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„Manche spielen sich online um Kopf und Kragen!“

Nachts war Simon ein mächtiger Heerführer, der seine Truppen befehligte.
Nachts war Simon ein mächtiger Heerführer, der seine Truppen befehligte. ©HK
Gezockt, gemobbt, verlassen: Simon L. aus Hard war süchtig nach dem Online-Spiel „Kingdoms of Camelot“. Mit WANN & WO sprach er über seine Erfahrungen.

Simon L. ist unscheinbar – der nette Typ von nebenan. Er hat ein kleines Geschäft in Hard, ist oft in der Natur unterwegs und trifft sich gerne mit Freunden. „Bis vor kurzem war das aber nicht so“, erinnert er sich an die dunklen Monate, die hinter ihm liegen zurück. Denn Simon L. hat eine Leidenschaft – Computerspielen. Und diese Leidenschaft kostete ihn viel. „Es fing eigentlich ganz harmlos an. Ziemlich genau vor einem Jahr entdeckte ich das Gratis-Online-Spiel ‚Kingdoms of Camelot‘, ein Strategiespiel, in dem man Truppen aufbaut und gegen andere Spieler in den Krieg zieht. In der Firma war zu der Zeit nicht viel los und ich hatte gerade das Rauchen aufgegeben. Ich hatte also viel Zeit und war auf der Suche nach einem Ersatz für die Zigaretten“, schätzt er heute selbst seine Motive ein.

Free-2-P(l)ay

Allzu leicht ließ sich Simon in das virtuelle Schlachtengetümmel hineinziehen. Nach der Arbeit hieß es für ihn: Ab an den Computer und zocken bis in die frühen Morgenstunden. Acht Stunden am Stück waren keine Seltenheit, schnell stieg Simon im Spiele-Rang. Das ging lange gut, ohne dass er einen Cent bezahlen musste. Doch dann kam die Wende – seine Truppen waren nicht mehr stark genug, um gegen seine Kontrahenten zu bestehen. Doch das Spiel bietet hier einen Ausweg: „Kingdoms of Camelot“ ist in erster Linie ein sogenannter Free-2-Play-Titel, man meldet sich an und spielt los – völlig kostenlos. Simon: „Es ist kostenlos, ja. Wer aber gegen die anderen eine Chance haben will, muss sich früher oder später Ausrüstungsgegenstände kaufen – für bares Geld.“ So zückte auch er irgendwann die Kreditkarte und erwarb für 15 Euro das erste Upgrade. Simon war wieder im Spiel, die Schlacht konnte weitergehen. „Hat man einmal bezahlt, ist man schon gefangen. Man denkt sich: ‚Was sind schon 15 Euro?‘ Und man kauft immer weiter und weiter.“ Am Ende kostete Simon der Ausflug nach Camelot über 2000 Euro – in einem Zeitraum von nur sechs Monaten. „Ich konnte es mir leisten. Das Geschäft ging gut, ich hatte das Geld. Ich kenne Spieler, die jedoch weit mehr Geld ausgegeben haben. Manche investieren ihren ganzen Zahltag in das Spiel. Diese Leute spielen sich wirklich um Kopf und Kragen.“

Allein im dunklen Kämmerlein

Das Spiel kostete Simon aber nicht nur einen Haufen Geld, sondern auch seine sozialen Kontakte und – für ihn noch weitaus schlimmer – seine Beziehung. Kopfschüttelnd denkt er zurück: „Ich bin nicht mehr weggegangen, habe mich nur noch in meinem dunklen Kämmerlein eingeschlossen. Die Pizzaschachteln türmten sich neben dem Computer. Von August 2012 bis Februar 2013 hatte ich so gut wie keinen Kontakt mehr zu Außenwelt. Meine Freundin, mit der ich vier Jahre zusammen war, sah ich kaum mehr. Ich hatte nur noch das Spiel im Kopf und verlor das Interesse an ihr – bis wir uns komplett auseinander gelebt hatten. Ich habe lange über die Trennung nachgedacht und frage mich immer wieder, wie es soweit kommen konnte.“ Simon führte ein Doppelleben: Tagsüber war er Geschäftsmann und betreute seine Kunden, nachts war er ein mächtiger Heerführer und schickte seine Truppen in den Krieg. Befreundeten Spielern überließ er die Zugangsdaten für seinen Account, für den Fall, dass er angegriffen wurde und nicht selbst reagieren konnte. „Das ging so weit, dass ich manchmal mitten in der Nacht von anderen Mitspielern via Skype angerufen und über einen Angriff informiert wurde. Das konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen. Also bin ich aufgestanden und habe bis zum Morgen weitergespielt.“

Mobbing und Ausstieg

Nach einem halben Jahr kam Simon zur Vernunft: „Ich habe mir irgendwann gedacht, dauernd vor dem Computer zu sitzen, kann doch nicht das Leben sein. Aber man lügt sich immer weiter an, will immer größer und mächtiger werden. Ich habe dann anderen Spielern gesagt, dass ich aufhören möchte und wurde umgehend als Verräter, Lügner und sogar als ‚dumme Sau‘ bezeichnet. Und das nur wegen eines Spiels! Das war für mich ausschlaggebend, dass ich meinen Account einem Freund überlassen und das Spiel seitdem nicht mehr angerührt habe.“ Simon fand Hilfe bei weiteren Aussteigern: „Wir haben eine geschlossene Facebookgruppe gegründet, ähnlich den anonymen Alkoholikern, wo wir uns in regelmäßigen Abständen treffen und über unsere Situation sprechen. Bisher kennen wir uns nur aus Chats und von Skype-Gesprächen, wir planen aber ein persönliches Treffen.“

Sag ja zum Leben

Wird Simon weiterhin Computerspielen? „Ja, denn es ist mein Hobby. Aber ich will mein Leben genießen, meine Freunde treffen und auch wieder eine Frau an meiner Seite haben. Ich lasse es nicht zu, dass das nochmal passiert.“

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