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20 Jahre Grubenunglück von Lassing: "Drei Wochen Horror in Zeitlupe"

Vor zwanzig Jahren ereignete sich das Grubenunglück im obersteirischen Lassing.
Vor zwanzig Jahren ereignete sich das Grubenunglück im obersteirischen Lassing. ©APA/HANS KLAUS TECHT
Das Grubenunglück von Lassing mit zehn toten Kumpel jährt sich am 17. Juli zum 20. Mal. Für den Bürgermeister von Lassing, Fritz Stangl, der zum Zeitpunkt des Unglücks Vizebürgermeister der kleinen obersteirischen Ortschaft gewesen ist, waren die Ereignisse um das Grubenunglück "drei Wochen Horror in Zeitlupe", wie er im APA-Gespräch erzählte.
Grubenunglück von Lassing

Als heutiger Bürgermeister – seit Jahresbeginn 2000 – ist Stangl seit Jahr und Tag und besonders vor Jahrestagen den Umgang mit Journalisten gewöhnt. In den vergangenen Monaten war wieder ein Kamerateam in der Gemeinde unterwegs: Der Filmemacher Alfred Ninaus hat eine Dokumentation für ORF III gedreht, die am 16. Juli gesendet werden soll. Stangl hofft, dass damit dann endlich Ruhe einkehrt, obwohl er dieser Hoffnung schon oft in Interviews Ausdruck verliehen hat. “Wir haben uns Gott sei Dank als Gesellschaft und vom wirtschaftlichen Teil her erholt. Mit Blick zurück auf die Tragik haben wir Mut für die Zukunft gefunden”, resümierte er.

Lokalisierung, schematische Zeichnung der Mine.
Lokalisierung, schematische Zeichnung der Mine. ©Lokalisierung, schematische Zeichnung der Mine.  

Nicht alle im Ort wollten für die Dokumentation vor die Kamera. “Mein Wunsch wäre, dass das eine Art Schlussstrich ist. Ich hoffe schon, dass man dann in Ruhe gelassen wird. Es geht ja darum, dass in einer Doku die Geschichte von einer ‘Story’ auseinandergehalten wird”, war Stangl nachdenklich. Aber er vertraue darauf, dass “das sicher seriös wird, dann haben alle etwas davon, eine Art Zusammenfassung aus der Vielfalt der Meinungen und Perspektiven und Vorgänge, da viele ja nicht wissen, was sich abgespielt hat. Viel Ungewissheit, die die Seelen schwer belastet, ist geblieben”.

Kritisch gegenüber Medien

Grundsätzlich habe man mit Medien in Lassing nicht so gute Erfahrungen gemacht, man stehe ihnen sehr kritisch gegenüber, sagte Stangl. “Es hat damals mehr Journalisten im Ort als bei einem Formel 1-Rennen in Spielberg gegeben … allan die vielen Ü-Wagen, verstengans mi?”, gab Stangl zu bedenken. “Das waren drei Wochen Horror in Zeitlupe!” Die Bevölkerung sei der Situation nicht gewachsen gewesen, man habe ja keinerlei Erfahrung im Umgang mit Medien gehabt. Jetzt wisse man: “Jeder Medienvertreter hat einen Auftrag, Geschichten zu bringen. Weiß er nix, muss er sich was aus den Fingern saugen”, sagte Stangl beim Gespräch im Gemeindeamt.

Zur Zeit des Unglücks sei “jede Information richtig und gleichzeitig alles falsch” gewesen. Es gab anfangs auch keine Pressesprecher, das habe sich erst eingependelt, spielte Stangl auf die in den ersten Tagen chaotische Zeit der Informationsbeschaffung und -bestätigung an. “Die Bevölkerung ist richtiggehend belagert worden. Dass da eine gewisse Distanz entsteht, darf keinen wundern”, erinnerte Stangl sich.

