die schlecht Qualifizierten viel weniger Förderung bekommen werden.

Bernhard Bereuter: Nein, es werden mitunter andere Angebote, die die Arbeitsmarktchancen erhöhen, angeboten. In der niedrigen Gruppe nützt es nichts, viel Geld für Qualifizierungen zu investieren, wenn andere Themen vordergründig sind. Auch ohne den Algorithmus wissen wir, dass sich bestimmte Personen am Arbeitsmarkt schwerer tun. Ich erwarte mir auch teilweise positive Effekte bei der niedrigen Gruppe. Vielleicht geht es gefühlt bei diesen am Anfang länger, weil man versucht, einzelne Themen erst zu beseitigen, mittelfristig das Konzept aber positive Auswirkungen hat. Es geht hier sehr stark um die Festigung und Stabilisierung der Person. Wenn das gelingt, gehen wir davon aus, dass das Thema Jobsuche wieder im Vordergrund steht. Solange beispielsweise gesundheitliche Probleme im Vordergrund stehen, ist die Jobsuche nicht so wichtig. Wenn die Themen nicht gelöst sind, kann es sein, dass die Person kurzfristig wieder einen Job hat, aber das Thema immer noch wie ein Damoklesschwert da ist. Es gibt ja auch den Begriff "Drehtürarbeitslosigkeit". Die Erfahrung zeigt, dass die Personen kurze Zeit in Arbeit sind und dann bald wieder kommen, weil ihr Thema immer noch vorhanden ist. Also versuchen wir, erst dieses Thema zu lösen, um danach nachhaltige Beschäftigung zu schaffen.

VOL.AT: Das heißt, die klassischen AMS-Kurse wie ECDL oder Bewerbungstraining wird es auch weiter geben?

Bernhard Bereuter: Ja, die wird es auch weiter geben.

VOL.AT: Offenbar gibt es künftig verstärkt nicht mehr nur die sogenannten "AMS-Zwangskurse", sondern auch Kurse auf freiwilliger Basis. Wo die Kunden bei Lust und Laune in AMS-Einrichtungen kommen und dort freiwillig gemeinsam Zeit verbringen - zum Beispiel gemeinsam kochen und reden.

Bernhard Bereuter: Ja, diese Beratungs- und Betreuungseinrichtung besteht bereits in Vorarlberg. Wir haben uns erst Gedanken gemacht, funktioniert das mit der Freiwilligkeit. Aber die Erfahrungen ist, dass es sehr gut funktioniert. Rund 90 Prozent treten freiwillig ein. Die freiwillige Teilnahme wird sehr gut angenommen.

VOL.AT: Von meinem Gefühl her, dürfte es in Zukunft weniger Schulungen geben: Kann es sein, dass einige Schulungsinstitute um ihre Existenz bangen müssen oder dass viele Schulungstrainer ihren Job verlieren werden?

Bernhard Bereuter: Wir haben schon zuletzt budgetäre Reduzierungen gehabt. Das wirkt sich sehr stark auf unsere Partner, die Schulungsinstitute, aus. Für 2020 haben wir eine Budgetvorschreibung. Es kann natürlich Verschiebungen geben, dass die Mittel innerhalb vom Gesamtbudget anders eingesetzt werden.

VOL.AT: Von wo wohin?

Bernhard Bereuter: Zum Beispiel, dass wir sagen: Wir möchten die Beratungs- und Betreuungseinrichtungen für die niedere Gruppe ausbauen. Dann brauchen wir hier mehr Mittel. Oder wenn ich sage: Andere Angebote braucht es nicht mehr so sehr, dann kommt hier das Geld natürlich weg. Dieses Geld können wir in anderen Bereichen natürlich gezielter einsetzen.

VOL.AT: Wie haben Ihre AMS-BeraterInnen auf die Maschine reagiert?

Bernhard Bereuter: Wir sind jetzt im Einführungsjahr. Das ist natürlich intern eine Herausforderung, die vorhandene Beratungskompetenz auf das neue Modell auszurichten. In der Medienberichterstattung oder in Blogs wird es als "Entweder-oder" bzw. als "Mensch gegen Maschine" beschrieben. Ich sehe es als Mensch und Maschine", die sich gegenseitig ergänzen.

VOL.AT: Haben die BeraterInnen sich nicht geschreckt vor der Künstlichen Intelligenz, die einen wesentlichen Teil ihrer Arbeit übernehmen wird?

Bernhard Bereuter: Wir haben sehr viele BeraterInnen in Österreich. Da gibt es natürlich alle Reaktionen. Wir bereiten unsere MitarbeiterInnen aber intern sehr gut vor, um ihnen diesbezüglich hohe Sicherheit zu geben. Ich persönlich sehe es als Vorteil für die BeraterInnen, weil ich Unterstützung und Einschätzung bekomme.

VOL.AT: Und die Jobs von den Beratern sind mittelfristig auch nicht gefährdet?

Bernhard Bereuter: Nein, gar nicht. Wenn die BeraterInnen dank des Algorithmus mehr Zeit für den Kunden haben, hat das eine starke Auswirkung auf den Arbeitsmarkterfolg.

VOL.AT: Was glauben Sie, wie reagieren die Arbeitssuchenden auf das Ergebnis eines Computers? Wie wird der Algorithmus Ihrer Meinung nach bei den Menschen ankommen?

Bernhard Bereuter: Da ändert sich faktisch zu vorher nicht viel. Die persönliche Situation ist ja die gleiche. Die Einschätzungen und Ergebnisse beruhen auf reellen Gegebenheiten. Der Vorteil ist, dass durch das Berechnungsmodell die Sache transparent wird und die BeraterInnen frühzeitig die richtigen Interventionen setzen können. Im Endeffekt bleibt mir als Berater mehr Zeit für den Kunden. Wir erwarten von unseren BeraterInnen, dass sie auf Grundlage des Computer-Ergebnisses, auf die Personen einzugehen. Die BeraterInnen haben immer die letzte Entscheidung und nicht der Computer. Am Schluss entscheidet der Mensch.

Das Interview führte VOL.AT-Redakteur Daniel Hoffmann

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