Entscheidung gefallen, bahnen sich bereits Bedenken an: Wann ist die beste Zeit für die Tour? Gibt es noch freie Hütten-Schlafplätze? Genügen Kondition und Know-how? Mit solchen Zweifeln rückt der Gipfelsieg in die Ferne. Eine Tour muss zwar gut geplant sein, jedoch darf ein gewisses Maß an Spontanität nicht fehlen.
Strömender Regen
Gerade noch freie Schlafplätze auf der Wiesbadener Hütte ergattert und den Rucksack gepackt. Es kann losgehen. Dachte ich zumindest. Kaum auf der Bielerhöhe angekommen, gilt es erst einmal abzuwarten: es regnet in Strömen. „Wäre nicht der Piz Buin unser Ziel, würde ich glatt wieder umdrehen“, sage ich seufzend zu meinen Freunden. Zu fünft teilen wir das Vorhaben Vorarlbergs höchsten Berg zu erklimmen.
Für mich eine Premiere, für die anderen fast schon Routine. Meine Begleiter sind erfahrene Gipfelstürmer und manche bei der Bergrettung aktiv. Die Regengüsse abgewartet, werden die ersten Höhenmeter bezwungen. Nach zwei Stunden Gehzeit erreichen wir kurz vor Einbruch der Dunkelheit die Hütte und freuen uns über ein paar Stunden Schlaf.
Morgenstimmung
Der nächste Tag zeigt sich von seiner schönsten Seite. Erste Sonnenstrahlen tasten sich über die Gipfel und lassen die umliegenden Berge orangerot erstrahlen. Tagesanbruch im Gebirge – sicherlich eines der faszinierendsten Erlebnisse meines Lebens: Eismassen züngeln sich über Millionen Jahre alte Felsblöcke. Vereinzelt findet ein Gletscherhahnenfuß den Weg an die Oberfläche. Der Klang von aufschlagendem Geröll und Eis durchbricht hie und da die Stille. Kühle Luft dringt in meine Lungen und macht die Nasenspitze frostig.
Nur nicht direkt am Ort dahinschmelzen, es gilt ja noch einige Höhenmeter zu bestreiten. Genauer gesagt: 869 Meter. Bergschuhe geschnürt, Rucksack geschultert und schon geht es los über einen endlos erscheinenden Geröllhang bis auf die sogenannte Grüne Kuppe. Ist das erste Etappenziel geschafft, soll eine kurze Pause für den imposanten Ausblick über die „Blaue Silvretta“ vergönnt sein.
Ganzer Körper gefordert
Wer findet das nächste Steinmännchen? Auf dem Weg bis zur Zunge des Ochsentaler Gletschers sind nicht nur die Beine, sondern auch die Augen gefordert. Spannung steigt, meine erste richtige Gletscherbegehung beginnt. Steigeisen an die Schuhe, Seil an den Gurt, Eispickel in die Hand, Partnercheck und die Gletscher-Karawane marschiert los. Ewiges Eis erstreckt sich unseren Füßen.
Wir haben Glück und kommen gut voran, da die Oberfläche sulzig ist. Das Überschreiten des Gletschers hat fast schon etwas Meditatives. Konzentriert setzte ich einen Fuß vor den anderen, den Seilabstand und etwaige Gletscherspalten stets im Auge. Wir passieren Schneeglocke, Silvrettahorn und Kleinen Piz Buin, ehe wir am Fuße von Vorarlbergs höchstem Berg stehen.
Ab jetzt beginnt der Kletterteil der Tour. Ich liebe es in luftigen Höhen auf Steinen herumzukraxeln. Nun orientieren wir uns nicht mehr an Steinmännchen und Spuren im Schnee, sondern an Bohrhaken. Haken für Haken befestigen wir das Seil, um sicher am Ziel anzukommen.
“Kamin” oder “Rinne”
Die ersten paar Höhenmeter über die Westflanke des Großen Piz Buins sind relativ einfach zu bestreiten. Meine Klettererfahrungen kommen mir sicherlich zugute. Nach dem Queren des Nordhangs erreichen wir die Rinne. Entweder wird die Kletterei durch den sogenannten Kamin gewählt, oder es wird nach links in die etwas leichtere Rinne ausgewichen. Wir entscheiden uns für die weniger frequentierte und einfachere Variante.
Jetzt trennen uns nur noch wenige Schritte über Geröll vom Gipfel. Nach einer kurzen Verschnaufpause am höchsten Punkt Vorarlbergs, soll genug Zeit für den Genuss der unbeschreiblichen Aussicht bleiben. Soweit das Auge reicht, erstrecken sich imposante Alpengipfel. Einmal um die eigene Achse drehen: Von Süden bis Westen erblicke ich die Schweiz und Italien. Die Berg-Silhouetten lassen Ortler und Berninamassiv erahnen. Weiter nördlich erstrecken sich die mächtigen Kalkwände des Rätikons und der Verwall. Im Nordosten das Tiroler Paznauntal. 3312 Meter über dem Meeresspiegel.
Gestärkt mit einer ordentlichen Wanderjause geht es dann schon wieder hinab. Auf ein Neues bringen wir die Kletterpassagen hinter uns, wieder werden die Steigeisen angeschnallt und der Weg über das spaltenreiche Eismeer bezwungen. Vorsicht ist besonders beim Gletscherausläufer geboten. Durch Erosion und Eisschmelze lösen sich Felsbrocken, die lärmend hinabstürzen.
Ein erlebnisreicher Tag
Wohlbehalten auf der Wiesbadener Hütte angekommen, wird der Durst mit einem erfrischenden Radler gestillt. Den Blick gen Piz Buin gerichtet, lassen wir die Tour Revue passieren und einen erlebnisreichen Tag ausklingen. Stolz denke ich an meine geknackten 3000 Höhenmeter. Für viele Gipfelstürmer ein Schritt in Richtung Alpinismus. Für mich jedenfalls einen Schritt näher meinem nächsten Ziel: dem Ortler. (red/rl)
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