“Man hat nix gesehen”

Im Ort versucht man das Thema Grubenunglück und die zehn Toten zu meiden, aber totgeschwiegen werde es auch nicht. Stangl verglich das mit den Geschichten, die er als Bub über den Zweiten Weltkrieg gehört hatte: “Wenn einer gefallen ist, war es abgeschlossen. Wenn einer vermisst wurde, fragte man sich jahrelang, war er sofort tot, hat er noch weitergelebt? Für Lassing bedeutet das, hat man wirklich alles zur Rettung unternommen? Diese Fragen nagen an der Seele. Und das Drama war, man hat nix gesehen, alles hat sich unter der Erde abgespielt.”

Aufregen kann sich der sonst so gelassene Bürgermeister über das seiner Ansicht nach damals herrschende mangelnde Einfühlungsvermögen vieler höherer Entscheidungsträger. “Da ist eine deutsche Grubenwehr gekommen, auf eigene Kosten, alles war gut gemeint und alle wollten helfen. Da sagte dann ein Ministerialrat, ‘Hilfe, die wir nicht gerufen haben, brauchen wir nicht’. Unglaublich, wie gefühllos, da haben manche die Fäuste geballt, wir haben sie beruhigen müssen. Denn die Familien der Helfer haben ja auch um ihre Leute gebangt”, erinnerte sich der damalige Vize-Ortschef.

Zweifel bleiben

Ganz abgeschlossen mit dem Unglück dürfte Stangl wohl nie haben. Zweifel, ob alles seitens der Behörden unternommen wurde, drangen im Gespräch immer wieder durch. “Da wurde man in vielen Dingen genarrt. Es gab ja die sogar von der Einsatzleitung anerkannten Klopfzeichen”. Oder: “100 Meter tief eine Woche lang gebohrt, obwohl man gewusst hat, dass Georg Hainzl in der Jausenkammer auf 70 Meter ist und dass er lebt. Das hat ma g’wisst, ich war ja dabei, als ihm Mut zugesprochen wurde und dann plötzlich der Telefonkontakt zu ihm abgebrochen ist. Die anderen zehn haben auf rund 100 Meter gearbeitet.”

Fragen drängen sich immer wieder auf: “Die Sache ist ja, waren sie alle an einem Ort auf 140 Meter in der Sohle, waren sie im Aufzug? Das wäre gegangen, wenn sie sich zusammengedrängt haben. Waren sie sofort tot?” fragte sich Stangl, obwohl im Gespräch nicht klar war, ob er wirklich eine Antwort haben möchte, die es sowieso nicht geben kann. Und: “Es macht nachdenklich, wenn die Kripo-Beamten im Extrazimmer vom Wirtshaus zu dir sagen, sie haben den Eindruck, es wird zu wenig getan.”

Mit den Bürgermeistern von Hadersdorf am Kamp (Hochwasser 2002) und Galtür (Lawinenunglück 1999) hat Stangl später an einer Veranstaltung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zum Erfahrungsaustausch teilgenommen, wie man solche Situationen handhabt. “Das waren nicht nur Naturkatastrophen, sondern auch Fehlleistungen von Menschen”, habe er in seinem Vortrag gesagt. Auch mit universitärem Wissen könne man nicht alles abdecken. Der Hausverstand müsse auch noch existent sein.

“Sie waren alle meine Freunde”

Der einzige Überlebende, der damals 24-jährige Bergmann Georg Hainzl habe sich sehr zurückgezogen, sagte Stangl: “Er lebt in einem engen Freundes- und Arbeitskollegenkreis. Ich schätze die Leute sehr für ihren Zusammenhalt, und ich habe vollstes Verständnis, dass er so lebt.” Eine Witwe eines Verunglückten sei kürzlich gestorben, berichtete der Bürgermeister. Von den Verunglückten sei einer sein Lehrling in seiner Kfz-Werkstatt gewesen, ein anderer ein Spielkamerad seiner Tochter. Ein Kumpel war aus Ardning, der Geologe aus dem Mürztal. Mit dem Bergmann aus Ardning sei er eine Woche vor dem Unglück noch in der Türkei segeln gewesen. Sieben der Kumpel waren Lassinger. Stangl beendete an dieser Stelle das Gespräch über das Unglück und sprach dann über die aktuellen Gemeindevorhaben. Zuvor sagte er noch: “Sie waren alle sieben meine Freunde.”

(APA)

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