Die Geschworenen entschieden einhellig auf Mord. Dass er den Sozialamtsleiter im Februar 2019 getötet hatte, gab Ö. zu, es habe sich aber um einen "Unfall" gehandelt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Richter Martin Mitteregger blieb in seiner Urteilsbegründung am Ende der dreitägigen Verhandlung kurz: Angesichts der "äußerst brutalen, rachsüchtigen und heimtückischen Tat" sei kein anderes Urteil möglich gewesen.
Lange gemeinsame Geschichte
Der 35-jährige, in Vorarlberg aufgewachsene Türke und der Sozialamtsleiter hatten eine lange gemeinsame Geschichte. Sie trafen erstmals aufeinander, als Ö. zwölf Jahre alt und der 49-Jährige Fremdenpolizist war. Ö. konsumierte schon in seiner frühen Jugend Alkohol und Drogen (ab 14 Jahren). Nach Cannabis nahm der Angeklagte auch Heroin, Kokain und Ecstasy zu sich. Parallel entwickelte sich die kriminelle Karriere des 35-Jährigen. 1998, 1999 und 2002 wurde dem damals jugendlichen Ö. die Abschiebung angedroht, sollte er sich künftig nicht an die österreichischen Gesetze halten. 2009 schließlich - nach 15 Verurteilungen überwiegend wegen Eigentums- und Drogendelikten - wurde die Abschiebung vollzogen. Sie wurde vom späteren Opfer, dem Sozialamtsleiter, verfügt. In der Türkei arbeitete Ö. eigenen Angaben zufolge auf dem Bau und zog als Scharfschütze in den Krieg gegen den IS.
Emotionen eskalierten
Als Ö. Anfang 2019 illegal nach Österreich einreiste, wegen seiner Kriegsvergangenheit um Asyl und um Mittel aus der Grundversorgung ansuchte, traf er wieder auf den 49-Jährigen, nun in seiner Funktion als Leiter der Sozialabteilung der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn. Der 35-Jährige wurde am 23. Jänner in die Grundversorgung in Vorarlberg aufgenommen, Zahlungen konnten aber erst nach einem entsprechenden Ansuchen erfolgen. Ö. musste entsprechende Unterlagen beibringen und wurde seinen Angaben zufolge wochenlang "hin und her" geschickt. Er wurde immer wieder und auch mehrmals täglich bei der Bezirkshauptmannschaft vorstellig. Am Nachmittag des 6. Februar schließlich eskalierten die Emotionen. Nachdem Ö. gegen 14.00 Uhr die letzten Unterlagen eingereicht und noch einmal mit dem Sozialamtsleiter gesprochen und ihn als "Idiot" beschimpft hatte, verließ er die Bezirkshauptmannschaft. Ihm war zugesichert worden, das Geld am nächsten Tag auf seinem Konto zu haben. Anschließend trank er zwei Bier - dem Gutachten der Toxikologin Marion Pavlic zufolge waren es angesichts seiner Alkoholisierung von etwas über einem Promille zur Tatzeit wohl eher vier - und kehrte etwa eine Stunde später zur Behörde zurück, um noch einmal mit dem Sozialamtsleiter "von Mensch zu Mensch" zu sprechen.
Messerstiche mit "exzessiver Wucht"
Ö.'s Schilderung zufolge habe der 49-Jährige bei seinem Anblick aber "Du Arschloch, bist du schon wieder da?" gerufen, woraufhin er ausgerastet sei. Er stürmte auf den Mann los, zog ein Küchenmesser aus dem Hosenbund und stach auf den Sozialamtsleiter ein. Der erste Stich wurde laut Gerichtsmediziner Walter Rabl mit "exzessiver Wucht" ausgeführt, dieser durchschlug das Brustbein, verletzte die Aorta und auch die Lunge. Der Sozialamtsleiter verlor nach maximal zwei Minuten das Bewusstsein und verblutete. Der Angeklagte ließ dennoch nicht von seinem Opfer ab. Während er selbst von "Schmerzstichen" in die Arme sprach, zeichnete Rabl ein anderes Bild: Der Körper des Toten wies etwa auch fünf Schnittverletzungen unterhalb des Kinns auf, drei weitere Verletzungen wurden an der Hals- bzw. Gesichtsseite festgestellt. Diese dürften zustande gekommen sein, indem Ö. das Messer vom Hals in Richtung Kopf führte. Die restlichen fünf Verletzungen hatte der 35-Jährige dem Sozialamtsleiter an der Brustvorderseite zugefügt. Nach kurzer Flucht wurde Ö. gefasst, er habe "extra eine Blutspur gelegt", sagte er.
Soner Ö. bestritt Tötungsabsicht
Der 35-Jährige bekannte sich gleich nach seiner Festnahme und auch im Prozess dazu, den Soziamtsleiter umgebracht zu haben. Die Absicht dazu habe er aber nicht gehabt. "Ich wollte ihm eine Strafe geben, nicht ihn ermorden", beteuerte der Angeklagte. Er habe ihm die Nackenmuskeln herausschneiden wollen, "damit er seinen Arm nicht mehr benutzen kann", sagte Ö. Als er dem Sozialamtsleiter in die Schulter habe stechen wollen, sei dieser jedoch aufgestanden, deshalb habe er ihn auf Brusthöhe erwischt. Bestätigen konnte diesen Tatablauf jedoch niemand. Sieben als Zeugen geladene Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft sagten aus, dass es unmittelbar vor der Tat keinen verbalen Austausch - also keine Beschimpfung seitens des Sozialamtsleiters - zwischen Ö. und ihrem Chef gegeben habe. Gerichtspsychiater Reinhard Haller bescheinigte dem Angeklagten zwar eine Persönlichkeitsstörung, die einer höhergradigen Abnormität entspreche, sah seine Zurechnungsfähigkeit aber gegeben.
Die Ansprüche der Zivilbeteiligten erkannte Ö. an. Demnach muss er den Eltern des Sozialamtsleiters, seiner Lebensgefährtin und seinen beiden Kindern jeweils 20.000 Euro bezahlen.
Strenge Sicherheitsvorkehrungen
Der Prozess fand unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen und unter enormem Medieninteresse statt. Die Tat gilt als Auslöser für die Pläne zur Einführung einer Sicherungshaft in Österreich. Sie soll bei Personen greifen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die öffentliche Sicherheit gefährden. Es ist nach wie vor umstritten, ob Ö. vor dem gewaltsamen Tod des Sozialamtsleiters auf geltender Gesetzesbasis in Haft hätte genommen werden können oder nicht. In Vorarlberg wurden kurz nach der Tat Sicherheitsschleusen an den Eingängen der Vorarlberger Behördengebäude installiert. Diese bleiben als Dauereinrichtung bestehen.
Stimmen zum Urteil
Verteidiger von Soner Ö.
Anwalt der Hinterbliebenen des Mordopfers
Eindrücke vom finalen Prozesstag
(APA)
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